Neues Projekt gegen Arbeitslosigkeit: Ausprobieren statt abbrechen
"Ich habe nicht gewusst, dass ich eine rechte Hand habe. Ich dachte, ich habe zwei linke", scherzt Victor Ciobanu, als er von seiner beruflichen Laufbahn erzählt. In Rumänien arbeitete der studierte Rechtswissenschaftler in der Beratung, bevor er nach Österreich kam und zunächst in der Gebäudereinigung tätig war. Später wurde Ciobanu Maschinenführer – ein Beruf, den er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausübt.
Auf der Suche nach einem beruflichen Neuanfang wandte er sich an das AMS NÖ. "Ursprünglich wollte ich mich in Elektrotechnik ausbilden lassen", erinnert sich der 54-Jährige. Doch dank eines neuen Angebots entdeckte er während seiner Zeit im Ausbildungszentrum eine neue Leidenschaft. Erste Erfahrungen in der Werkstatt festigten seine Begeisterung für die Arbeit mit Holz, und er entschied sich für eine verkürzte Lehre in dieser Branche.
Qualifikationen benötigt
Damit ist für den angehenden Tischler etwas gelungen, was in der Jobvermittlung laut AMS NÖ Landesgeschäftsführerin Sandra Kern regelmäßig eine Herausforderung darstellt: "Die richtige Qualifikation, die richtige Ausbildung für die richtige Person zu finden." Abbrüche von teuren Lehrausbildungen seien der "Worst Case" so Kern, weil der Auszubildende nichts davon mitnehme und die Betriebe ihre Fachkräfte verlieren.
Um dem vorzubeugen, bietet das AMS seit Jahresbeginn ein neues Vorbereitungsmodul für Jobsuchende an, das praxisnah auf den Berufseinstieg vorbereiten soll. Mindestens vier Wochen lang können die Teilnehmenden erste Erfahrungen in Werkstätten sammeln, ihre künftigen Arbeitsbedingungen kennenlernen und sich über die finanziellen Gegebenheiten während sowie nach der Ausbildung informieren. So soll ein realistisches Bild von der angestrebten Tätigkeit entstehen und arbeitslose Personen nachhaltig in Beschäftigung gebracht werden.
Von links nach rechts: Sandra Kern, Julia Bock-Schappelwein, Victor Ciobanu, Katarina Wunderlich, Klaus Doppler und Christian Pfeffer.
Bisher haben 600 Personen das sogenannte Perspektiven- und Vorbereitungsmodul in Anspruch genommen. 319 von ihnen absolvierten anschließend eine Ausbildung im gewählten Beruf. Die höhere Qualifizierung der Jobsuchenden wirkt sich auch positiv auf die Langzeitarbeitslosigkeit aus, so Kern. Während 2024 rund 6,5 Prozent der Menschen mit Lehrabschluss ohne Beschäftigung waren, lag der Wert bei Personen, die nur die Pflichtschule abgeschlossen haben, bei fast 20 Prozent.
Gleichzeitig soll die vertiefende Ausbildung dabei helfen, künftigen Herausforderungen des Arbeitsmarkts entgegenzuwirken. "Im Jahr 2024 gab es laut Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger 118.800 unselbstständig Beschäftigte über 55 Jahren in Niederösterreich", schildert Julia Bock-Schappelwein vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Laut der Ökonomin werden rund 18 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren verlassen.
Diese Personen haben eine andere Qualifikationsstruktur als jene, die nachrücken. "Wir wissen, dass vergleichsweise viele Personen mit Lehrabschluss oder mit mittlerer Ausbildung den Arbeitsmarkt verlassen werden und sehr viele Personen mit höherer Ausbildung nachkommen und deshalb eine Verknappung im Bereich der mittleren Qualifikationen nicht auszuschließen ist", so Bock-Schappelwein. "Und das ist diese große Herausforderung."
Freude am Beruf
Von der Pensionswelle seien zudem Arbeitskräfte betroffen, die häufig den sogenannten "systemrelevanten Berufen" zugerechnet werden, etwa die kritische Infrastruktur und die Pflegebranche. Umso mehr braucht es Personen, die mehr als einen Pflichtschulabschluss haben. 2025 wurden seitens des AMS bisher 10.000 Personen entsprechend gefördert, wie Victor Ciobanu. Heute befindet sich der 54-Jährige bereits im zehnten Ausbildungsmodul und geht einem Beruf nach, der ihm wirklich Freude macht.
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