Der Kaiserin alte Kleider

Kurz vor der Auktion betrachten die späteren Käufer das Kaiser-Porträt
Ein Herr mit einem laminierten Kärtchen in der Hand sucht die Nummer 116. Er findet sie in einer Vitrine – es ist die kaiserlich-österreichische Fahne. Der Mann betrachtet sie durch die Scheibe. Rufwert: 400 bis 800 Euro. Aufhängen würde er das Stück in seinem Haus. Ob er es wohl ersteigern kann?
In der Dorotheergasse
Der Mann befindet sich im Ausstellungsraum im 1. Stock des Auktionshauses Dorotheum in der Dorotheergasse. Einmal im Jahr findet hier eine ganz besondere Versteigerung statt: Angeboten werden Gegenstände aus dem Kaiserhaus. Diesmal sind es 220 Stück – oder „Lose“, wie es im Fachjargon heißt: Bilder, Teller, Vasen, Figuren und Taschentücher.
Der Katalog, die Bibel
Der Auktionskatalog ist die Bibel der hier Anwesenden. Darin sind die Lose chronologisch angeführt. Da ist etwa Los 102, das persönliche Jäckchen von Kaiserin Elisabeth. Oder Los 99 – ihr Zigarettenetui. Das persönliche Schreibzeug von Kaiser Franz Josef I. – ein Tintenbehälter und Porzellanbüchse – hat die Nummer 72. Viele dieser Gegenstände kommen über die Nachfahren der Familie Habsburg oder der Kammerdiener ins Dorotheum.
Geduld gefragt
Eine Frau betritt gestresst den Ausstellungsraum. „Bitte schnell aufsperren“, sagt sie. Renate Krenmayr, die hier alle mit „Frau Dr. Krenmayr“ ansprechen, ist Sensalin: eine Vertrauensperson für Bieter, die anonym bleiben wollen. Nur sie kennt die Bieter und steigert für sie im Saal mit. Sie nimmt eine silberne Kaiser-Statue unter die Lupe.
Neben ihr: ein Pärchen in Sneakers und Jeans vor einem Kaiser-Porträt, Rufwert 15.000 Euro. „Wir sind wegen des Malers interessiert“, sagt die Frau. Am Telefon hat sie ihren Vater aus Polen. Er stammt aus dem Dorf des Künstlers Eduard Lebiedzki, im „ehemaligen Galizien“, sagt sie. Wenige Stunden später wird das Porträt ihr gehören – für satte 20.300 Euro.

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Renate Krenmayr als Sensalin im Auktionshaus im ersten Bezirk.
Geboten wird eine Etage höher, im Ludwigstorff-Saal. Der hauseigene Kaiserzeit-Experte des Dorotheum trägt denselben Namen: Georg Ludwigstorff. Er ist ein Nachfahre des kaiserlichen Beraters – und entscheidet, welche Gegenstände zu welchem Wert Teil der Auktion sind. Je niedriger der Startbetrag, desto mehr Bieter.
"Die Online-Auktion sei schuld"
Vor dem Saal warten Menschen, sie halten laminierte Kärtchen in der Hand: die Bieterkärtchen, die sie in die Höhe halten werden, um ihr Interesse zu bekunden. Langsam werden die Wartenden unruhig. Die Auktion verzögert sich um eine Stunde, wegen eines technischen Gebrechens. „Sicher ist die Online-Auktion schuld“, wird gemutmaßt. Mitbieten kann man nämlich auf verschiedene Arten: im Saal, per Telefon, über Mitarbeiter des Hauses, die Sensalin oder eben das Internet.

Der Auktionator dirigiert Bieter im Saal, am Telefon und im Netz.
Wer mitmacht, braucht vor allem Geduld und Zeit. Die Menschen vor Ort haben das. Viele sind in Pension – wie eine frühere Lehrerin und Sisi-Verehrerin. Sie will den Markt beobachten, weil sie selbst Habseligkeiten der Kaiserin zu Hause hat. Antiquitätenhändler Josef Renz trinkt noch einen Kaffee. „Man darf nicht zu verbissen sein“, sagt er, „sonst wird das nichts“. Er kennt die Ware, ihren Wert – und die Bieter. Die Plachutta-Familie habe eine Sammel-Leidenschaft für kaiserliche Gegenstände, erzählt er. Und auch Viktor Orbán könnte unter den Mitbietern sein.

Antiquitätenhändler Josef Renz ersteigerte des Kaisers Schreibübung und vieles mehr.
Der Profi schlägt zu
Dann geht es los. Unter den viel zitierten Hammer kommt allerdings nichts: Nach dem letzten Gebot klingelt der Auktionator. Er moderiert auf Englisch und Deutsch. Online sind 500 Interessierte zugeschaltet – aus Hongkong, der Schweiz und der Slowakei. 20 Personen sind im Saal dabei.

... kommt nichts. Bei der Auktion wird geklingelt, wenn das Objekt verkauft wurde.
„Man muss bieten, wenn die anderen müde und unaufmerksam werden“, sagt Renz. So macht er ein Schnäppchen nach dem anderen: etwa eine Schreibübung des jungen Kaisers für 3.200 Euro. Die Auktion dauert Stunden, nach und nach leert sich der Saal. Übrig bleiben nur Sensalin Krenmayr und Händler Renz.
Und der Mann, der mit der kaiserlichen Fahne liebäugelte? Der geht mit leeren Händen nach Hause. 5.000 Euro waren ihm doch zu viel.
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