Linzer Bischof: "Konflikte in Diözese sind nicht weniger geworden“

Manfred Scheuer, Bischof von Linz
Bischof Scheuer fordert die liberalen und die konservativen Kräfte auf, sich zu öffnen und aufeinander zuzugehen.

Manfred Scheuer ist seit vier Jahren Bischof von Linz. Davor war der 64-Jährige, der aus Haibach ob der Donau stammt, zwölf Jahre Bischof von Innsbruck.

KURIER: Zu Weihnachten sind Sie mit den Messen und Hochämtern stark gefordert. Machen Sie sich selbst auch ein Christkindl?

Manfred Scheuer: Ich versuche bis zum 26. Dezember dort zu sein, wo ich gerade bin. Es ist die Gefahr, dass ich etwas abspule und die innere Anteilnahme fehlt. Es gibt wohltuende Begegnungen, so zum Beispiel vergangene Woche im Welser Gefängnis. Das war eine sehr gesammelte Atmosphäre. Um wach zu sein, versuche ich in diesen Tagen genug zu schlafen.

Was nehmen Sie sich für das neue Jahr vor?

Es ist von Mitte August bis jetzt ziemlich durchgegangen. Das Atemholen, das Nachdenken darüber, was die größere Perspektive ist, ist gegenwärtig nicht so möglich. Ich versuche meine Kräfte zu bündeln. Da bin ich zum Beispiel mit Jugendlichen in der Morgenmeditation und zum Frühstück, und dann soll ich wieder schauen, wie wir mit den unterschiedlichen Kräften in der Diözese umgehen, wie wir das kirchenpolitisch machen. Das sind unterschiedliche Systeme und unterschiedliche Sprachen. Manchmal macht mir das Freude, aber es ist auch oft ermüdend. Der Blick nach vorne setzt einen Überblick und einen gewissen Abstand voraus. Es ist eine Mischung aus Sicheinlassen und Abstand. Diese Mischung lässt die Dinge erst gut werden.

Episkopus heißt eigentlich Draufschauen. Ich sehe es als Herausforderung für die nächsten Jahre, darauf zu schauen, wie die Diözese Linz halbwegs miteinander in eine Zukunft geht. Es wäre zu wenig zu fragen, wie ein Amt oder eine Pfarre in die Zukunft geht. Ich halte es für die Herausforderung meines Amtes, die Menschen füreinander zu öffnen bzw. die anderen wahrzunehmen. Dass die liberaleren Kräfte das wahrnehmen, was die Konservativen fordern. Das ist manchmal schräg, aber die Konservativen haben auch ein Anliegen, das man nicht einfach wegwischen darf. Umgekehrt gehört zum Glauben und zum Christsein die Fähigkeit zur Umkehr, zum Umdenken und zum Gesinnungswandel. Es braucht ein gewisses Wohlwollen für die Gegner und ein Zugehen auf die Kritiker. Das ist auch eine Frage der Kultur in der Kirche und in der Diözese.

Die Konflikte zwischen den Reformern und den Traditionalisten haben sich doch etwas entschärft, zumindest für Außenstehende.

Die Konflikte waren in den 1990er Jahren schon sehr heftig. Es haben einmal mehr die einen die Oberhand gewonnen, dann die anderen. Ich habe den Eindruck, dass die Konflikte in den vergangenen Jahren nicht weniger geworden sind, sie werden jedoch auf eine andere Weise ausgetragen.

Nämlich?

So ähnlich wie man es früher gemacht, dass man nicht direkt miteinander geredet hat, sondern auf den eigenen Kanälen versucht hat, etwas durchzusetzen oder zu vereinnahmen. Die Konflikte oder Gegensätze waren am Anfang meiner Arbeit nicht so spürbar, die vergangenen eineinhalb Jahre habe ich sie wieder stärker gespürt.

Zum Beispiel in der Frage der Neustrukturierung der Diözese und der Pfarren?

