Waidhofen: Leben in „Schwalbennestern“ über der Ybbs
„Angst, mitsamt dem Haus abzustürzen hatte ich noch nie.“
Johann Hofmarcher lebt in Waidhofen/Ybbs seit bald 100 Jahren in einem der Häuser am steilen Ybbsufer, die europaweit ein einzigartiges Kulturjuwel sind. Die „Schwalbennest-Häuser“, die vom Mittelalter weg bis zu 20 Meter über dem Ybbsufer gebaut wurden, gehören zu den Attraktionen der historischen Stadt. So spektakulär sie sind, so gewissenhaft sind auch die Schutzmaßnahmen im felsigen Steilufer, um die darüberliegenden Häuser vor einem Absturz zu bewahren.
Das geerbte Natur- und Baudenkmal hat seine Reize und seine Tücken. Wegen zahlreicher, oft recht tiefer Kavernen oder auch Rissen und Abbrüchen im Konglomeratfelsen ist die Stadt Waidhofen seit Jahren auf der Hut. „Entlang beider Ufer der Ybbs haben wir insgesamt 96 Kavernen. Mit der nun geplanten Absicherung der Kavernen A6 und A7 beschließen wir dann die von den Sachverständigen empfohlenen Maßnahmen“, sagt Baustadtrat Martin Dowalil (Liste FuFu).
Stadtrat Martin Dowalil am Ybbsuferweg.
Maßnahmen, die die besonders reizvollen Häuser an der Ybbsitzerstraße absichern sollen. Eines der geschichtsträchtigen Häuser bewohnt Johann Hofmarcher mit seiner Tochter Irene Kemeter. Beide wissen viel über die Geschichte der Liegenschaft und den Neubau des Hauses im Jahr 1975 zu berichten. „Das ursprüngliche Haus, das meine Großmutter 1921 gekauft hat, war eine alte Schmiede“, erzählt die Tochter. Ihr Vater und ihr Onkel dachten vor dem Neubau, dass sie das alte Haus in kurzer Zeit abreißen würden, „gebraucht haben sie vier Tage, das alte Holz und der Felsen waren regelrecht verschmolzen“. Im Dachgestühl fand sich ein Balken, in dem das Jahr 1305 eingraviert war.
Das zweigeschoßige Haus, gut 15 Meter über der Ybbs, habe er mit dem Bruder eigenhändig gebaut, erzählt der Johann Hofmarcher. Stolz präsentiert er seinen handgemachten Balkon, der in luftiger Höhe gute Aussicht auf den Fluss und die Altstadt bietet. Menschen mit Höhenangst hätten hier ihre Nöte. Im heißen Sommer könne man hier in schattiger Kühle gut rasten, erzählt Irene.
Der 100-jährige Johann Hofmarcher und Tochter Irene am Balkon über der Ybbs.
Attraktion
Wird man beim Blick in die Tiefe von Wanderern, die am spektakulären Ybbsuferweg unterwegs sind, erspäht, zücken die meist die Handys, um ein Bild zu ergattern.
Bis vor 14 Jahren war tagsüber im Haus und am Balkon ein Vibrieren zu spüren. Damals führte auf der schmalen Ybbsitzerstraße neben dem Haus, die zugleich die B31 war, der Schwerverkehr aus dem Ybbstal durch die Stadt. Die Sorge um die Klippenhäuser beschleunigte auch den Bau des 1,5 Kilometer langen Buchenbergtunnels, durch den seit 2011 der Verkehr rollt.
Trotz der Entlastung gilt den Steilwänden weiter hohe Aufmerksamkeit der Stadt. „Regelmäßig wird gefragt, ob uns am Gebäude Risse auffallen“, schildert Irene Kemeter.
Bauprojekt
2026 wird nun wieder gebaut. Dass sich die ursprünglichen Kosten für Stützrippen aus Beton und Felsanker in den Kavernen A6 und A7 auf 527.000 Euro fast verdoppelt haben, schmerze in Zeiten der Finanznot, gesteht Stadtrat Dowalil. Die Arbeiten seien aber kompliziert, Kräne müssen wegen der Höhe eingesetzt werden. Stadt- und Gemeinderat stehen hinter den Sicherungsmaßnahmen.
Johann Hofmarcher macht sich auch jetzt wenig Sorgen und freut sich auf den nahen 101. Geburtstag in seinem Haus.
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