St. Pöltner Gastfamilie hatte Besuch aus Argentinien
Rosario (ganz re.) konnte sich sehr rasch in das Familienleben integrieren.
Von Benedikt Schweigl
Seit 1986 ist Sankt Pölten das politische und administrative Zentrum von Niederösterreich, international bekannt ist die Stadt aber wohl bis heute eher nicht.
Wenn man im Ausland an Österreich denkt, dann doch eher an Wien, das Salzkammergut oder an das Tourismusbundesland schlechthin Tirol.
Dabei kann auch St. Pölten ein attraktives Ziel für Gäste anderer Länder sein - etwa in Form eines Austauschprogramms durch die Organisation YFU Austria (Youth for Understanding), der österreichischen Zweigstelle eines globalen Netzwerkes mit insgesamt mehr als 50 gemeinnützigen Austauschorganisationen.
Zweite Heimat in NÖ gefunden
Bis Ende Juni wohnte die 17-jährige Argentinierin Rosario bei einer Gastfamilie in Sankt Pölten und ging in eine der lokalen Schulen, insgesamt ein Schuljahr verbrachte sie dort - diese Zeit war geprägt von vielen Höhen und einigen wenigen Tiefen, berichten die Gasteltern Petra und Ziko.
"Rosario war eigentlich von Tag eins an gut in das Familienleben integriert, sie hat sich sehr gut auf das Auslandsjahr vorbereitet, konnte auch schon soweit Deutsch, dass wir uns sofort verständigen konnten", erklärt Gastmutter Petra - "Sie war ein wirklicher Glücksfall!".
Gastmutter Petra, Tochter Samira, Austauschschülerin Rosario und Gastvater Ziko (v. li. nach re.) zusammen bei einem ihrer zahlreichen Ausflüge.
Bei dem Austauschprogramm von YFU geht es in erster Linie darum, interkulturelles Verständnis zu fördern, um einerseits Respekt und Toleranz gegenüber anderen Gesellschaften und Ländern zu vermitteln und andererseits auch um zu zeigen, dass Österreich eine hervorragende Stelle für so ein Bildungsjahr sein kann.
Grundsätzlich kann sich jeder und jede als Gastfamilie bewerben - "ob mit Kindern oder ohne, mit mehreren Generationen unter einem Dach oder nur zu zweit, alleinerziehende oder beruflich eingespannte Eltern, gleichgeschlechtliche Paare oder alleinstehende Personen. Das wichtigste ist ein großes Herz mit viel Interesse an neuen Menschen", betont YFU Austria etwa auch über die eigene Homepage.
Anpassung als zentrales Kriterium
Jugendliche von 15 bis 18 Jahren können am Programm teilnehmen, sie weisen in der Regel ausgezeichnete Schulerfolge in ihrem Heimatland auf und durchlaufen vor der Reise ein Auswahlverfahren.
Klar ist, sie müssen bestrebt sein, sich an Kultur und Sitten des Gastlandes bzw. vor allem auch die Regeln und Abläufe bei den Gasteltern anzupassen.
Bei Rosario sei das ganz eindeutig der Fall gewesen - "Wir mussten sie nie bitten, beim Haushalt mitzuhelfen, den Abwasch zu machen oder am Familienleben teilzunehmen. Da hat sie sich ganz ohne Aufforderung daran beteiligt", betonten Petra und Ziko unisono.
Die beiden Lebenspartner haben selbst eine gemeinsame 13-jährige Tochter namens Samira, auch das Zusammenleben zwischen den beiden Jugendlichen habe großteils reibungslos funktioniert.
Bei Rosarios Aufenthalt in Österreich durfte ein Besuch der Wiener Staatsoper natürlich auch nicht fehlen.
Anfänglicher Kulturschock
Ganz ohne Herausforderungen verlief das Schuljahr für die Gastjugendliche aus Argentinien jedoch nicht.
So ein Austauschjahr sei für einen jungen Erwachsenen ein einschneidendes Erlebnis - durchaus mit Ängsten und einem Gefühl der Überwältigung, gerade am Anfang - verbunden, so Gastmutter Petra.
