Erste Hilfe für die Seele: Psychisch gesund im Arbeitsalltag

Hinter dem Rücken wird getuschelt, mit dem Team werden Gedanken ausgetauscht. Direkt mit der Person, um die sich alle Sorgen machen, redet am Ende niemand.
Damit Situationen wie diese in Unternehmen immer seltener vorkommen, hat pro mente OÖ unter dem Überbegriff "Erste Hilfe für die Seele" ein Seminarangebot entwickelt, das Menschen befähigen soll, auf ihr Umfeld zu achten, Schieflagen rechtzeitig zu erkennen und Hilfe anzubieten. 70 dieser Seminare gab es 2024 in Oberösterreich, Tendenz steigend.
Eines jener heimischen Unternehmen, das sich schon lange mit Gesundheitsförderung, auch im mentalen Bereich, beschäftigt ist die Lenzing AG: "Wir können anscheinend besser rechnen als andere Unternehmen. In die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren, zahlt sich immer aus", sagt Walter Kroeg, selbst Mediziner und Head of Global Health Care & Wellbeing bei Lenzing. Das zeige sich unter anderem in den Krankenstandstagen, die wesentlich geringer ausfallen würden als der oberösterreichische Durchschnitt.
Das Gelernte im Job anwenden
"Das größte Problem ist, dass sich keiner Probleme anzusprechen traut", sagt Katharina Kastner, Arbeitspsychologin bei Lenzing. Deswegen habe sich das Unternehmen entschlossen, den "Erste Hilfe für die Seele"-Kurs freiwillig für Mitarbeitende zur Verfügung zu stellen. Die Rückmeldungen nach den ersten Terminen waren sehr positiv: "Viele gaben an, das Gelernte bereits in Gesprächen angewendet zu haben."

Ein früher Wechsel kann emotional belasten.
Was lernen Ersthelfende zum Beispiel? Es geht unter anderem darum, Signale für psychische Erkrankungen zu erkennen und zu deuten. "Gemeinsam mit Fachleuten werden Strategien besprochen, darunter: Aufeinander zugehen, Zeit nehmen, sparsam mit gut gemeintem Rat sein, zuhören, nicht bewerten, wenn nötig, Hilfe holen", erzählt Andrea Viertelmayer, Projektkoordinatorin für das Programm bei pro mente OÖ. Geübt wird auch in Form von Rollenspielen.
Seminare
In OÖ haben bereits rund 1.500 Personen den Ersthelfenden-Kurs für psychische Gesundheit absolviert.
Krankenstand
Bei der durchschnittlichen Zahl an Krankenstandstagen pro erwerbstätiger Person liegen die psychischen Erkrankungen an vierter Stelle. Sie haben außerdem die zweitlängste durchschnittliche Krankenstandsdauer nach Neubildungen wie etwa Krebs.
Dass Prävention auf diesem Gebiet für Unternehmen Sinn macht, beweisen Zahlen und Prognosen: Die WHO geht davon aus, dass bereits 2030 unter den Top 5-Erkrankungen drei psychische vorkommen werden - Depressionen, Demenz und Suchterkrankungen.
So wichtig wie eine Herzdruckmassage
"Eine richtige Reaktion auf eine psychische Erkrankung ist demnach genauso wichtig, wie eine Herzdruckmassage", so Viertelmayer. Das Seminarangebot sei das Pendant zum Erste-Hilfe-Kurs für den Körper.
Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, ist durchschnittlich 37 Tage deswegen im Krankenstand. "Hier anzusetzen, bringt also dem Unternehmen viel, unter anderem eine Steigerung der Produktivität", sagt Arbeitspsychologin Katharina Kastner. Abgesehen davon steigt damit auch die Attraktivität als Arbeitgeber.
Noch immer sei das Thema mit Scham bei den Betroffenen verbunden, umso wichtiger sei es, aufzuklären, zu enttabuisieren und Hilfe anzubieten.
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