Die Steirerin aus Trofaiach spürt die ihr in Artikel 3 der Konvention zugesicherte „Barrierefreiheit“ auch noch nicht überall. Also genau genommen eher überall nicht.
„Es gibt noch immer viele bauliche Barrieren“, sagt sie und fügt an, dass sie mit ihrem Rollstuhl oft auch in Geschäften nicht alleine einkaufen kann. „Viel größer sind aber die Barrieren im Kopf, wichtig wäre, dass wir mehr aufeinander zugehen“, wünscht sich Braunsteiner.
Selbstbestimmung gefragt
Ganz großes Thema bei den Menschen mit Behinderungen, die am Montag für ihre Rechte eingetreten sind, indem sie alle 50 Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention in einer Marathonlesung vorgetragen haben, ist die Selbstbestimmung. Dorothea Brozek verweist auf den Artikel 19, in dem sich auch Österreich verpflichtet hat, „das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben“, anzuerkennen und ihnen „den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Inklusion in der Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern“.
Tatsächlich sei das Gegenteil der Fall, sagt Brozek: „Wir werden immer noch in Einrichtungen gezwungen und sollen von unseren Familien abhängig sein.“ Und merkt nebenbei an, dass der Artikel 5 – Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung – tagtäglich gebrochen werde, weil „der Wohnort entscheidet, ob es Unterstützung gibt, oder nicht“. Ein Föderalismusproblem, weil es keine österreichweite Regelung gibt.
Persönliche Assistenz
Ein großes Thema sei die persönliche Assistenz, weiß Bernhard Schmid von der Lebenshilfe – gerade bei Menschen mit schwereren Behinderungen oder kognitiven Beeinträchtigungen werde diese persönliche Assistenz oft nicht verfügbar gemacht – was Inklusion verhindere. Menschen etwa, die sich schwer artikulieren können – wie Roland Öhlinger – werde oft nicht zuerkannt, dass er dennoch genau wisse, was er wolle. Es sei nur schwieriger, das herauszufinden, weiß Schmid: "Das ist dann eine Frage der Haltung." Und eben auch der Finanzierung – siehe oben.
Martin Ladstätter, Vizepräsident des Behindertenrates und selbst Rollstuhlfahrer, verweist auf Artikel 24, Bildung: „Immer noch müssen knapp 50 Prozent der betroffenen Kinder in Sonderschulen gehen. Dabei heißt inklusive Bildung eindeutig, dass niemand ausgeschlossen wird.“ Hier setzt auch Behindertenratspräsident Klaus Widl an: "Ein Kind mit Behinderung darf nicht in den Kindergarten, es gibt kein Recht auf inklusiven Unterricht."
Echten Lohn statt Taschengeld
Die Wienerin Lucia Vock arbeitet in einer Werkstätte von Jugend am Werk in Wien, erhält dort ein Taschengeld. „Für das, was ich mache, sollte es einen Lohn geben“, ist sie überzeugt.
Arbeit als soziale Teilhabe
Wobei es bei der Arbeit nicht nur um das Geldverdienen, sondern auch um soziale Teilhabe und Selbstbestimmung gehe. Deshalb brauche es bessere Fördermöglichkeiten, um Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Apropos Arbeitsmarkt. Ron Pfennigbauer, einer der Initiatoren des Protestes, sagt es deutlich: "Viele Unternehmen zahlen lieber Geld, als Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen."
Rund 27.000 Menschen sind aktuell in Werkstätten tätig, weiß Widl. Er weiß auch, dass Österreich säumig ist: „Die Prüfung der Umsetzung der Konvention 2023 hat uns kein gutes Zeugnis ausgestellt. Unsere Menschenrechte sind noch immer nicht umgesetzt. Wir sind hier, um diese Menschenrechte einzufordern."
Im neuen Parlament findet gleichzeitig eine Gedenkfeier zu 80 Jahre Kriegsende statt – mit Schloss Hartheim in OÖ als Thema. Dort wurden Menschen mit Behinderungen systematisch vernichtet. Widl: „In der Gegenwart müssen wir die Schritte zur Umsetzung der Einhaltung der Menschenrechte setzen, zu denen wir uns vor 17 Jahren verpflichtet haben.“
Deshalb fordern die Behindertenorganisationen von der neuen Regierung – erneut – einen strukturierten Prozess, die Behindertenrechtskonvention endlich umzusetzen, "sonst stehen wird nächstes Jahr wieder hier“, bringt es Ron Pfennigbauer auf den Punkt.
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