Etwa in der Schule soll die Integration zu Beginn nur sehr schleppend funktioniert haben. "Diese herzliche und offene Art, die Rosario aus Argentinien gewohnt war, wo man als Neuling sofort eingebunden wird, das ist in Europa und auch in Österreich gerade am Anfang doch etwas anders", führen die beiden Gasteltern aus.
In dieser Zeit sei Rosario häufig traurig nach Hause gekommen und habe sich schwergetan, Anschluss zu finden.
Wiederum positiv überrascht sei die Jugendliche von den angebotenen Freiheiten - Abends auszugehen und Kulturangebote wahrzunehmen - gewesen, diese Möglichkeiten hätte sie laut ihren Gasteltern aus Sicherheitsgründen in ihrer Heimat nicht gehabt.
Die gemeinsame Wanderung auf das Hochkar (Bezirk Scheibbs) sei eines der besonderes Highlights gewesen, Bild: Gastmutter Petra, Familienfreundin Emilia und Austauschschülerin Rosario (v. li. nach re.).
Gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Erinnerungen
Bezugspersonen für Rosario waren über das Jahr hinweg etwa andere Austauschschülerinnen und Austauschschüler von YFU in Österreich, das Betreuerteam (ehemalige Gasteltern und ehemalige Austauschülerinnen und Austauschschüler) der Organisation und die spanisch-sprechende Tochter einer Freundin der Gastfamilie namens Emilia.
Letztere hat vergangenes Jahr maturiert und befindet sich in etwa im gleichen Alter wie Rosario, dementsprechend viel hätten die beiden zusammen mit der Gastfamilie unternommen - von Wanderausflügen, dem Besuch der Eisriesenwelt in Salzburg oder der Staatsoper bis hin zum gemeinsamen Kochen nach argentinischer Art.
Gemeinsamer Familienabend mit argentinischen Empanadas und Guacamole.
Eine wesentliche Voraussetzung des Programms ist, dass zwischen den Jugendlichen und den Gasteltern gemeinsame Interessen und Hobbys bestehen.
Bewerbung ohne großen Aufwand
Das Bewerbungsverfahren als Gastfamilie sei recht unkompliziert gewesen, erklärt Gastmutter Petra.
Im Wesentlichen entscheide neben dem Bewerbungsformular, das persönliche Kennenlernen mit den ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern von YFU, die selbst einmal Gasteltern oder -jugendliche gewesen sind, darüber, ob man für das Programm infrage kommt.
An dieser Stelle wird geklärt, inwiefern die Rahmenbedingungen - von Unterkunft, Verpflegung bis hin zur Offenheit gegenüber anderen Kulturen - für die Aufnahme stimmen.
Finanzieller Aufwand für Familien
Kosten entstehen den Gastfamilien im Verlauf des Programms nur für Verpflegung und Unterkunft.
Die leiblichen Eltern übernehmen die Kosten für die Teilnahme am Austauschprogramm, die daraus entstehenden Einnahmen werden von YFU etwa in die organisatorische Planung, in Reisekosten und Versicherungen sowie in die Betreuungsangebote und Begleitung während des Gastaufenthalts investiert.
Abschied auf Zeit
Das Austauschprogramm empfiehlt Petra jenen Personen, die "kulturell aufgeschlossen sind und auch Empathie und Verständnis für die individuellen Bedürfnisse eines jungen Menschen aufbringen, der eine völlige neue und vielleicht zunächst auch beängstigende Erfahrung macht."
Rosario war Petras und Zikos erstes Gastkind. "Es ist wunderschön zu sehen, wie sich so ein junger Mensch über das Jahr hinweg entwickelt und aufblüht", betonte Petra.
Persönlich hätte sie aus der Zeit ebenfalls unheimlich viel mitnehmen können und dabei auch gelernt manche Dinge nicht mehr als selbstverständlich zu betrachten - "Es war ein Lernprozess für alle", so die Gastmutter.
Für beide Gasteltern sei klar, es soll ein Wiedersehen, ob in Argentinien oder sonst wo geben - in Kontakt werde man auf alle Fälle bleiben.
Erst vor Kurzem lernte das Paar auch die leiblichen Eltern von Rosario erstmals persönlich kennen.
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