50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen
Die vergangenen 50 Tage werden in die Geschichte des Landes eingehen. Ein Dossier als Zeitdokument.

Auf einmal war nichts mehr wie zuvor. Am morgigen Montag ist es genau 50 Tage her, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus' in Österreich in Kraft in getreten sind. Das öffentliche Leben kam in großen Teilen der Welt zum Stillstand. 

Sieben Wochen und einen Tag hat dieser Ausnahmezustand in Österreich gedauert - die Folgen sind noch nicht gänzlich abzusehen.  

Der KURIER hat in sieben Texten und Grafiken auf diese sieben Wochen zurückgeschaut, um die 50 Tage, die in die Geschichte des Landes eingehen werden, zu dokumentieren.

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

Seit 16. März sind die Spielplätze, wie hier im Prater, schon gesperrt

Woche 1: Ausnahmezustand

Im Café Europa verteilt der Kellner Obst – gratis. Man müsse es sonst wegwerfen. Kurz vor 15 Uhr: Der letzte Kaffee geht aufs Haus. Eine Kellnerin hat Tränen in den Augen. Dann beginnt eine lange Sperrstunde – bis auf weiteres.

Montag, 16. März: Nicht nur Lokale müssen schließen, sondern auch Baumärkte, Sportplätze, Kulturstätten und Universitäten. Die „kritische Infrastruktur“ bleibt offen: Supermärkte, Bankfilialen, Arztpraxen oder Schulen zur Kinderbetreuung.

Österreich stellt auf Notbetrieb um. Für das ganze Land gilt eine Ausgangsbeschränkung. Es gibt offiziell nur noch vier Gründe, den öffentlichen Raum zu betreten: Um zur Arbeit zu gelangen, für dringend notwendige Besorgungen, um anderen zu helfen und um im Freien Luft zu schnappen – mit einem Meter Sicherheitsabstand.

Hohe Steigerungsrate

Ein Aufschrei geht durch die Wirtschaft, hohe Arbeitslosenzahlen sind vorprogrammiert. Das erste Rettungspaket von vier Milliarden Euro reicht nicht.  Die Regierung justiert nach, legt ein 38-Milliarden-Hilfspaket vor, bittet Unternehmen, Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken.

Angesichts dessen: Sind die Maßnahmen angemessen? Pro Tag gibt es am Wochenbeginn etwa 33 Prozent Neuinfektionen. Bei einer gleichbleibenden Steigerung der Infektionen drohen Verhältnisse wie in Norditalien, wo einzelne Spitäler kollabieren. Ende der Woche sinkt die Steigerungsrate. Gesundheitsminister Anschober spricht von einem „Silberstreif am Horizont“.

Von Michael Hammerl

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

Woche 2: "Koste es, was es wolle"

„Ich musste erstmals in meinem Leben realisieren, dass ich kein Geld mehr einnehmen würde.“ So wie Hemdenschneider Nico Venturini ging es fast allen: keine Online-Plattform, Selbstabholung wie bei Gasthäusern gab es erst später. Produktionsstraßen standen still.

Bei einer legendären Pressekonferenz kündigte die Regierungsspitze ein 38 Milliarden-Hilfspaket an. Sebastian Kurz: „Koste es, was es wolle“. Es war die Abkehr von der Doktrin, keine neue Schulden mehr zu machen. Finanzminister Gernot Blümel erklärte in seiner Budgetrede am 20. März, es gehe „um die Bewältigung der größten Krise, die meine Generation je erlebt hat“.

Die vier Maßnahmen:

Kredite zur Sicherung der Liquidität: Zunächst sollten „nur“ 90 Prozent besichert werden, doch den Banken waren selbst 10 Prozent Restrisiko zu hoch. Dann wurde auf 100 Prozent Besicherung aufgestockt. Aber die Banken sollten dafür haften, dass das Unternehmen überlebensfähig ist. Erst vergangene Woche wurde dieser Punkt ausgeräumt.

