Vor Russen versteckt
„Meine Urgroßeltern haben die Scherben bewusst so gelassen“, erzählt Gabriel Piatti, als er durch die Ausstellungsräume des Schlosses Loosdorf (Bezirk Mistelbach) führt.
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Der einstige Prunk der Räume lässt sich nur noch an Einzelstücken erahnen; die vielen wertvollen Stücke, die seine Vorfahren einst besessen haben, wurden durch die sowjetische Armee zerstört.
Ebenso wie die Porzellansammlung, die seit dem 18. Jahrhundert von den Piattis begonnen und über die Generationen weitergegeben wurde.
„Meine Familie stammt aus Norditalien, sie kam im 18. Jahrhundert an den Hof Augusts des Starken“, sagt Piatti. Und wer damals etwas auf sich hielt, der zeigte es vorzugsweise in Form von „weißem Gold“.
Porzellan aus Japan war der Renner
Porzellan aus Japan war damals der Renner in Adelskreisen, und auch die Piattis konnten sich dem Zauber der filigranen Waren aus der Ferne nicht entziehen. Über die Jahre kamen auch chinesische und europäische Stücke dazu.
„Die Sammlung bedeutete meiner Familie viel“, weiß Piatti. So viel, dass sie nichts unversucht ließ, um die Vasen, Teller, Tassen und Dekorationsstücke zu schützen.
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Als am Ende des Zweiten Weltkrieges die russischen Besatzungskräfte in Loosdorf einmarschierten, flüchteten Piattis Urgroßeltern aus dem Familienschloss in Loosdorf. Doch nicht, ohne zuvor das Porzellan im Keller einzumauern.
Leider sollte ihre Mühe vergebens gewesen sein; die Offiziere wüteten nicht nur im Schloss und rafften an sich, was nicht niet- und nagelfest war. Sie fanden auch die seltenen Porzellanstücke und zertrümmerten beinahe jedes Stück, das sie in die Finger bekamen.
„Als meine Familie zurückkehrte, fand sie ein Scherbenmeer vor“, bedauert Piatti. Sie sammelten die Scherben ein und breiteten sie in einem Eckzimmer des Schlosses auf dem Boden auf.
Mahnmal gegen die sinnlose Zerstörung des Krieges
Sie wollten ein Mahnmal setzen, das von der sinnlosen Zerstörung des Krieges erzählt, ohne Worte zu brauchen. Und das tut das Museum bis heute, die Ausstellung blieb unverändert.
Bis auf einen Steg, der einen Blick auf die Scherben von oben erlaubt, wurde daran nichts geschönt. Auch die Messerschnitte, die die Russen in den einst strahlend blauen Stofftapeten hinterlassen hatten, wurden all die Jahre nicht ausgebessert.
„Die Scherben erzählen eine Geschichte, die bis heute Aktualität hat. Aber sie zeigen auch, dass aus Leid und Zerstörung etwas Schönes hervorgehen kann“, so Piatti.
Denn die weltweit einzigartige Porzellan- und Scherbensammlung im Schloss Loosdorf wurde 2015 neu entdeckt, und das aus purem Zufall. Bei einem Japanbesuch erzählte Piattis Onkel von dem Familienporzellan und seiner Geschichte – woraufhin sich japanische Wissenschafter der Analyse und Restauration der Objekte annahmen.
Nach Japan gereist
Zu diesem Zweck mussten die Scherben die lange Reise zurück in ihr Herkunftsland antreten – sorgsam verpackt in große Holzkisten, dick ausgelegt mit Dämmmaterial. 2020 wurde ihre Geschichte in der Ausstellung „The Tragedy of Loosdorf Castle“ in Tokio erzählt. Ende des Vorjahres kehrten sie wieder zurück nach Loosdorf.
Dort können die Scherben und das zugehörige Museum gegen Voranmeldung besichtigt werden. Parallel dazu läuft ein Projekt mit der Universität für Angewandte Kunst in Wien, die derzeit jede einzelne Scherbe erfasst und bewertet.
Dank 3D-Druck kann auch rekonstruiert werden, wie die Stücke einst ausgesehen haben, ohne ihre Geschichte zu negieren.
Infos: www.piatti.at
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