Da sicher. Ich hoffe nach wie vor, dass es uns gelingt rüberzubringen, dass wir mit der Struktur die Priester und Hauptamtlichen so entlasten, damit sie gut arbeiten können. Die gegenwärtige Struktur der Pfarren führt teilweise zu einer Diffusion der Verantwortung. Es kann keiner allein für sechs, sieben Pfarren in allen Bereichen verantwortlich sein. Hier zu vereinfachen, zu straffen und Klarheit zu schaffen, halte ich für ein Gebot der Stunde. Da geht es nicht um Entmachtung. Ich hoffe nach wie vor, dass sich die Menschen stärker auf das eigene Charisma konzentrieren können.

Auf weltkirchlicher Ebene war die Amazonien-Synode ein wichtiges Ereignis, weil damit auch die Hoffnung auf eine Änderung der Zulassung zum Priesteramt verbunden war. Wie sehen Sie das Ergebnis der Synode und gibt es Ausflüsse für Linz?

Das ökologische Thema war dort das Hauptthema, aber das war es nicht in der medialen Berichterstattung in Europa und auch nicht in der Kirche bei uns. Es braucht ein Umdenken. Das Amazonas-Gebiet ist nicht nur ein regionales Problem, sondern es ist auch eine Lunge für die Welt.

Das Zweite ist der Umgang mit den dortigen indigenen Völkern. Wie gehen wir mit gewachsenen Kulturen, Sprachen und Lebensweisen um? Es kann nicht sein, dass eine konsumistische und kapitalistische, westliche Lebensweise hier einfach drüberfährt und alles ausradiert. Die Gefahr ist gegeben. Es gibt die positive Globalisierung, in der weltweiten Kommunikation und im weltweiten Verantwortungsbewusstsein und es gibt die negative, die die spezifischen Traditionen vernichtet. Das war im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts der Fall, das ist teilweise auch heute so. Es ist eine wichtige Botschaft der Synode, die Werte der indigenen Völker zu achten.

Es geht um das Bewusstsein, dass die Schöpfung und die Früchte der Erde auch Gaben und nicht nur Produkt von Leistung sind.

Amazonien ist nicht nur in Brasilien, sondern erstreckt sich über fünf Länder. Es gibt dort viele Männer und Frauen, die Gemeinden aufbauen und leiten. Sie machen Katechese, sie taufen, sie verkündigen, lesen die Bibel und leben sozialdiakonisch miteinander. Es gibt dort auch einen großen Zustrom zu den Freikirchen, zu den Evangelikalen, importiert aus Nordamerika. Die Hauptfrage ist, wie kann dort Kirche entstehen? Ich hoffe, dass ein Ergebnis der Synode sein wird, dass die sogenannten ministeria quaedam für Laien das Amt der Verkündigung und Leitung mit sich bringen wird.

Amazonien hat keinen Nachwuchs für Priester und Ordensberufe hervorgebracht. Man hat sich auch nicht so ausgeholfen. In Kolumbien gibt es relativ viele Priester, sie gehen aber eher nach Kanada als dass sie im Nachbarland aushelfen.

Ich habe mich wiederholt für viri probati (bewährte verheiratete Männer werden zu Priestern geweiht, Anm.) ausgesprochen, aber das ist zur Zeit eine Spannung, die ich nicht auflösen kann. Wenn das nur Männer wären, wäre das ein Rückschritt. Das wird in dieser Form in unserer Kirche fast bekämpft......

...also auch die Priesterweihe für bewährte verheiratete Frauen....

....ja. Auf der anderen Seite hat der Papst keinen Zweifel daran gelassen, dass die Priesterweihe für die Frau nicht zu erwarten ist. Das ist eine Kluft. Auf der einen Seite die Sehnsucht von Frauen und die Erwartung der Gemeinden, auf der anderen Seite gibt es die Tradition der Kirche. Beides kommt derzeit nicht zusammen. Das ist eine offene Wunde, die ich nicht heilen kann.

Die Welt schreitet technisch stark voran. Bei allem Fortschritt erleiden die Gesellschaft und die Menschen gleichzeitig Verluste.   Die sogenannte gute alte Welt gibt es nicht mehr. Das ist mit einer Grund für die Erfolge der Populisten.