Direktzuschüsse: Weil vielen Firmen durch Umsatzeinbrüche vernichtende Verluste drohten, kann man einen nicht rückzahlbaren Zuschuss zur Deckung der Leerkosten beantragen. Die Regierung wollte 90 Millionen Euro pro Unternehmen als Maximalbetrag, doch die EU erlaubte vorerst nur 800.000 Euro. Weiterer Haken: Erst ab 40 Prozent Umsatzrückgang wird die Hilfe gewährt, viele fallen dadurch um dieses Instrument um.

Kurzarbeit: Zumindest vorläufig die Rettung für viele  Arbeitsplätze. Am 1. Mai waren 1,2 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Die Arbeitslosigkeit stieg trotzdem von 350.000 auf 588.000 Personen, ein Plus von 60 Prozent.

Härtefallfonds: Für Freiberufler und Ein-Personen-Unternehmen gibt es insgesamt 6.000 Euro nicht rückzahlbare Soforthilfe. Die Abwicklung übernahm die Wirtschaftskammer. Diese bearbeitete seither 240.000  Anträge, 500 Mitarbeiter wurden eingesetzt. 

Von Richard Grasl

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Woche 3: Das Leben mit der Maske

Seit Anfang April sind Mund-Nasen-Schutzmasken (MNS-Masken) nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Den Anfang machten am 6. April die Supermärkte. Dort mussten Kunden zuerst verpflichtend Schutzmasken tragen. Zunächst gaben Rewe, Spar und Co. die MNS-Masken noch gratis an ihre Kunden aus. Nach der ersten Woche schwenkten die Supermärkte jedoch um. „Wir haben in der letzten Woche gratis verteilt, nun müssen sie eine kaufen“, sagt eine Angestellte damals zum Kurier. Drei Stück für drei Euro kosteten die Masken anfangs. Die  Angebote wurden vielfältig: zehn Masken zum Preis von 7 Euro bei Hofer, oder 50 Stück um 38 Euro bei Spar.

Diese Summen können schnell zum Problem werden, vor allem deswegen, weil man die Masken im Idealfall nur einmal tragen sollte. Was folgte, waren landesweite Initiativen zur Eigenproduktion der Masken. Von Näh-Anleitungen in Zeitungen und im Internet bis hin zu Menschen, die ihre Nähmaschinen auspackten und Masken  für Bedürftige und Einsatzkräfte anfertigten.

Mitte April wurde die Maskenpflicht dann verschärft. Zunächst mussten Kunden nur dann eine Maske tragen, wenn der Supermarkt diese auch im Angebot hatte.

Öffis und Schule

Ab 14. April war sie dann verpflichtend für alle. Und nicht mehr nur in Supermärkten, sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln und selbst im Auto. Letzteres aber nur dann, wenn sich im gleichen Fahrzeug mehrere Personen befinden, die nicht im gleichen Haushalt leben. Ausgenommen von den Regelungen waren und sind bis heute Kinder unter sechs Jahren.

Für die Schulöffnung im Mai wird die Schutzmaske erneut entscheidend. Zwar müssen die Schüler die MNS-Masken nicht während des Unterrichts tragen, sehr wohl aber in der Pause am Gang und auf dem Weg zur Schule.

Von Kevin Kada

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

Woche 4: Reisefreiheit adieu

Hört man Tourismusministerin Elisabeth Köstinger zu, kommt keine große Reiselaune auf: „Wir müssen uns auf massive Einschränkungen der Reisefreiheit einstellen.“ Niemand könne seriöserweise sagen, wie sich die Infektionszahlen weiter entwickeln und wann welche Landesgrenzen wieder überschritten werden dürfen. Soll heißen, ob sich diesen Sommer die Lage in Lignano entspannt und auf Mallorca bald wieder die Party steigt, steht in den Sternen. Das gilt auch beispielsweise für Athen, Paris oder die Insel Brac.

Während Politiker zum Urlaub im eigenen Land aufrufen, werden die Reisemöglichkeiten ins Ausland ohnehin immer beschränkter. Im Luftraum über Europa sind Anfang April 90 Prozent weniger Flieger unterwegs als in normalen Zeiten. Das österreichische Außenministerium hat die bereits bestehenden Reisewarnungen weiter ausgeweitet.

