Oberösterreich verpasst sich eine neue Hausordnung für alle

Kenan Güngör, Thomas Stelzer, Christian Dörfel
Integrationsexperte Kenan Güngör erarbeitet ein "kleines 1x1 des Zusammenlebens" für das Land Oberösterreich.

172 unterschiedliche Nationen leben alleine in Oberösterreich, selbst im kleinen Steinbach sind Menschen aus 24 unterschiedlichen Nationen wohnhaft. 276.300 Personen hatten per 1.1.2024 ihren Wohnsitz in OÖ, sind aber im Ausland geboren.

"Viele davon haben unterschiedliche Werthaltungen und kommen aus anderen Kulturen", weiß Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Weil Lebensanschauungen unterschiedlich sind, manche Lebensentwürfe auch nicht kompatibel, will das Land nun mit dem "kleinen 1 x 1 des Zusammenlebens" Abhilfe schaffen. 

Konkret soll ein leicht lesbarer, praktischer und nachvollziehbarer Leitfaden entstehen, der auch auf regionale Unterschiede eingehen soll. Denn immerhin schwankt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund von 5 Prozent in Freistadt bis 36 Prozent in Wels - wo es übrigens bereits eine "Hausordnung" gibt. 

Die "Hausordnung für Oberösterreich" soll übrigens nicht nur für Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund, sondern für alle Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher gelten, hält Integrationslandesrat Christian Dörfel fest, auch wenn er hauptsächlich diese Personengruppen adressiert: "Integration passiert nicht von alleine, sondern muss eingefordert werden."

Umfrage als Basis

Die Hausordnung soll auf Basis einer tragfähigen IMAS-Umfrage, zielgruppenspezifischer Arbeit mit Vertreterinnen unterschiedlicher migrantischer Communitys sowie Gesprächsrunden mit dem Integrations-Experten entstehen. 

Einer dieser Experten, der dazu beitragen wird, ist Soziologe Kenan Güngör. Er bringt einen differenzierten Blick auf die migrantische Gesellschaft in Oberösterreich ein und betont: "Wir leben in einer Vielfalt, und das ist gut so." 

10 Prozent desintegrativ

Und er verweist erneut auf sein "3 x 3" der Integration: "70 Prozent der Zuwanderer sind längst gut integriert, 20 Prozent, hauptsächlich Flüchtlinge, leben in prekären Situationen, sind aber integrationsbemüht." Und nur zehn Prozent seine dem desintegrativen Milieu zuzurechnen. 

Seiner Ansicht nach müsse die Hausordnung drei Punkte beinhalten: Verfassungsrechtliche Werte wie Demokratie, Freiheit und Gleichheit, soziale Werte wie Respekt, Toleranz und Verantwortung sowie kulturelle Werte wie Tradition im Spannungsfeld von Bewahrung und Weiterentwicklung, erläutert Güngör: "Es geht aber um eine Offenheit, die ich von beiden Seiten erwarte."

Und Dörfel konkretisiert: "Es geht etwa um den Respekt vor weiblichen Autoritäten, es geht darum, dass Worte von Pädagoginnen zählen, es geht um den Respekt vor allen Religionen. Aber es geht auch darum, dass Abfall getrennt und Müll nicht einfach liegen gelassen wird."

Was Güngör jedenfalls ablehnt: Dass aufgrund von Vornamen, wie das die Freiheitlichen jüngst in Linz anhand der Statistik getan haben, da Muhammad der häufigste Vorname in Linz war, Ableitungen getroffen werden. " Das ist problematisch", stellt er klar und erklärt: "Wir müssen immer dahinter schauen und in die Milieus hineinblicken." 

"Große Bandbreite bei Migranten"

Denn etwa bei den 9.000 Syrerinnen und Syrern in OÖ gibt es die Bandbreite vom Arzt, der seit Jahren im Spital arbeitet bis zum erfolgreichen Bauarbeiter. Das Bild sei aber geprägt vom Asylwerber, der im Flüchtlingsheim lebt. Für Güngör ist die Erstellung dieser Hausordnung "ein Klärungsprozess, der uns allen gut tut". 

Das glaubt auch Landesrat Dörfel, der Güngör darin beipflichtet, dass "es eine gut durchdachte Umsetzungsstrategie dafür geben muss". 

Diese wird es geben - aber nicht im oberösterreichischen Dialekt, wie Dörfel schmunzelnd anmerkt, aber jedenfalls betrifft die neue Hausordnung nicht nur migrantische Communitys, sondern versucht über alle Gemeinden und Vereine möglichst alle Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher zu erreichen. Als Basis eines gemeinsamen Werteverständnisses für alle Bevölkerungsgruppen. Auch die heimische. 

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