Handelsobmann: "Es ist eine Mär, dass die Kaufkraft sinkt"
Ernst Wiesinger ist Aufsichtsratspräsident von Kellner & Kunz (Großhandelsunternehmen, spezialisiert auf Schrauben, Werkzeuge und Kleinteile, 1.400 Mitarbeiter, Zentrale in Wels) und seit 2019 Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer.
KURIER: Warum sollen die Handelsangestellten bei den Kollektivvertragsverhandlungen nicht die 9,2 Prozent Erhöhung bekommen, die der öffentliche Dienst erhält, oder die 9,7 Prozent, die die Pensionisten erhalten?
Ernst Wiesinger: Wir verstehen im Prinzip die Gewerkschaft, die aufgrund der Vorgaben der Beamten und der Pensionisten sich mit einem Abschluss unter diesem Niveau nicht zufriedengibt. Aber keiner in der Wirtschaft versteht, dass die Pensionisten und Beamten diese Erhöhungen bekommen haben.
Das stößt auf Unverständnis?
Absolut. Damit wurden unsere Verhandlungen erschwert und torpediert. Der Staat verteilt halt, aber der Unternehmer muss mit den Kosten im nächsten Jahr überleben. Das macht es so schwierig. Wir im Handel haben eine sehr komplexe Struktur. Wir haben Unternehmen mit einer Marktmacht (Supermarktketten, Anm.. Red.), die die Kostenerhöhungen in Form von Preissteigerungen weitergeben können.
Damit haben wir auch keine Freude, denn wann fangen wir diese Inflation wieder ein? Die Personalkosten im Handel liegen je nach Standort zwischen 55 und 65 Prozent der Gesamtkosten. Sie sind im Vergleich zur Industrie und zum Handwerk viel höher. Damit wir überleben können, gibt es keine Alternative als diese Erhöhungen weiterzugeben.
Die im Handel erwirtschaftete Rendite ist mit ein bis drei Prozent sehr niedrig. Wir haben in Oberösterreich 30.000 Handelsbetriebe mit 100.000 Beschäftigten. Ein durchschnittliches Unternehmen hat, fünf, sechs Mitarbeiter. Diese haben keine Marktmacht. Sie müssen sich dem Wettbewerb stellen.
Der ist natürlich heute durch den Online-Handel ein völlig anderer.
Der Wettbewerb ist heute nicht mehr wie vor zehn Jahren der stationäre Handel um die Ecke, sondern durch die Digitalisierung international. Wenn sich jemand ein Paar Schuhe kauft, schaut er zuerst im Internet, was sie kosten dürfen. Das bedeutet, dass ein Großteil des Handels die Preiserhöhungen nicht weitergeben kann, weil er sich sonst den Umsatz ruiniert.
Wenn wir neun Prozent Kollektivvertragserhöhung haben, trifft uns das voll, den Online-Handel, der wenig Personal hat, wesentlich weniger stark. Zudem haben wir in Österreich das Spezifikum, dass wir eine sehr hohe Inflation haben. Das heißt, wir schießen uns aus der internationalen Wettbewerbsfähigkeit raus.
Die Handelsangestellten sind bei der Bevölkerung beliebt. Denn sie haben lange Arbeitstage, sie arbeiten auch am Samstag und sie werden in Relation zu anderen Berufsgruppen schlecht bezahlt.
Man kann die Arbeitszeiten als schlecht oder als individuell orientiert bezeichnen. Der Handel war die erste Branche, die Teilzeitmöglichkeiten angeboten hat. Der Großteil arbeitet Teilzeit. Die Angestellten haben die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit so zu gestalten, wie es für die Familie passt. Das ist ein Vorteil und kein Nachteil. Die Mitarbeiter haben nicht nur in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, sondern auch bei uns Arbeitgebern.
Wenn hohe Personalkosten vorliegen, müssen die Betriebe Mitarbeiter abbauen, um die Kosten im Griff zu haben. Dann wird von sechs Mitarbeitern einer weggegeben, damit es sich unter dem Strich ausgeht. Mit dem Effekt, dass die, die überbleiben, noch stärker belastet sind. Das wollen wir verhindern.
Es bleibt aber die Tatsche, dass die Lebensführung sehr, sehr schwierig ist, wenn eine Alleinverdienerin im Handel von ihrem Gehalt leben muss.
Es gibt verschiedene Branchen, die mehr oder weniger Ertrag hergeben. Der Handel ist nicht mit hohen Renditen gesegnet, daraus resultiert der Kostendruck. Wir müssen uns dem nationalen und internationalen Wettbewerb stellen.
Der stationäre Handel hat sich inzwischen auf die Konkurrenz aus dem Internet eingestellt. Wie ist momentan die Situation?
Corona hat die Relation zwischen dem stationären Handel und dem Online-Handel verändert.
Er hat durch Corona eine neue Dynamik erfahren?
Insofern, als es auch einen nationalen Online-Handel gibt. Jeder stationäre Handel hat spätestens in der Corona-Krise gesehen, dass er etwas machen muss, damit er am digitalen Kuchen teilnehmen kann. Er hat erkannt, dass er seine Ware nicht nur in Österreich verkaufen kann, sondern auch international. Die Bewusstseinsbildung hat sich sowohl bei den Unternehmern als auch in der Gesellschaft geändert.