Alte Kirchenväter haben gemeint, der Mensch ist von Natur aus religiös, es gibt eine Sehnsucht nach Transzendenz, den Wunsch sich zu überschreiten. Ostdeutsche Religionssoziologen und Theologen sagen, die Erfahrung in der DDR hat gezeigt, dass den Menschen nichts fehlt, wenn sie nicht glauben. Es geht um Verluste, die als solche gar nicht mehr bewusst sind. Diese Tendenz nehme ich auch in Österreich wahr. Der Platz Gottes ist nicht leer, sondern wird durch andere Dinge besetzt.

Durch Konsum?

Es sind unterschiedliche Sachen. Sicherheit kann auch ein Götze sein. Oder Erfolg. Die Süchte sind alle Ausdruck dessen, dass die Sehnsucht eine pervertierte Form gefunden hat. Es soll mehr sein, es soll darüber hinaus gehen, aber wenn man die falschen Mittel dafür wählt,  wird man krank und beschädigt sich.  Vor zehn, 15 Jahren war der Alkohol eine starke Sucht, jetzt sind unter den Jungen Drogen auch in den  Orten draußen ein massives Thema.  Es ist Ausdruck dessen, dass uns etwas abgeht, aber man will das mit Mitteln erreichen, die letztlich zerstören.
Der Philosoph Jürgen Habermas hat heuer über Glaube und Verstehen zwei Bände herausgebracht.  Für ihn ist Religion auch Bewusstsein von dem, was fehlt.
Gerade zu Weihnachten gibt es auch die Suche nach Transzendenz, was immer das auch heißt. Es gibt die Transzendenz, die das Alltägliche im guten Sinn übersteigt, um im Alltäglichen einen neuen Glanz zu entdecken. Dass das Ganze wenig bis kaum kirchlich-institutionell gebunden ist, ist die andere Seite.

Obwohl es wirtschaftlich gut läuft, herrscht  ein gewisser Pessimismus. Viele Menschen meinen, die Zukunft  wird nicht besser, sondern eher schlechter.

Es heißt nicht nur, aber auch bei der Wirtschaft, dass das Vertrauen ein Kapital ist. Das Vertrauen in andere Personen, in eine andere Gemeinschaft, in das Leben und in die Zukunft. Das Vertrauen ist die Zwillingsschwester der Hoffnung. Ohne Vertrauen und Hoffnung verhungern wir.

Hier gibt es aber deutliche Defizite im Vertrauen auf die Zukunft.

Viktor Frankl und andere Psychologen sprechen von Urvertrauen, von Grundvertrauen, als Erfahrung von Sinn. Wer einen Sinn im Tun hat, erträgt fast jedes Wie. Wenn man kein Vertrauen und keine Hoffnung hat, wird einem alles zu viel.
Viele haben schon in ihrer Kindheit nicht erfahren, was Vertrauen heißt. Das bedeutet, dass man sich auf jemanden verlassen kann, dass jemand auf mich schaut.

Wo sehen Sie die Ursachen für den Vertrauensverlust, für die mangelnde Zuversicht?

Bei Erich Fromm gibt es in der Anatomie der menschlichen Destruktivität einen Hinweis, dass wir in Gefahr sind, unsere Lebendigkeit an Maschinen bzw. an tote  Dinge zu delegieren.  Das bedeutet,  dass man den Fortschritt durch  Zahlen oder durch Maschinen erhofft und man schaut nicht, ob das nicht mit Beziehung verbunden ist.
In der Spätantike haben sich die Menschen Sicherheit durch ein dichtes soziales Netz erhofft.  Sie werden nicht fallen gelassen. Das Netz sind die Lebenden und auch die Toten, die Heiligen. Auf sie kann man sich verlassen, dort findet man Zuflucht, dort kann man sich anhalten.
Wo erwarten sich heute die Menschen Sicherheit? Die Ausblendung des Personalen, der persönlichen Verantwortung, die Delegation der Menschlichkeit an Maschinen befriedigt nicht.
Ich will das nicht als Kritik am Eros der Technik sehen, sondern als Frage, wie wir Freude und Leidenschaft  für zwischenmenschliche Abläufe erzeugen können.

 

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