Abwasseranalysen zu Corona sollen Situation in Schulen abschätzen
Seit April 2020 untersucht ein Forschungsverbund SARS-CoV-2-Erbgutrückstände im Abwasser. Mittlerweile ist dadurch ein fast flächendeckendes und zeitnahes Abschätzen der landesweiten Covid-19-Verbreitung möglich, erklärten Experten am Freitag. Das Bildungsministerium setzt ab Herbst verstärkt auf diese Daten. Eine Einschätzung eines Wertes, ab dem an Schulen Maßnahmen verschärft werden sollen, konnte man bei einem Besuch in der Kläranlage Klosterneuburg (NÖ) nicht geben.
"Das Abwasser erzählt uns die Wahrheit", erklärte der Mikrobiologe Heribert Insam, Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobielles Ressourcenmanagement der Universität Innsbruck, der u.a. zusammen mit Norbert Kreuzinger vom Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der Technischen Universität (TU) Wien im Rahmen des "Coron-A"-Projektes die Grundlagen für die seither immer breiter im Einsatz befindliche Methode gelegt hat.
Bildungsministerium setzt auf Kläranlagendaten
Ab dem Schulstart will das Bildungsministerium die Informationen aus 116 Kläranlagen im ganzen Land in Kombination mit flächendeckenden Testungen in den ersten beiden Schulwochen und 300 ausgewählten "Wächter"-Schulen, an denen regelmäßige PCR-Tests stattfinden, dazu nützen, um die Infektionslage an den Schulen einzuschätzen. Immerhin liegen im Einzugsgebiet der beprobten Kläranlagen drei Viertel der Schüler und mehr als 3.000 Schulstandorte.
Natürlich kann in den Abwasserproben nicht direkt identifiziert werden, wie viele der dort pro Milliliter Abwasser gefundenen Viren von Schülern stammen. Man messe nämlich entgegen mancher Vermutungen nicht gezielt Abwässer von Bildungseinrichtungen. Allerdings bieten die in den ersten beiden Wochen durchgeführten Testungen die Möglichkeit, den Blick weiter zu schärfen, so Insam.
Man wisse dann besser, wie die Daten aus den Abwässern mit den regionalen Testergebnissen zusammenhängen können. Nach eineinhalb Jahren Erfahrung mit der in Österreich rasch etablierten Methode könne man sagen, dass es sich um ein "robustes Tool" handle, betonte Kreuzinger bei dem vom Bildungsministerium organisierten Pressetermin.
"Zeitnah verstehen, wie sich Lage ändert"
Die Analysen sind "ein Frühwarnsystem, das uns nicht automatisch ein grünes oder rotes Licht liefert", sagte der Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im Abgleich mit allen anderen Daten ermögliche dies den Entscheidungsträgern jedoch, möglichst faktenbasiert Entscheidungen zu treffen.
"Die Abwasseranalyse alleine wird uns nicht vor der Pandemie retten, aber es ist ein wichtiger Bestandteil, um zeitnahe zu verstehen, wie sich die Lage dynamisch verändert", so der Forscher, der mit seinem Team seit dem Winter das Erbgut der in den Kläranlagen gefundenen SARS-CoV-2-Viren aufschlüsselt und untersucht. Die Abwasserproben waren und sind ein wichtiger Beitrag zur Beobachtung der regionalen Entwicklung der Verbreitung der Virenvarianten hierzulande. Die Methode funktioniere tatsächlich "erstaunlich gut".
Klar sei, dass die Abwasseranalysen keine Einzeltests ersetzen, aber wichtige Zusatzinformationen bieten. Für die Abschätzung der Situation an Schulen glaubt Kreuzinger jedenfalls an einen "hohen Benefit". Gerade in Zeiten, in denen im Verlauf der Pandemie in Österreich sehr viel getestet wurde, "haben die Zahlen sehr gut zusammengepasst". Umgekehrt müsse man sehr darauf achten, wenn Infektions- und Testzahlen regional relativ niedrig sind, die Signale aus den Kläranlagen aber ein anderes Bild sprechen. Dann könne man mit verstärkten Tests wieder genauer hinsehen und gegebenenfalls Maßnahmen anpassen.
Trends vor den Infektionszahlen ablesbar
Aus der zentralen Wiener Kläranlage werden aktuell drei Proben pro Woche analysiert, in anderen Anlagen reichen mitunter zwei. Entnommen müssen sie zum Zweck der Qualitätssicherung routinemäßig werden. Dem über Österreich verteilten Forschungsteam wird dann jeweils ein halber bis ein Liter für die Genanalysen zur Verfügung gestellt, erklärte Kreuzinger der APA. Die Ergebnisse helfen dabei "Trends abzuschätzen" - und dies in der Regel rund eine Woche, bevor eine Entwicklung anhand der regional nachgewiesenen Infektionszahlen ablesbar ist. Das habe sich bereits vielfach bewahrheitet.
"Auch jetzt sehen wir natürlich Zahlen, die nach oben gehen", sagte Kreuzinger. In Zeiten niedriger Inzidenzen zu Beginn des Sommers, seien einzelne Anlagen durchaus auch einmal völlig frei von nachweisbarer Virus-RNA gewesen. Schon Anfang Juli habe sich aber gezeigt, wie die Zahlen in den Kläranlagendaten schon im Steigen waren, "als die Inzidenzen aber eigentlich ein bisschen hinunter gegangen sind".
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