Wie schmeckt eine Weinviertler Kindheit?

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Im sympathischen Retzbacherhof geben die Wirtsleute Harald und Sonja Pollak Antwort auf die großen Fragen.

Mit einer beeindruckenden Fleischgabel sticht Harald Pollak in einen Topf und fischt löwenfuttertaugliche Brocken von butterweichem Beinfleisch heraus. Er hatte zwischendurch immer wieder mit der Gabel probiert, ob es schon passt. „Ich mag das echte Kochen“, sagt er. „Ich will nicht irgendetwas in einen Apparat schieben, ein Programm eintippen und dann ist es fertig, einfach nur weil’s piepst.“

Seit fast 21 Jahren führt Harald mit seiner Frau Sonja, einer gebürtigen Kroatin, den Retzbacherhof in Unterretzbach im Retzerland; soviel Retz muss halt in diesem Satz sein. Und „Pollak’s Wirtshaus“, so der middle name des Hauses, ist längst zum gastronomischen Fixstern der Gegend geworden.

Little Drummer Boy

Harald Pollak ist im Ort aufgewachsen. Den Vater in diesen Jahren könnte man als bäuerlichen „Regionalpionier“ bezeichnen. Er fährt mit seinen Waren nach Wien auf die Märkte; „und manchmal hat er daheim erzählt, dass er heute schon wieder erklären hat müssen, warum seine Gurken im Glas ein bisserl mehr kosten als die im Supermarkt.“ 

Das Gasthaus, das er einmal übernehmen sollte, kennt Harald seit seiner Kindheit als „kleiner Trommler in der Trachtenkapelle“. Später steht er am Wuzler oder drückt was in die Jukebox. Viele Singles stammen von Peter Kraus, Nana Mouskouri oder Freddy Quinn: „Der ist beim Kirtag besonders oft gedrückt worden.“ Nach der Tourismusfachschule in Krems geht er nach Wien. Die Stationen, immer im Service: Fabio Giacobellos „Cantinetta Antinori“, „Novelli“, „Kinsky“ und schließlich das „Vestibül“ im Burgtheater.

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Der Spargelsalat mit Schafkäse, Radieschen und Granola enthält ein erfrischend exotisches Detail: fruchtige Mangostücke.

Daheim im Retzerland tut sich derweil was. Erste Radler sind auf der Suche nach einer Ausspann für sich und ihre Drahtesel, und der Bürgermeister sagt, „wir brauchen wieder ein Wirtshaus“, weil das, von dem hier die Rede ist, steht seit acht Jahren leer. Die Gemeinde kauft es und schreibt es aus. Die Pollaks bekommen den Zuschlag. Herausgekommen ist ein gediegenes Landgasthaus mit bürgerlichen Einsprengseln und einer zeitgemäßen Schank aus Milchglas.

Regionalität mit Blick über den Tellerrand

Am 11. August 2004 wird aufgesperrt. Harald, der Servicemann, ist jetzt Küchenchef mit wenig Erfahrung, aber einer Idee: Regionalität mit Blick über den Tellerrand – und dazu die herrlichen Mehlspeisen, die Sonja neben ihrer Rolle als Wirtin auch noch hervorzaubert. Harald besucht an den Ruhetagen andere Köche, um zu lernen, und bald kommt die erste Haube. „Aber wie heißt es oft am Land über die Haubenküche? Großer Teller, nix drauf, sauteuer. Immerhin haben wir neue Gäste gewonnen.“ Dennoch ist das Gasthaus im Kern eines geblieben. „Die Einheimischen haben uns schon angesagt, wieviel ein Bier und ein Achtel Schankwein kosten dürfen.“

Mit der Küche hingegen kann Pollak mittlerweile fast alle überzeugen. Es ist diese Mischung aus Altbewährtem und einer feinfühlig modernisierten Regionalküche. Da kommen der geschmorte Brustkern mit Schwammerl im Teriyaki-Stil, „weil das einfach perfekt zu Pilzen passt“, das Hirn mit Ei in homöopathischer Dosis auf Schwarzbrottoast, die Serviettenknödel mit Morchelfülle, die Roten Rüben mit Steinbutt und der Spargelsalat mit Radieschen, Granola und ... Mangos. 

Würde jemand so auf Tradition pochen wie die alte, mit Klampfen bewaffnete Folksängergarde sich einst gegen die elektrischen Gitarren wehrte, würde Harald Pollak einwenden: „Naja, Ihr Smartphone ist jetzt auch nicht im Weinviertel zusammengeschraubt worden.“

Der Ratatouille-Moment

„Hier kocht die Emotion“ lautet der Wahlspruch der Pollaks. Und was weckt mehr davon als dieser sogenannte Ratatouille-Moment im gleichnamigen Film, der auch den strengen Restaurantkritiker Anton Ego erwischt, als er die Speisen seiner Kindheit serviert bekommt? Also serviert er gelegentlich gerne, was er daheim zu essen bekommen hat: weiße Bohnensuppe mit Marmeladebuchteln oder essigsaure Linsen mit süßen Dalken. „Ich bin schon ein paarmal gefragt worden, was mir da eingefallen ist, aber dann sind die meisten begeistert.“

Am schönsten findet Harald Pollak es aber zuzuschauen, wie ältere Herrschaften dem Retro-Vanillepudding mit Himbeersirup und Eierlikör zu Leibe rücken. „Die löffeln ihn glückselig von außen nach innen im Kreis, bis er weg ist. So wie ich als Kind.“ Und so ist es auch bei den Pollaks. Sie sind nach 21 Jahren Kreis um Kreis zum tiefsten Kern der Dinge vorgedrungen, die ein sympathisches Gasthaus ausmachen.

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