Neue Fächer: Warum Bildung Zeit braucht

oebv Geschäftsführer Philipp Nussböck bei einem Interview mit Mikrofon, eine Frau sitzt ihm gegenüber
Philipp Nussböck, Geschäftsführer des Schulbuchverlags öbv, über Chancen bei neuen Schulfächern und warum gute Vorbereitung wichtiger ist als schnelle Umsetzung.

Das neue Schuljahr  hat im Osten bereits begonnen. Auch bei den Lehrinhalten gibt es Neuerungen. Wie Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) im Frühjahr ankündigte, wird heuer erstmals der neue Unterrichtsgegenstand „Wirtschaft, Innovation und Nachhaltigkeit“ eingeführt. 

Auch die Überarbeitung der Lehrpläne steht bevor, mehrere neue Schulfächer, unter anderem Demokratiebildung, sollen folgen. Dabei darf eines nicht fehlen: das passende Schulbuch.  Philipp Nussböck, Geschäftsführer des Schulbuchverlags öbv, spricht über Herausforderungen und Möglichkeiten.

KURIER: Bildungsminister Christoph Wiederkehr will bei den Schulfächern aufräumen: Finanzbildung soll gestärkt, Demokratiebildung als eigenes Fach eingeführt werden. Kann sich das Ihrer Meinung nach überhaupt ausgehen, oder droht eine Überfrachtung des Schulalltags?

Philipp Nussböck: Zukunftsrelevante Themen wie Demokratie- und Wirtschaftsbildung sollten in der Schule Platz haben. Offen bleibt aber, wie neue Fächer integriert werden sollen, wenn noch unklar ist, ob und was dafür gestrichen wird.

Gibt es überhaupt etwas, das gestrichen werden könnte?

Spannend ist weniger die Frage, was man streichen kann, sondern wie sich Fächer neu gestalten lassen, um Raum für Neues zu schaffen. Laut der Ö3-Jugendstudie würden beispielsweise viele  Mathematik am ehesten weglassen. Das steht natürlich nicht zur Debatte, aber es wäre wichtig, über Prioritäten und Inhalte innerhalb des Fachs neu nachzudenken.

 

Könnte das auch beim Thema Finanzbildung gemacht werden?

Bei der Finanzbildung gibt es durch das Pilotprojekt an 50 Schulen bereits erste Ansätze. Vieles ist aber noch offen: konkrete Entscheidungen werden wohl erst mit den neuen AHS-Lehrplänen ab 2027/28 fallen. Es wird darauf ankommen, Inhalte klug zu verknüpfen und Synergien mit bestehenden Fächern zu nutzen. Das ist auch beim Fach Demokratiebildung der Fall, da es ja nahe an der politischen Bildung ist, was im Fach Geschichte untergebracht ist.

 

Wenn die Inhalte bereits im Lehrplan verankert sind, braucht es dann überhaupt ein eigenes Schulfach? Oder wäre es sinnvoller, die bestehenden Inhalte gezielter zu stärken und sichtbarer zu machen?

Solche Themen brauchen ihren Platz in der Schule, ob als eigenes Fach oder fächerübergreifend, hängt von der Gesamtgestaltung ab. Wichtig ist eine gute Vorbereitung: ausreichende Vorlaufzeiten, gut ausgebildete Lehrkräfte, passende Materialien und genügend Ressourcen. Wenn mehr von der Schule verlangt wird, braucht es auch mehr Unterstützung.

Stichwort Organisation: Stehen für das Pilotprojekt zur Wirtschaftsbildung bereits ausreichend vorbereitete Unterrichtsmaterialien und Schulbücher zur Verfügung?

Der Zeitraum ist viel zu kurz. Schulbücher brauchen oft drei bis vier Jahre Vorlaufzeit. Für das Pilotprojekt kann daher kaum auf neue Bildungsmedien zurückgegriffen werden. Immerhin gibt es bestehendes Material aus dem Fach Geografie, sodass Lehrkräfte nicht ganz ohne Ressourcen dastehen.

Was sind die Alternativen?

Die Alternative wäre, sich mehr Zeit für eine umfassende Planung zu nehmen, sozusagen einen großen Wurf statt Fleckerlteppich. Das betrifft nicht nur Bildungsmedien, sondern auch die Lehrkräfteausbildung.

Der "Mega Bildungsklimaindex" hat zum sechsten Mal die Zufriedenheit von Pädagoginnen, Eltern und Schülerinnen erfragt. Ein zentrales Thema war psychische Belastung. Auch bei Ö3-Jugendstudie wurde das Fach "Mental Health" gewünscht. Wie realistisch ist die Einführung eines solchen Fachs im Schulalltag?

Die Ereignisse in Graz zeigen, wie belastet die psychische Gesundheit der Jugendlichen ist. Das "Psychische Gesundheit" hat daher seine Berechtigung. Wichtig ist aber auch, wie es umgesetzt wird. Mehr Fächer entlasten sicherlich nicht, denn die Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Bei neuen Fächern muss man deshalb die Auswirkungen auf die Lernenden genau bedenken.

Wie kann das Thema Digitalisierung sinnvoll ins Schulsystem integriert werden, braucht es dafür ein eigenes Fach?

Digitalisierung allein reicht nicht, es braucht ein sinnvolles Zusammenspiel von analogen und digitalen Medien. Ein eigenes Fach kann aber Sinn machen, weil viele wichtige Themen darin stecken, etwa Medienbildung und der Umgang mit Fake News. Wichtig ist, Digitalisierung breit zu verstehen und Schülerinnen und Schüler auf die digitale Zukunft sowie Datenschutz vorzubereiten. Wie bei anderen potenziell neuen Schulfächern gilt: Es braucht ausreichend Vorlaufzeit, damit gute Lehrkräfteausbildung und hochwertige Bildungsmedien gesichert sind.

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