Johann Friedl: Vom Kriegszeugen zum letzten Kartausen-Schmied

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Der 92-jährige hat die Herrschaft der Nazis miterlebt. Und er teilt seine Erinnerungen mit seiner Enkelin, KURIER-Praktikantin Anna Mayr.

Von Anna Mayr

Mit kräftigen, lauten Schlägen bearbeitet mein Großvater das noch glühende Eisen. Er biegt es, glättet es und löscht es schließlich formvollendet in kaltem Wasser ab. So, wie er es schon so oft vor meinen Augen getan hat. Es ist eine Tätigkeit, die ihn beinahe sein ganzes Leben begleitet hat.

Dabei ist Johann Friedl einer der Letzten seiner Zunft. Kartausen, das sind ehemalige Klöster. Und die Schmiedekunst, die über Jahrhunderte daraus hervorgegangen ist, ist noch echte Handarbeit. Eine althergebrachte Tradition, die mein Opa in Perfektion beherrscht. Dabei war es nie sein Wunsch, Schmied zu werden. Es waren die Wirren des Krieges, die ihn an den Amboss gebracht haben, wie er mir an seinem Küchentisch erzählt.

„Ob ich Schmied werden will, hat mich niemand gefragt. Das war einfach so“, erinnert er sich. Man schreibt das Jahr 1933, als Friedl das Licht der Welt erblickt – in einer Zeit voller Umbrüche. Geboren in Göstling, zog die Familie bald nach Lackenhof. „Mein Vater war schon Schmied. Als aber die Schmiede in Göstling abbrannte, zogen wir hierher“, schildert er.

Fahnen als Spielzeug

Dass rund um seine heile Welt ein Krieg tobte, erfuhr Friedl im Alter von fünf Jahren. „Das erste Mal von Hitler gehört habe ich in einer Bäckerei. Ich kann mich noch erinnern, als die Verkäuferin mit meiner Mutter tratschte und meinte, da würden jetzt viele ins Gras beißen“, erinnert sich Friedl. Sie sollte recht behalten. Über 60 Millionen Menschen starben.

Dabei hatte er als Kind zunächst einen gänzlich anderen Blick auf den Krieg, wie er noch weiß. „Als Hitler einmarschierte, bekamen wir Fahnen – Hakenkreuze auf rotem Stoff. Das war unser erstes Spielzeug, etwas anderes zum Spielen hatten wir nicht“, sagt mein Opa.

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In Friedls Archiv ist auch der Erlauftaler Bote zu finden

Doch die dunklen Schatten des Krieges rückten schnell bis nach Lackenhof vor; Soldaten der Wehrmacht zogen bei der Familie ein. Drei Invaliden und Pensionisten, die auf einer Flugzeug-Beobachtungsstation im Wald arbeiteten.

„Einer radelte, damit sie Strom hatten, einer funkte und der Dritte war auf dem Dach, bestimmte den Flugzeugtyp und sagte die Route voraus“, erinnert sich Friedl. Und er weiß noch, wie eines der Flugzeuge rauchend in den Lunzer See stürzte. Die Maschine war 1944 von einer deutschen Flak getroffen worden.

Krieg veränderte alles

Doch die Nationalsozialisten sollten nicht mehr lange die Oberhand behalten. Im Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie, die Rote Armee rückte in Osten gegen Hitlers Truppen vor. Es war am 1. April 1945, wenige Tage vor der Befreiung Wiens, als mein Großvater dem Krieg ganz nahekam. „Ich war in der Schule in St. Pölten, als es einen Riesenkrawall gab.“ Der Bahnhof der Stadt wurde bombardiert, Hunderte Menschen ließen dabei ihr Leben. „Die Sirenen heulten, wir mussten schnell in den Bunker hinein“, schildert Friedl.

Als er und seine Familie das Schutzgebäude wieder verlassen durften, war vom Bahnhof kaum mehr etwas übrig – nur Bombentrichter, verbogene Gleise und Trümmer. Fast 40 Prozent des Häuserbestandes waren zerstört oder beschädigt worden. „Es war schrecklich. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Leichen gesehen.“

Im Mai 1945 galt der Krieg offiziell als beendet. In Lackenhof aber war er noch lange nicht vorbei. „Drei Tage und Nächte lang zog ein Strom von Menschen über den Zellerrain. Panzer, Soldaten zu Fuß, auf Pferden – die Wehrmacht flüchtete vor den Russen. Die Schlange riss einfach nicht ab“, weiß Friedl bis heute. Und auch für ihn und seine Familie sollte der Krieg alles verändern; meine beiden Großonkel fielen im Kampf. So war es an meinem Opa, der eigentlich Lehrer werden wollte, die Schmiede zu übernehmen.

Leidenschaft fürs Wandern

Von da an verarbeitete Friedl das Erlebte über seine Arbeit mit Glut, Hitze und Eisen als Kartäuserschmied. 80 Jahre, in denen seine Hände trotz der harten Arbeit nicht an Kraft verloren haben. In seiner Freizeit lenkte er sich in der kühlen Luft der Berge von den alltäglichen Strapazen und den Erinnerungen ab. Eine Leidenschaft fürs Wandern, die er an mich weitergegeben hat. Und auch seine Nachforschungen und Bücher hätten ihm dabei geholfen, zu verstehen, was im Krieg passiert war, erklärt er mir.

Und dennoch: Als ich ihn frage, was er als einer der wenigen Menschen, die noch vom Krieg erzählen können, der heutigen Generation mitgeben würde, lächelt er bloß. „Anna, da musst du jemand Gescheiteren fragen.“

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