Kaufhaus Giesser in Edelstal: 130 Jahre und kein Ende in Sicht
Zum Einkauf der weißhaarigen Dame kommen noch 2,20 Euro dazu. Der Enkel hat sich unlängst nach dem Fußballtraining eine Wurstsemmel geholt und hatte kein Geld dabei. „Ich gebe schon mehr für den Buam aus als für mich selbst“, scherzt die Edelstalerin und zückt ihre Brieftasche.
Anschreiben lassen, das erscheint in Zeiten von Zahlen mit Karte und Handy wie eine fast vergessene Praxis. Im Kaufhaus Giesser gehört es heute noch wie selbstverständlich zum Service dazu. Susanne Giesser trägt die Schulden gewissenhaft in ihr Kassenbuch ein. Trotzdem kommt es vor, dass der eine oder andere kleine Einkauf vergessen wird. Aber auch das gehört dazu. „Nach einem Jahr laufen wir niemandem mehr wegen ein paar Euro hinterher“, lässt die 59-jährige Kauffrau Gnade vor Recht ergehen.
So ähnlich wird es bei den Giessers schon seit 130 Jahren gehandhabt. Günter Giesser führt den Betrieb, den sein Ururgroßvater 1894 als Bäckerei in der Edelstaler Hauptstraße gegründet hat, heute in vierter Generation zusammen mit seiner Frau.
Gallisches Dorf
Im Jahr 2024 gleicht das Kaufhaus einem gallischen Dorf, das sich im Kampf gegen die Handelsriesen wacker schlägt. Das liegt unter anderem daran, dass es im 800-Seelen-Ort Edelstal keinen anderen Nahversorger gibt. Dafür reiht sich im nur wenige Kilometer entfernten Einkaufszentrum Kittsee Supermarkt an Supermarkt.
„Vor 25 Jahren hat der erste Billa aufgemacht. Da habe ich mir noch gedacht: Ojemine, das war’s mit uns“, erinnert sich Susanne Giesser zurück. Sie irrte sich – zum Glück für Edelstal. Circa 100 Kundinnen und Kunden gehen täglich im Kaufhaus ein und aus, eine Zahl, die über die Jahre ziemlich konstant geblieben ist. „Anscheinend sind die Leute zufrieden, sonst würden sie ja nicht mehr kommen“, meint die resolute 59-Jährige hinter der Verkaufstheke.
Kaufhaus Giesser in Edelstal
Kaufhaus Giesser in Edelstal
Kaufhaus Giesser in Edelstal
Kaufhaus Giesser in Edelstal
Kaufhaus Giesser in Edelstal
Zur Langlebigkeit des Unternehmens hat sicher auch beigetragen, dass die Giessers immer wieder das richtige Gespür für die Entwicklungen der Zeit bewiesen haben. Ein Beispiel: 2020 wurde eine große Photovoltaikanlage angeschafft. Seit die Kühlvitrinen mit selbst erzeugtem Sonnenstrom betrieben werden, müssen sich die Giessers keine Sorgen mehr um schwankende Energiepreise machen.
Neben den typischen alltäglichen Lebensmitteln bietet das Kaufhaus Giesser auch Tabakwaren, Wein aus Edelstal und Zeitschriften an. Weitere Besonderheiten: Hauszustellung, Putzerei- und Bücherbestellservice (und vieles mehr).
Öffnungszeiten: Das Kaufhaus Giesser ist täglich (außer Sonntag, versteht sich) von 6.15 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 geöffnet. Donnerstags und Samstags bleibt das Geschäft am Nachmittag geschlossen. Alle Infos: kaufhaus-giesser.at
Ein weiteres Erfolgsgeheimnis: Im Kaufhaus Giesser gibt es so gut wie alle Artikel des täglichen Bedarfs. Obendrein besitzt die Familie seit den 1950er-Jahren eine Trafikkonzession, was die Rundum-Nahversorgung komplettiert.
Eine Frage, die sich trotzdem aufdrängt: Lohnt es sich im Jahr 2024 noch finanziell, in einem der kleinsten Dörfer im Nordburgenland einen Nahversorger zu betreiben? Susanne Giessers Antwort: „Reich wirst du nicht mit einer Greißlerei. Ganz arm aber auch nicht – wenn man es richtig anstellt.“
Derzeit schaut es übrigens nicht danach aus, dass eines der drei Kinder des Ehepaars das Geschäft übernehmen wird – sie haben andere Karrierewege eingeschlagen.
Kein Nachfolger in Sicht
Da meldet sich Günter Giesser zu Wort: „Die Bandscheiben hätten mich vor fünf Jahren schon fast zur Ordnung gerufen. Aber das hat sich wieder stabilisiert“. 2020 verabschiedete sich der 64-Jährige von seinem Hauptberuf als Polizist. Das Kaufhaus wolle er aber als „Hobby“ mit seiner Frau auf unbestimmte Zeit weiterführen. „Wir machen das, solange wir gesund sind und es uns Spaß macht. Das kann ein Jahr sein, das können zehn Jahre sein“, sagt sie.
Das 140. Jubiläum könnte sich für die Edelstaler Institution also noch ausgehen.
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