Der Online-Handel ist in der Krise explodiert. Jetzt, wo die Krise wieder vorbei ist, verliert der Online-Handel wieder. Den Menschen ist wieder bewusst geworden, was sie durch den stationären Handel haben.
Service, Beratung.
Und dass das Einkaufen auch ein Erlebnis ist. Niemand hat ein Einkaufserlebnis, wenn er sich zum PC oder zum Handy setzt und etwas hineintippt. Wenn man durch die Einkaufsstraßen geht, ein Kaffeehaus besucht, und wenn man das zu zweit und nicht alleine macht, wenn man die Atmosphäre des Geschäfts aufsaugt, dann macht das Einkaufen wesentlich mehr Freude.
Wir sind heute froh, dass es den Online-Handel und den stationären Handel gibt. Das ist kein Konflikt mehr, sondern beides ist zusammengewachsen, sie sind eine Einheit.
Wir haben aber ein Problem mit dem internationalen Online-Handel, der nicht mit denselben Rahmenbedingungen kämpft wie der nationale. Das betrifft zum Beispiel die Besteuerung, die Mehrwertsteuer und die Zölle.
Was tun Sie dagegen?
Wir kämpfen auf EU-Ebene. Österreich kann alleine nichts tun. Die Regierung versucht, den Handel hier zu unterstützen, dass es zu fairen Rahmenbedingungen kommt.
Wie verteilen sich die Umsätze zwischen dem Online- und dem stationärem Handel?
Rund zehn Prozent ist Online-Handel, 90 Prozent stationärer Handel.
Wie hat sich das durch Corona verändert?
Der Online-Handel ist auf acht bis neun Prozent zurückgegangen. Vorher ist er von fünf auf 12 Prozent gewachsen, er hat sich nun zurückgebildet.
Wie läuft das Weihnachtsgeschäft?
Unterschiedlich, auch regional unterschiedlich. Das erste Adventwochenende war wegen des Schnees eine Katastrophe. Das vergangene Wochenende war mit dem 8. Dezember gemeinsam sehr zufriedenstellend und stimmt uns zuversichtlich.
Wird das Weihnachtsgeschäft vom Umsatz her ähnlich dem Vorjahr sein?
Wir hoffen, dass er gleich bleibt. Er wird nicht wachsen. Das Geschäft war das gesamte Jahr rückläufig, jetzt wird das Weihnachtsgeschäft keinen Gegentrend erzeugen, aber es wird vernünftig sein. Wir verwehren uns gegen die Aussage, dass die Menschen kein Geld zur Verfügung haben. Das kann schon rein vom Hausverstand her nicht stimmen.
Warum?
Wir haben heuer über das Jahr durchgerechnet eine Inflation von rund neun Prozent. Seit Oktober beträgt sie 6,5 Prozent. Im vergangenen Jahr gab es im Schnitt über alle Branchen Gehaltssteigerungen von sieben bis acht Prozent. Es wurde auch die kalte Progression abgeschafft.
Das heißt, dass die Menschen noch mehr zur Verfügung haben. Weiters hat es vom Staat Teuerungszuschüsse gegeben. Sodass in Summe der arbeitende und mit Transferleistungen gesegnete Österreicher nicht weniger Geld zur Verfügung hat als vorher.
Warum in den Medien herumgeistert, dass die Kaufkraft nicht da ist und dass die Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, verstehen wir überhaupt nicht.
Die karitativen Organisationen berichten Gegenteiliges. Sie würden nun viel stärker aufgesucht als vor der Teuerungs- und Inflationswelle.
Schauen wir in die Gastronomie. Da ist es schwierig einen Tisch zu bestellen, die Lokale sind voll ohne Ende. Alle, die mit dem Tourismus zu tun haben, freuen sich über das tolle Geschäftsjahr 2023. Wir können nicht nachvollziehen, was hier an medialer Aufregung von Kaufkraftverlust den Menschen erzählt wird. Wenn man das nachrechnet, weiß man, dass das de facto so nicht sein kann.
Geld ist also da?
Das Geld ist da. Es ist sicherlich ein Effekt entstanden, der im Handel eine Auswirkung hat. Es hat mehr als zehn Jahre für das Geld auf der Bank keine Zinsen gegeben. Es gab keinen Ertrag für das angesparte Vermögen. Die Menschen haben das Geld ausgegeben. Nun gibt es wieder zwei, drei, vier Prozent Zinsen.
Trotzdem bleibt bei der Inflationshöhe der Effekt der finanziellen Repression bestehen, die Menschen erleiden Vermögensverluste, weil die Inflation höher ist als die Sparzinsen.
Aber man bekommt nicht null Zinsen. Die Banken sprechen von steigendenden Spareinlagen. Jeder legt etwas zurück, weil er etwas an Zinsen bekommt.
Handel und Kaufen haben viel mit Stimmung zu tun. Wir im Handel verzeichnen nicht die Umsatzsteigerungen, die mit den Kostensteigerungen einhergehen. Es wird mehr für Reisen ausgegeben, ein bisserl mehr gespart, mehr für den Tourismus und für die Gastronomie ausgegeben. Das führt dazu, dass für den Handel nicht mehr überbleibt. Es ist eine Mär, dass die Kaufkraft sinkt.
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