Telefonseelsorge: Immer mehr Menschen greifen zum Hörer
Der „klassische Anrufer“ war früher 40 bis 60 Jahre alt. Doch seit Beginn der Corona-Krise werden die Anrufer jünger, weiß Petra Lunzer. Und sie werden immer mehr. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Maria Pöplitsch leitet Lunzer die Telefonseelsorge im Burgenland.
Unter der kostenlosen Nummer 142 bietet die ökumenische Einrichtung seit 35 Jahren Gesprächsmöglichkeiten mit ausgebildeten Mitarbeitern. Verschwiegen, vorurteilsfrei und verständnisvoll hören sie zu. Gefragt ist immer mehr auch die Online- sowie die 2012 eingeführte Chatberatung.
Die Zahl der Hilfesuchenden ist im Vergleich zu vor der Krise um zwei Drittel gestiegen, erklärt Pöplitsch, die als ausgebildete Lebens- und Sozialberaterin ebenso wie Psychotherapeutin Lunzer selbst am Telefon sitzt. 80 ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen sie.
Wenn keiner zuhört
Was bewegt Menschen, die Telefonseelsorge zu kontaktieren? „Die Kompetenz des Zuhörens kommt vermehrt abhanden: Da kann es vorkommen, dass man im Alltag kein Gegenüber findet, das einem zuhört“, weiß Lunzer. Krisen, Sorgen und Einsamkeit – sie halten sich nicht an Öffnungszeiten. Bei der Telefonseelsorge finden Anrufer – rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr – ein offenes Ohr.
„Hier kann man seine tiefsten innersten Konflikte aussprechen“, erklärt Lunzer. Die Chance, sein Gegenüber vom Telefon in der realen Welt zu treffen ist gleich Null. Und Tipps und Tricks, wie man mit einem Problem umgehen solle, würden Betroffene ohnehin an jeder Ecke finden. „Wir sind für die Anrufer da, anonym. kostenlos. Ohne Bewertung, ohne ein vorgefasstes Lösungsangebot“, sagt Lunzer.
Der größte Vorteil sei der innere Spannungsabbau und eine merkliche Entlastung der Hilfesuchenden.
Die Anrufe seien zum Teil Corona-bedingt, weiß Pöplitsch. Aber manchmal müsse es gar nicht das „große“ Problem sein. „Da kann es schon vorkommen, dass eine Mutter mit zwei kleinen Kindern einmal fünf Minuten jemanden zum Reden braucht, sagt Maria Pöplitsch.
Zum Hörer griff etwa auch eine Tochter, die ihre Mutter pflegt und selbst Hilfe baucht. Oder der Vater, der sich Sorgen macht, dass sein Sohn den Job verlieren und in eine Existenzkrise schlittern könnte. Oder die Frau, deren Katze gestorben ist und die verzweifelt ist – aus Angst, dass ihre Trauer belächelt werden könnte, wählte sie 142.
„Auf’s Ohr angewiesen“
Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, die lange im Lehrberuf tätig war, engagiert sich in der Pension auch bei der Telefonseelsorge. „Bei einer persönlichen Begegnung kann ich Emotionen sehen. Am Telefon bin ich ganz auf mein Ohr angewiesen.“
Um Anliegen der Anrufer herauszuhören, müsse sie „ganz in sich hineinhören. Oftmals sprechen die Menschen lange, bis sie zum Kern ihres Anliegens kommen.“
Aufgearbeitet werden die Erfahrungen der Ehrenamtlichen u. a. im Rahmen einer Supervision. Träger der Einrichtung sind die Katholische und Evangelische Kirche im Burgenland.
MitarbeiterInnen werden gesucht
In den vergangenen 35 Jahren wurden 271 ehrenamtliche MitarbeiterInnen ausgebildet und haben mitgearbeitet. Ehrenamtliche Mitarbeiter werden immer gesucht, so auch für den nächsten Ausbildungslehrgang. Dieser beginnt im Frühjahr 2021. All jene, deren Interesse geweckt wurde, wenden sich an die Telefonseelsorge (02682/777-341).
Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics beschreibt den seelsorglichen Dienst der Ehrenamtlichen als „Martinstaten“. Wo einem Menschen zugehört werde, wo ihm „in einsamen Momenten der Mantel des Zuspruchs sanft um die Schultern gelegt“ werde, dort fände – ihrem tiefsten Wesen nach – die christliche Tat des heiligen Martin statt, so der Bischof.
Telefonseelsorge: 142
Mitarbeit: 02682/777-341
www.martinus.at/telefonseelsorge
www.telefonseelsorge.at.
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