Zu Besuch im "Gasthaus Jell": Wie die Mutter, so der Sohn

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Anfang 2024 hat im „Gasthaus Jell“ in Krems der bereits fünfte Generationswechsel seit 1897 stattgefunden und Laurent seine legendäre Mutter Ulli am Herd beerbt. Und auch der Junior kocht exzellent.

Von Achim Schneyder

Ulli Amon-Jell hat’s nicht eilig. Zwar besteigen sie und ihr Mann Helmut, einst Fleischermeister hier in Krems, am Tag meines Besuchs zu Mittag das angemietete Wohnmobil, um eine einmonatige lukullische Lustreise bis nach Spanien zu tun, aber noch ist sie im Gasthaus. „Wie fast jeden Tag am Vormittag“, sagt Ulli. „Ich schäle Erdäpfel oder mach mich sonst irgendwie nützlich, außerdem koch’ ich immer noch das Personalessen. Aber spätestens, wenn dann schön langsam das Mittagsg’schäft losgeht, schleich ich mich.“

Ulli Amon-Jell ist eine Wirtshaus-Legende. 40 Jahre stand die heute 64-Jährige auf dem Kremser Hohen Markt in der Küche dieses altehrwürdigen Gebäudes aus dem 16. Jahrhundert und war außer Köchin auch noch Gastgeberin, wie eine Gastgeberin charmanter und quirliger kaum sein kann. Oder konnte. Und sie schrieb Kulinarik-Geschichte, denn das „Gasthaus Jell“ war weit über Krems hinaus als Institution und nicht bloß als Geheimtipp bekannt. 

Eine Geschichte, die nun Sohn Laurent in bereits fünfter Jell-Wirtshaus-Generation weiterzuschreiben begann. „Auch wenn meine beiden Brüder ganz etwas anderes machen, für mich war immer klar, dass ich Koch werde“, sagt der 1999 geborene Neo-Hausherr. „Vielleicht lag’s ja daran, dass sich das Kinderzimmer direkt oberhalb der Küche befunden und es immer nach Schnitzel g’rochen hat. Ich hab das geliebt, mir war die Zukunft quasi in die Wiege gelegt.“

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Ex-Chefin Ulli kann’s nicht ganz lassen und hilft am Vormittag mit und kocht auch das Personalessen.
 

Vom Lehrling zum Liebling

Am 1. Jänner 2024 hat Laurent offiziell übernommen, zuvor war er schon knapp zwei Jahre Mitglied der Küchenbrigade. An seiner Seite Lisa, die einst als Koch/Kellner-Lehrling zum Jell gekommen und als Laurents Lebensgefährtin geblieben ist. „Die beiden machen das toll. Er am Herd, sie draußen im Service“, sagt Ulli, dann gibt sie dem Sohnemann ein Bussl und verabschiedet sich Richtung Spanien.

„Groß sind sie schon, die Fußstapfen“, sagt Laurent, als die Mutter weg ist. „Aber die Mama lässt mich meinen eigenen Weg gehen, und auf diesem Weg weiche ich den Fußstapfen ein bisserl aus. Aber natürlich frag’ ich sie immer wieder um Rat, weil ihre Erfahrung absolut unbezahlbar ist. Ich bin sehr stolz auf sie.“ Wie auch sie auf ihn, zumindest hat sie das vorher ganz nebenbei gesagt.

„Ein Blick in die Speisekarte?“, fragt Laurent. „Nur allzu gern“, sage ich. Blöd nur, dass heute nicht Samstag ist, denn mein Tiroler Freund Michel hat mir jüngst von einem Schweinsbraten mit Erdäpfelknödeln vorgeschwärmt, den er hier irgendwann gegessen hat. Aber den gibt’s nur am Samstag. „Was versäum’ ich?“, frag’ ich. „Schopf, weil der entsprechend durchzogen ist, aber nicht so fett wie der Bauch und nicht so trocken wie das Karree, dazu ein Kümmelsafterl und, wie ich finde, perfekte Waldviertler Knödel.“ „Und was macht die perfekt?“ „Auf ein Kilo gekochte Erdäpfel nehm ich 200 Gramm Kartoffelstärke, Salz und ein bisserl Öl. Mehr nicht. Was aber ganz wichtig ist: Immer gekochte Erdäpfel vom Vortag, da werden die Knödel viel weniger gummig.“ Wieder was gelernt …

Hirn mit selbst verrührtem Ei

Ich studiere also die Speisekarte, freue mich auf eine Fleischstrudelsuppe und schwanke in Sachen Hauptspeise vorerst zwischen Hirn mit Ei, gebratener Blunzn und Leberwurst, Cordon bleu (mit Emmentaler) und ausgelöstem, in Kräuter-Zitronen-Sauerrahm mariniertem und dann paniertem Freilandhuhn. Oder doch die gebratene Forelle? Nein, ich entscheide mich schließlich für das Hirn – und bereue es einige Zeit später keine Sekunde. Großartig. Und das Ei muss man sich ganz alleine ins Hirn mischen. Und die Rindsuppe, frage nicht …

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Hirn mit Ei ist einer der Klassiker im Gasthaus Jell, während es den Braten vom Schwein leider nur jeden Samstag gibt.
 

Sitzen geblieben bin ich übrigens am sogenannten Kraftplatzerl der Familie, dort, wo Ulli vorhin die Erdäpfel geschält hat. Das ist ein Tisch im Freien unterhalb der Veranda, wo ganz früher die Sandkiste der drei Söhne zu finden war und später die Mistkübel standen. „Hier sitzen wir nach der Arbeit, trinken ein Glas und besprechen alles, was es zu besprechen gibt“, sagt Laurent. Der eigentliche Gastgarten befindet sich ums Eck, ist nicht sehr groß, und der Blick auf den Hohen Markt mit seinem Kopfsteinpflaster einer, der Lust auf Sitzenbleiben macht.

Stimmungsvoll ist’s auch drinnen. Die Zirbenstube ist originalerhaltene hundert, die zauberhafte Veranda auch schon über 60 Jahre alt. „Die hat der Opa gebaut“, sagt Laurent, der jetzt in die Küche muss, denn das Mittagsg’schäft geht los. Mein Hirn mit Ei war ja quasi ein besseres Frühstück.

Am nächsten Sonntag lesen Sie: Kamolz im Goldenen Lamm/Failler.

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