Urlaub daheim

Auch Urlaub im eigenen Land kann man sich vorerst abschminken.  Hotels sind behördlich geschlossen. Erst am 29. Mai, pünktlich zum verlängerten Pfingstwochenende, dürfen sie wieder öffnen. Bleibt die Frage, woher diesen Sommer die Gäste kommen sollen. Wifo-Ökonom Oliver Fritz geht in einem Worst-Case-Szenario davon aus, dass allein im Juli 80 Prozent der deutschen Gäste ausbleiben. Ein Minus, das die Österreicher nicht kompensieren können. Auch wenn die Österreich Werbung  Budget in das Werben um den Inlandsgast umlenkt.

In der vergangenen  Sommersaison gingen 70 Prozent der insgesamt 79 Millionen Gästenächtigungen auf das Konto ausländischer Gäste, allen voran auf jenes der deutschen Urlauber. Auf diese werden die Vermieter heuer aber noch länger warten müssen. Anfang Mai warnten deutsche Spitzenpolitiker vor einer frühzeitigen Grenzöffnung zu Österreich – wohl auch um dem eigenen Tourismusbetrieben zu helfen.

Von Simone Hoepke

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Woche 5: Aufsperren und Aufatmen

Dass ausgerechnet Klopapier und Germ die beiden Produkt-Favoriten unter den Hamsterkäufern waren, das überraschte bereits zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen Mitte März. Aber wie sehr den in Österreich lebenden Menschen auch Heimwerkerbedarf und Blumenerde  gefehlt haben müssen, das zeigte sich erst am Dienstag nach Ostern. Es war jener Tag, an dem mit der Teilöffnung des Handels die Normalität wieder ein Stück weit Einzug ins Land hielt.

Zurück im Baumarkt

Baumärkte und Gartencenter durften nun endlich wieder aufsperren, ebenso kleinere Geschäfte bis zu einer Fläche von 400 Quadratmetern. Nicht zuletzt wurden auch die Bundesgärten, um deren Öffnung sich der Bund und die Stadt Wien ein erbittertes Match geliefert hatten, der Bevölkerung wieder zugänglich gemacht.
 
Der Andrang war recht unterschiedlich. Wohl auch aufgrund des kühlen Wetters blieben die Parks,  nun von einem Ordner bei jedem Tor bewacht, um Gedränge zu vermeiden, ziemlich leer. Einige Baumärkte hingegen erlebten ab den Morgenstunden einen massiven Ansturm - Staus bei den Einfahrten und lange Schlangen von „Maskierten“ mit Einkaufswägen inklusive.

Ein ähnliches Bild – und das überraschte nun fast so sehr wie der eingangs erwähnte Germ – zeigte sich vor kleineren Textilgeschäften. Dabei lag die Erklärung nahe: Gummibänder für die nun massenhaft selbst genähten Mund- und Nasenschutzmasken waren gefragter denn je zuvor.

Das Aufatmen, das mit dieser zumindest teilweisen Öffnung des Handels einherging, zeigte sich in der Folge zwar nicht in dem befürchteten Wiederanstieg der Erkrankungen, wohl aber in einem nun wieder stärkeren Verkehrsaufkommen auf Österreichs Straßen. Wobei: Richtige Staus sollte es erst eine Woche später vor den wieder geöffneten McDrive-Filialen geben.

Von Elisabeth Hofer

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

Vor allem jüngere Schüler brauchen Hilfe beim Lernen daheim.

Woche 6: Schulstart vor Ferienstart

In zwei Wochen ist der Spuk vorbei und die lieben Kleinen wieder in der Schule – bis dann wenige Wochen später acht Wochen Sommerferien beginnen. Seit 16. März gilt der Lockdown für die 5.500 Schulen, für 1,1 Millionen Schüler und 300.000 Kindergartenkinder. Plötzlich war das zuvor Undenkbare Realität geworden. Und die Bildungspolitik, Bildungsminister Heinz Faßmann an vorderster Front, musste hoffen, dass die Schule@daheim und das „distance learning“ gut umgesetzt werden können.

