"Auf Kurs bleiben": EU-Kommissar hält an Verbrenner-Aus fest

Apostolos Tzitzikostas
Kommende Woche steht beim Bau des Brenner Basistunnels (BBT) ein historischer Durchbruch an. Von österreichischer Seite wird erstmals eine Tunnelverbindung mit einer Röhre auf italienischer Seite hergestellt.
EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas wird dazu anreisen und hat dem KURIER im Vorfeld schriftlich Fragen zu den Erwartungen an das Jahrhundertprojekt, Problemen im europäischen Bahnverkehr und dem Verbrenner-Aus beantwortet.
KURIER: Der Brenner Basistunnel (BBT) wird von Österreich, Italien und der EU gemeinsam finanziert. Welche Effekte erwarten Sie sich für den europäischen Bahn- aber auch Straßenverkehr durch dieses Projekt?
Apostolos Tzitzikostas: Der BBT ist ein wichtiges Bindeglied im Transeuropäischen Verkehrsnetz und im Europäischen Verkehrskorridor Skandinavien–Mittelmeer. Er wird drei der stärksten Wirtschaftsregionen Europas – Norditalien, Westösterreich und Süddeutschland – enger zusammenbringen. Darüber hinaus wird er helfen, die großen Häfen und industriellen Ballungsräume in West- und Mitteleuropa besser mit dem Mittelmeerraum und den dortigen Häfen zu vernetzen. Mit dem BBT dürfte es auch gelingen, einen Großteil des Gütertransports von der Straße auf die Schiene zu bringen. Das würde zur Lösung der Probleme entlang des Brenner-Korridors – tägliche Staus und Luftverschmutzung – beitragen.
Wird es eine Verpflichtung für Frächter benötigen, die Bahn zu nutzen, damit sich diese Hoffnung erfüllt ?
Prinzipiell bin ich kein Fan davon, die Nutzung bestimmter Verkehrsmittel vorzuschreiben. Stattdessen sollten wir Anreize für die Bahn schaffen und den Straßenverkehr nach dem Grundsatz „der Nutzer zahlt“ lenken, etwa mit Straßenbenutzungsgebühren. Jedenfalls denke ich, dass die Bahn – sobald der BBT und alle Zulaufstrecken offen sind – durch kürzere Reisezeiten, kombiniert mit längeren und schwereren Zügen mit höherer Kapazität, gegenüber dem Straßenverkehr stark an Attraktivität gewinnen wird. Ich gehe davon aus, dass sich die Frächter dann für die Bahn entscheiden werden.
Der Schienengüterverkehr hat auf dieser Strecke zuletzt an Boden verloren, er macht gerade einmal 25 Prozent aus – der Rest wird mit Lkw durch enge Täler auf der Autobahn transportiert. Welchen Anteil muss der Schienentransport erreichen, damit der BBT ein Erfolg wird?
Es gibt nicht eine konkrete Zahl, die über den Erfolg des Projekts entscheidet. Im Fokus steht die maximale Nutzung des Tunnels, damit so viele Güter wie möglich von der Straße auf die Schiene gebracht werden. Das wird den derzeitigen Anteil erheblich steigern. Wir müssen die richtigen Bedingungen dafür schaffen, dass die Bahn zur logischen und wirtschaftlichsten Option für Frachtunternehmen wird.
Ob und wann Deutschland die versprochenen Zulaufstrecken für den BBT bauen wird, steht vollkommen in den Sternen. Ist das nicht eine Gefahr für den Erfolg des ganzen Projekts?
Natürlich bin ich mir der Situation in Deutschland bewusst, und ich verstehe die Bedenken in Tirol. Sehen wir uns die Fakten an: Verkehrsvorhersagen zeigen ganz klar, dass eine Aufrüstung auf vier Gleise auf den deutschen Zulaufstrecken zum BBT erforderlich ist. Ich bin zuversichtlich, dass Deutschland die nötigen Schritte unternehmen wird, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die von der Deutschen Bahn vorgeschlagene Streckenanpassung durchläuft nun das parlamentarische Verfahren in Deutschland, und das Thema steht im Deutschen Bundestag für Ende 2025/Anfang 2026 auf der Tagesordnung. Ich hoffe, der Ausbau kann danach rasch beginnen.

Historischer Durchbruch beim Brenner Basistunnel steht bevor
Ihre Vorgängerin Adina Valean hat Tirols Beschränkungen des Lkw-Verkehrs zur Abfederung der Belastung für die Bevölkerung scharf kritisiert. Sind für Sie – selbst unter der Beachtung des freien Warenverkehrs in der EU – Lkw-Obergrenzen in besonders stark belasteten Regionen denkbar?
