Gutachter hält Drohungen als Auslöser für Suizid für möglich

Vor Prozessbeginn
Tag drei im Prozess in Wels um die Corona-Ärztin Lisa-Maria Kellermayr aus Seewalchen.

Nach knapp zwei Wochen geht es heute, Dienstag, am Landesgericht in Wels im Prozess gegen jenen 61-jährigen Deutschen weiter, dem vorgeworfen wird, durch seine Nachrichten dazu beigetragen zu haben, dass sich die junge Ärztin das Leben genommen hat. 

Der Angeklagte kommt - wie an den ersten beiden Prozesstagen - mit schwarzer Haube, dunkler Sonnenbrille, braunem Schal und schwarzem Mantel ins Gericht. Erst nach Aufruf zur Sache legt er den Mantel ab, mit blütenweißem Hemd nimmt er auf der Anklagebank Platz. 

Gutachter hält Drohungen als Auslöser für Suizid für möglich

Vor Prozessbeginn

Heute stehen prominente Zeugen am Programm. Adelheid Kastner, die bekannte Psychiaterin etwa, ist als Zeugin geladen. Nicht als Gutachterin, wie in den meisten anderen Fällen. Denn Kellermayr war kurz vor ihrem Tod noch bei Kastner. 

Prominente Zeugenliste

Befragt wird heute auch der Präsident der Ärztekammer Oberösterreich, Peter Niedermoser. Bislang war im Prozess die Rede davon, dass sich Kellermayr mehr Unterstützung von dieser Stelle erhofft hätte. Aus der Einvernahme Niedermosers erhoffen sich die Verteidiger des Angeklagten, Sonja Fasthuber und Martin Friedl, Aufschlüsse über Kellermayrs Verhalten in dieser Zeit. 

Gutachter hält Drohungen als Auslöser für Suizid für möglich

Sonja Fasthuber und Martin Feigl, die Anwälte des Angeklagten

Mit großer Spannung war das Gutachten von Peter Hofmann erwartet worden. Er verweist bei Kellermayr nochmals auf eine „Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit starken emotionalen Schwankungen“, auf eine immer wiederkehrende Lebensüberdrüssigkeit mit mehreren Suizid-Versuchen, die „ein Bestandteil ihres Lebens“ gewesen seien. 

Und er berichtet von einer Frau, die die Neigung hatte, von gleichen Szenen bei unterschiedlichen Personen unterschiedliche Bilder zu erzeugen. 

Welche Rolle spielte der Angeklagte?

Konkret geht es aber bei ihm um die Frage: Welche Rolle haben die Drohungen des Angeklagten beim Suizid der Ärztin gespielt. 

Der Gutachter sieht die wirtschaftlichen Probleme und eine Bilanz des Scheiterns mit der Ordination als Hauptursachen. Er ist aber auch überzeugt, dass ihre Sicherheitsmaßnahmen, die zu den wirtschaftlichen Problemen geführt haben, aus einer realen großen Angst Kellermayrs entstanden sind: „Die Frau hat tatsächlich Angst gehabt.“ 

Volkstribunal-Drohung könnte Suizid ausgelöst haben

Ein Puzzle sei jedenfalls die Konfrontation mit dem Angeklagten. „Aus fachlicher Sicht kann ich nicht ausschließen, dass das nicht ein mittelbarer Anlass für ihr Handeln war.“ Sprich: Die Drohung des Volkstribunals könne der Auslöser für den Suizid gewesen sein. 

Und auf Nachfrage des Staatsanwalts konkretisiert er: „Im Abschiedsbrief gab es keine Übertreibung, er ist unprätentiös. Ich schließe nicht aus, dass durch die Drohungen des Angeklagten eine Mittelbarkeit anzunehmen ist.“ 

Und fügt an: „Bei jemand, der angeschlagen ist, weiß man, dass eine weitere Drohung ein Fass zum Überlaufen bringen kann.“ Und solche angekündigten Tribunale, die auch Reichsbürger inszeniert haben, „das sind schon psychisch belastende Faktoren“, ist der Gutachter überzeugt.

Schon zuvor erfolgte die Zeugeneinvernahme der forensischen Psychiaterin Adelheid Kastner.

Rudi Anschober als Vermittler

Auf Vermittlung von Rudi Anschober, dem Gesundheitsminister aus Oberösterreich, hat sich Kastner kurz vor dem Suizid mit Lisa-Maria Kellermayr getroffen. „Um eine Gefahrenabschätzung durch die Drohungen vorzunehmen“, hält Kastner fest. 

Kellermayr habe ihr Ausdrucke ihrer Kommunikation vorgelegt. "Absurd, abstrus und bizarr" benennt Kastner die Mord- und Folter-Drohungen. Sie halte den oder die Schreiber für einen gestörten Verbalsadisten, der Befriedigung aus der Angst der Betroffenen ziehe. Dass die Drohungen wahrgemacht werden, glaubt sie nicht.

Ihr Rat: Kommunikation einstelle. "Wenn sie ihm Aufmerksamkeit entzieht, hört es auf. Ich würde mich aus den sozialen Medien zurückziehen", habe Kastner vorgeschlagen. 

