Anschlag auf Zeugen Jehovas: Hausdurchsuchung bei verdächtigem Ex-Mitglied

Es ist ein Freitag im August, der den Parkplatz des Königreichssaals der Zeugen Jehovas in Leibnitz zu einem Tatort machen soll.
Während einer Gebetsstunde der Glaubensgemeinschaft ertönt ein lauter Knall. Ein Sprengsatz am geparkten Auto einer Frau detoniert, wenig später startet ein Mann nach der Zusammenkunft der Zeugen Jehovas sein Fahrzeug, während der Fahrt detoniert auch ein Sprengsatz an seinem Pkw.
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Für die Polizei ist rasch klar: Es handelt sich um keinen Böller, sondern um "eine professionelle Konstruktion, die wir nicht auf die leichte Schulter nehmen", wie es damals heißt. Laut KURIER-Informationen soll es sich um Rohrbomben gehandelt haben. Nur eine Fehlkonstruktion dürfte Schlimmeres verhindert haben.
Dann wird es ruhig um den Fall, doch nun dürfte es eine erste heiße Spur zu einem Verdächtigen geben, inklusive Hausdurchsuchung, wie die Staatsanwaltschaft Graz bestätigt.
Lesen Sie im Folgenden:
- Wer ein möglicher Hauptverdächtiger sein könnte
- Warum ihn offenbar unerfüllte Liebe antrieb
- Was ein Profiler mit dem Fall zu tun
Es ist Dienstag dieser Woche, als es zu besagter Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit den Ereignissen von August am Parkplatz des Königreichssaals kommt. Monatelang hat die steirische Polizei zuvor akribisch ermittelt.
Sprengstoffexperte und Videoauswertung
Wie berichtet, wurde der eingesetzte Sprengstoff von einem Experten des Entschärfungsdienstes genau analysiert. Ebenso wurden Videoaufzeichnungen ausgewertet. Sowohl Bilder aus den Kameras vom nahegelegenen Bahnhof, als auch von einem Autohaus in der Nähe, sowie von Geschäften.
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Doch offenbar ohne Ergebnis. Bis ein Mann ins Visier der Ermittler gerät: Laut KURIER-Informationen ein Ex-Mitglied der Zeugen Jehovas.
Bei dem Verdächtigen soll es sich um den Ex-Partner jener Frau handeln, an dessen Auto eine Bombe detonierte. Sein mögliches Motiv? Liebe und Hass. Wie es sich darstellt, wollte er offenbar die Frau heiraten, erhielt aber keine Erlaubnis der Glaubensgemeinschaft. Ob dies als Tatmotiv ausreicht, ist noch unklar.
Profiler in Fall eingebunden
Die Polizei lässt jedenfalls einen möglichen Tätersteckbrief durch einen Profiler erstellen, der offenbar auch auf den Mann zutreffen könnte. Weitere Indizien veranlassen die Staatsanwaltschaft dann offenbar zur Genehmigung einer Hausdurchsuchung an der Adresse des Mannes in dieser Woche.
Von der Landespolizeidirektion Steiermark wird auf KURIER-Anfrage an die Staatsanwaltschaft Graz verwiesen.
Dort heißt es: "Ja, wir bestätigen, dass es aufgrund eines Anfangsverdachts eine Hausdurchsuchung gegeben hat. Es wurden Datenträger sichergestellt, diese gilt es nun auszuwerten. Erst dann werden wir mehr wissen", sagt Staatsanwalt Hansjörg Bacher.
Die Zeugen Jehovas
sind in Österreich eine staatlich anerkannte Kirche. Nach über 30 Jahren Einsatz hatte das zuständige Kultusamt im Mai 2009 der damals fünftgrößten Glaubensgemeinschaft in Österreich grünes Licht für den Status als Religionsgemeinschaft gegeben. Dem vorausgegangen war ein entsprechender Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
22.000 Mitglieder
Nach eigenen Angaben haben die Zeugen gut 22.000 aktive Mitglieder in Österreich, die stärkste Gruppierung davon in Oberösterreich. In der Steiermark sind knapp 2.800 Mitglieder vermerkt. Die Treffen der Kirche finden in der Regel in so genannten Königreichssälen statt. Davon gibt es hierzulande 160.
Lehre
Grundlage der Lehre der Zeugen Jehovas ist der aus der Bibel abgeleitete „Plan Gottes mit der Menschheit“. Dem „allmächtigen Gott und Schöpfer“ Jehova oder Jahwe, sind seine Zeugen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Als „wahre Christen“ müssen sie Zeugnis für ihren Gott ablegen und die Botschaft von seinem Königreich predigen.
Anders als die großen christlichen Religionen glauben die Zeugen Jehovas nicht, dass die Seele des Menschen nach seinem Tod weiterlebt. Er habe keine, sondern sei die Seele selbst. Den Weltuntergang haben die Zeugen Jehovas mehrfach angekündigt.
Keine Wahlen
Weil sie Politik und Religion für unvereinbar halten, nehmen sie nicht an Wahlen teil. Gleiches gilt für Demonstrationen.
Bekannt sind die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer stark ausgeprägten Missionstätigkeit, bei der sie von Haus zu Haus ziehen und ihre Zeitschriften „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“ an die Frau und den Mann bringen wollen. Finanziert werden die Zeugen Jehovas mit - nach eigenen Angaben freiwilligen - Spenden.
Keine Bluttransfusionen, kein Rauchen
Der Glaube greift in allen Bereichen stark in das Leben der Anhänger ein. Aufmerksamkeit erregen die Zeugen Jehovas auch medial immer wieder wegen der Ablehnung von Bluttransfusionen, was mitunter lebensbedrohlich sein kann. Rauchen dürfen Zeugen übrigens auch nicht. Privat bleibt man gerne unter sich. Von Heiraten mit Personen, die keine Zeugen sind, wird abgeraten. Die Ehe ist heilig, Scheidungen nur bei Ehebruch vorgesehen.
Gründung
Gegründet wurde die Gemeinschaft von dem US-Amerikaner Charles Taze Russell Ende des 19. Jahrhunderts als Verlagsgesellschaft der Bibelforscher. 1911 kam Russell erstmals für einen Vortrag nach Wien. Regelmäßige Vorträge gab es ab 1921, ein Jahr später wurde die Tätigkeit auf andere österreichische Städte ausgedehnt.
Im Jahr 1938 gab es in Österreich 550 aktive Zeugen Jehovas. Wegen der Verweigerung des Hitlergrußes und des Wehrdienstes kam es zu Verfolgungen durch das Hitler-Regime, etwa ein Viertel der Anhänger der Glaubensgemeinschaft wurde getötet. Nach dem Krieg nahmen die Zeugen Jehovas ihre organisierte Tätigkeit wieder auf.
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