Blaupause oder Masterplan, wie ein Schulbetrieb bei einer globalen Pandemie aufrecht erhalten werden kann, gab es nicht. Wie alle anderen Ministerien auch, versuchte Faßmanns Kabinett zu improvisieren, mit blitzartig erstellten Gesetzen und zahlreichen Erlässen. Auf gleich zwei Ebenen hatte Faßmann nur wenig Einfluss: Dass die Lehrer die verordnete Blitzdigitalisierung so weit wie nur irgendwie möglich mittragen und nicht auf ihr Dienstrecht aus der Prä-PC-Ära pochen. Und noch mehr, dass die Eltern, viele davon selbst im Homeoffice, mit den Sprösslingen Aufgaben machen.

Nun kommen die Schüler in den Abschlussklassen wieder zurück zur Schule, in zwei Wochen werden dann alle anderen schrittweise folgen. Unter gänzlich neuen Hygieneregeln, in geteilten Klassen, mit Mundschutz im Schulhaus (außer beim Unterricht).

Was haben wir bisher daraus gelernt? Dass es ein Fehler war, die Digitalisierung nicht schon lange umgesetzt zu haben, sagt auch Faßmann selbst. Dass Pädagogik und Didaktik nichts ist, was man über Nacht erlernen kann. Dass Pädagogik mitunter ein sehr harter Job ist. Dass es bei der Koordinierung der Lehrer untereinander viel Luft nach oben gibt.

Schmerzlich war die Erfahrung vor allem für zehntausende Kinder aus bildungsfernen Familien, in denen die Eltern aus Unvermögen oder Unwillen ihren Kindern kaum bis nicht helfen können. Auch dafür braucht’s einen Masterplan.

Von Elisabeth Hofer und Bernhard Gaul

50 Tage Corona: Der Lockdown und seine Folgen

Woche 7: Ende der Verbote, die es nie gab?

Wie gut eine Krise, die historisch kaum mit einer vorangegangen  vergleichbar ist, von den jeweiligen Regierungen gemanagt wurde, das lässt sich seriöserweise wohl erst im Rückblick sagen.

Ab der Verkündigung eines Endes der Ausgangsbeschränkungen sieben Wochen nach ihrem Beginn, wird sich nun auch die österreichische Regierung zunehmend der Frage nach der Angemessenheit und ja, auch der Rechtmäßigkeit der verordneten Maßnahmen stellen müssen. 

Kritik hatte es freilich schon zuvor gegeben, an den vielen Pressekonferenzen etwa, deren Informationswert – so die Kritiker – teilweise recht überschaubar war. Auch sorgte der sogenannten „Ostererlass“, der später zurückgezogen wurde, für einige Verwirrung und Tadel.

„Verunglückt“

Und dann ist da noch etwas, das an den Tischen der ab 15. Mai wieder geöffneten Lokale (maximal vier Personen und ein Kind am Tisch, keine Salzstreuer!)  oder am Rand, der nun wieder nutzbaren Sportplätze diskutiert werden wird: Waren die Ausgangsbeschränkungen rein formal überhaupt gültig?

Immer mehr Experten hatten zuletzt Bedenken geäußert, ob die von der Regierung genannten vier Gründe, das Haus zu verlassen, durch die entsprechende Verordnung überhaupt gedeckt waren. So machte der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk im KURIER darauf aufmerksam, dass der Generalanordnung, abseits der vier Gründe zu Hause zu bleiben, ein Punkt folgt, der ihr widerspricht: Wenn Menschen alleine oder mit Mitbewohnern in einem Abstand von einem Meter unterwegs sind, so ist das zulässig.

Funks Conclusio: Die Verordnung sei „legistisch Not leidend und schrecklich verunglückt“ gewesen. Weder Polizei noch Bürger hätten auf dieser Basis genau wissen können, was rechtens ist, und was nicht.

Von Christian Böhmer und Elisabeth Hofer

KURIER-Titelseiten aus sieben Wochen Ausnahmezustand

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Können wir uns heuer den Urlaub aufzeichnen?
Kurz gesagt: Ja

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