"Aufgeregt, aber nicht ängstlich"

Zum Zeitpunkt des Gesprächs im Juni habe sie Kellermayr nicht ängstlich, sondern mehr als aufgeregt erlebt: „Ich hatte den Eindruck, dass die Aufmerksamkeit, die sie generiert, ihr nicht ungelegen gekommen ist. Aber das ist keine gutachterliche Einschätzung.

Suizidale Merkmale oder ein Anzeichen von Depression habe sie nicht erkannt, sonst „hätte ich ihr eine stationäre Aufnahme, notfalls gegen ihren Willen, angedeihen lassen“. Schließlich habe es Zukunftsperspektiven und Ideen gegeben, aus der Situation herauszukommen. 

"Interessante Facebook-Postings"

Dann ist Peter Niedermoser an der Reihe. Der Präsident der oö. Ärztekammer ist über ihre „interessanten Facebook-Postings“ im Jahr 2014 auf die junge Ärztin aufmerksam geworden, hat sie dann dazu bewogen, auf seiner Liste bei den Ärztekammerwahlen zu kandidieren.

Auch in der Zeit der Drohungen hat er mit ihr Kontakt gehabt, ihr geraten, sich „aus Selbstschutz“ ein bisschen zurückzunehmen. Er selbst habe in der Zeit auch Morddrohungen erhalten, zwei davon habe er verfolgen lassen: „Das ist im Nirvana geendet.“ 

Aber für Kellermayr sei ein Rückzug aus der Öffentlichkeit nicht infrage gekommen: „Sie wolle nicht schweigen, hat sie dazu gesagt.“

"Unterstützung soweit wie möglich"

Niedermoser schildert die Unterstützungsangebote: 7.200 Euro aus einem Sondertopf als Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen hat es gegeben, über andere Hilfsmaßnahmen hat es Gespräche gegeben, wenige Tage vor dem Tod der Ärztin. Zum vereinbarten Kassasturz ist es nicht mehr gekommen. 

Die Staatsanwaltschaft legt dar, dass zum Zeitpunkt des Suizids keine Zahlungsunfähigkeit bestanden habe. 

Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. 

Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u.a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133).

„Ich weiß, dass du und die Kammer gut dastehen wollt, aber damit bringt ihr mich um“, wird Kellermayr aus dem Gerichtsakt zitiert. Niedermoser hält entgegen: „Wir haben alles ausgeschöpft und darüber hinaus, was an Unterstützung laut Statuten möglich war.“ Und es hätte weitere Hilfen gegeben, betont Niedermoser. Eine Verknüpfung der Hilfe mit einem Rückzug aus der Öffentlichkeit habe es nicht gegeben. 

Eine Sitzung zur finanziellen Hilfe durch die Ärztekammer sei aber aus Kellermayrs Sicht wohl nicht zufriedenstellend verlaufen, wird seitens der Ärztekammer eingeräumt. 

Hilferuf an die Psychiatrie Linz

Am späten Nachmittag des Tages, in dessen darauffolgender Nacht Kellermayr ihren Suizid vollzogen hat, ruft die Ärztin den Vorstand der Psychiatrie in Linz an. Jörg Auer bestätigt als Zeuge vor Gericht: „Wir haben für Freitag die Aufnahme vereinbart und ein Bett für sie reserviert.“ 

Am Telefon habe sie niedergeschlagen gewirkt: „Ein Bett erschien angemessen, einen Notruf abzusetzen war nicht nötig.“ Gekommen ist Kellermayr am nächsten Tag nicht mehr. 

"Hätte Unterbringung angeordnet"

Über das Telefonat schreibt sie im Abschiedsbrief: "Ja, ich habe gelogen, dass ich durch die Nacht kommen werde.“ Für den Psychiater sei das nicht absehbar gewesen, sonst hätte "ich am Donnerstag eine Unterbringung angeordnet“.

Danach wird es wieder persönlich. Eine Journalistin, die sich mit Kellermayr über Twitter angefreundet hat, ist überzeugt: „Die schwerwiegendsten Drohungen waren von diesem Claas, aber auch jene des Angeklagten waren Thema, auch in ihrer letzten Sprachnachricht an mich.“

Freundin weiß von "schwersten Angstzuständen"

Kellermayr habe schwerste Angstzustände gehab – wegen der Nähe des Angeklagten und wegen der Volkstribunal-Drohungen: „Sie ist davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Gruppe handelt."

Bei einem persönlichen Treffen in Seewalchen, „war sie ein Häufchen Elend“, das zur Salzsäure erstarrt sei als ein Hündchen aufgesprungen ist.

An diesem Tag habe Kellermayr Suizidgedanken geäußert. Sie habe zu ihr gesagt: „Gib uns Zeit.“ Und sie hätte das Gefühl gehabt, das komme bei ihr an: „Das war ein großer Fehler.“

Treffen verschoben

Am 28. Juli wollte die Zeugin sich wieder mit Kellermayr treffen, das ist sich nicht ausgegangen und wurde auf den nächsten Tag verschoben. „Macht nichts, hat Lisa gesagt“, erinnert sich die Zeugin. Aber am 29. Juli war Kellermayr dann schon tot.

Am Mittwoch steht die Verlesung des Aktes am Programm, ebenso die Plädoyers. Und dann das Urteil, das für Mittwoch Nachmittag erwartet wird. 

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