Eine langfristige Lösung muss sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen: Sie muss die Interessen der Bevölkerung entlang des Korridors gegenüber jenen des Güterverkehrs aufwiegen, der ein Motor für Wettbewerbsfähigkeit ist, die wiederum Wohlstand schafft. Im Einklang mit dem EU-Recht können die Mitgliedstaaten zum Beispiel Bepreisungsmechanismen nach dem Grundsatz „wer nutzt, bezahlt“ anwenden, um etwa Infrastruktur- und Umweltkosten des Verkehrs zu decken. Mit zeitabhängigen Mautgebühren könnten Spitzenphasen auf Schweizer Niveau bepreist werden, um Fahrten in diesen Perioden unattraktiver zu machen.
Was denken Sie über den Vorschlag einer höheren Lkw-Maut speziell für den Korridor München–Verona? Immerhin fahren über den Brenner mehr Laster als über alle Alpenpässe der Schweiz und Frankreich zusammen.
Ein gemeinsamer Ansatz Österreichs, Italiens und Deutschlands ist die einzige langfristige Lösung, und eine koordinierte Mautpolitik zwischen München und Verona hat das Potenzial, sehr gute Ergebnisse zu erzielen.
Der BBT wird in jedem Fall das Bahnreisen wesentlich beschleunigen. Wann werden Züge europaweit in der Verbindung wichtiger europäischer Städte preislich und zeitlich mit Flugzeugen mithalten können?
Wir arbeiten derzeit an einem Aktionsplan für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz. Dabei haben wir den Preis und die Reisezeiten verschiedener Verkehrsoptionen – Bus, Bahn, Flugzeug – analysiert und mit den Reisezeiten verglichen, mit denen wir rechnen können, sobald die Hochgeschwindigkeitsverbindungen stehen. Die Ergebnisse sind beeindruckend. Viele Reisen werden in Zukunft wesentlich kürzer dauern. Einige Projekte stehen kurz vor dem Abschluss, andere sollen bis 2040 vollendet werden – das ist das Datum für die Fertigstellung des erweiterten transeuropäischen Verkehrsnetzes.
Und der Preis?
Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist offensichtlich, dass die Bahn nur dann neue Kunden gewinnen kann, wenn faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Die Europäische Kommission hat kürzlich Leitlinien zu Trassenentgelten angenommen und betont darin, dass die Entgelte auf die optimale Nutzung der Netzkapazitäten und nicht auf die Maximierung der Einnahmen ausgerichtet sein sollten.
Den Mitgliedstaaten kommt hier eine wichtige Rolle zu: Infrastrukturbetreiber können nur dann faire Gebühren ansetzen, wenn sie über ausreichende Finanzmittel verfügen. Die Mitgliedstaaten legen auch die Mehrwertsteuersätze für den Personenverkehr fest. Unter Wahrung des Grundsatzes der Steuerneutralität würde ich es begrüßen, wenn sie diese Flexibilität nutzen, um die Wettbewerbsbedingungen für die verschiedenen Verkehrsträger anzugleichen.
Bei Ihrem Hearing vergangenes Jahr haben Sie angekündigt, an dem sogenannten "Verbrenner-Aus" ab 2035 festhalten zu wollen. Die endgültige Entscheidung soll heuer fallen. Haben Sie sich schon entschieden?
Der Verkehrssektor ist der einzige unter den wichtigen Wirtschaftssektoren in der EU, in dem die Emissionen heute höher sind als 1990. Wir müssen diese Emissionen bis 2050 um 90 Prozent reduzieren, um Klimaneutralität gemäß dem Europäischen Klimagesetz zu erreichen. Das Ziel für 2035 schafft Planbarkeit für Investoren und Hersteller. Das ist wichtig, denn wir müssen in Technologieneutralität, neue Wertschöpfungsketten, Infrastruktur – Ladepunkte, Stromnetz – und die Umschulung von Arbeitskräften investieren. Die Normen fördern auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU.
Andere große Volkswirtschaften legen beim Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen ebenfalls einen Gang zu. Und ich möchte nicht, dass die europäische Industrie hier ihre weltweite Führungsposition verliert. Wir dürfen auch Europas Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen nicht außer Acht lassen. Darum möchte ich heute wiederholen, was ich schon in meiner Anhörung gesagt habe, nämlich, dass es wichtig ist, auf Kurs zu bleiben.
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