Die Ängste der Manager
Die Angst den Job zu verlieren, die Angst vorm Chef: Beides ist Mitarbeitern gut bekannt, beides wird häufig thematisiert. In den Führungsetagen hingegen herrscht diesbezüglich große Verdrängung. Denn in der Position des starken Machers ist kein Platz für Unsicherheit und Ängste. Darüber zu reden ist tabu. Und doch: "Angst ist die Zwillingsschwester der Macht", sagt Angstforscher Winfried Panse. "Wer ganz oben ist, hat viel zu verlieren."
Das Bild des starken Managers gerät zusehends ins Wanken: In der Schweiz breitete sich nach einigen Suiziden hochrangiger Manager im vergangenen Jahr eine Diskussion über die großen emotionalen Belastungen dieses Berufsstandes aus. Und Anfang 2015 brach Rüdiger Striemer, als Konzernvorstand der adesso AG auch für adesso Austria mit Sitz in Wien zuständig, das Tabu. Er veröffentlichte ein Buch über seine Angstzustände. Im Interview (siehe unten) sagt er: "Angefangen hat es mit allgemeinen Anzeichen wie Schwindel und Kopfdruck, die man nicht einer psychischen Krise zuordnen würde. Dann kam eine innere Unruhe dazu, die kontinuierlich immer stärker und unerträglicher wurde." Striemer musste raus aus seinem Job und ließ sich in eine psychiatrische Klinik einweisen.
Doch Ängste gehören zum Leben dazu. Man müsse Angst "als einen Wachhund betrachten und nicht als einen reißenden Wolf, der die Seele auffrisst", sagt Haller. Mit folgenden Ängsten sind Führungskräfte konfrontiert:
1. Angst vor der Rolle
Wie schön wäre ein Superheld als Leader. Einer, der immer die richtigen Entscheidungen trifft, der versteht, alle Mitarbeiter zu motivieren, der ein Vorbild ist, Ungerechtigkeiten Einhalt gebietet, Ziele erreicht, brillant in allen Facetten. Die Erwartungshaltung gegenüber Führungskräften ist absurd hoch. So hoch, dass sie eigentlich niemand je erfüllen kann – nicht einmal der narzisstischste Selbstdarsteller, an dem Kritik und Druck abperlen wie Wasser von Wachs.
Die Lösung: Reinhard Haller rät: "Man muss sich auch eingestehen, wenn man keine Führungskraft ist. Man muss sich Schwächen eingestehen, die Anzeichen von Überbelastungen erkennen und sich adäquat Hilfe holen, wie jeder andere auch."
2. Die Angst, zu versagen
"Wenn es möglich ist, versteckt man sich beispielsweise im Vorstand lieber hinter kollektiven Entscheidungen", sagt Glück. Oder es werden Entscheidungen verschleppt – dann verstauben Konzepte in der Schublade, Mitarbeiter sind verunsichert. Schuld an Versagensängsten sei auch die schlechte Fehlerkultur in Europa, sagt Glück. Die Maxime laute: "Du darfst keine Fehler machen." Wer doch Fehler macht, muss die Konsequenzen tragen. Diese Art der Fehlerkultur führt zu einem Problem: Die Versagensangst überträgt sich auf die Mitarbeiter – und lähmt die Produktivität.
Die Lösung: Die Nachricht lautet: Sorry, Sie sind nicht perfekt – und müssen es auch nicht sein. Hören Sie auf, sich Druck zu machen. Gestehen Sie sich ein, dass Sie Angst vor einer Niederlage haben. Binden Sie Ihre Mitarbeiter aktiv ein in Ideen, wecken Sie ihre Veränderungsbereitschaft.
3. Die Angst, Macht und Status zu verlieren
Ein nagelneuer Mercedes, ein ordentlicher Bonus, Anerkennung in der Branche und im privaten Umfeld: "Statusabsicherung ist wahnsinnig wichtig für Manager", sagt Heidi Glück. Doch wo Macht ist, sind auch Stuhlsäger nicht weit. Ganz oben ist man einsam, umgeben von Konkurrenten, die auf den eigenen Job spechteln. Spätestens wenn der Vertrag nicht verlängert wird, weil man an den Kennzahlen heillos vorbeigeschossen ist, kriecht die Angst hoch. Nämlich, alles, was einen ausmacht zu verlieren. Die Kontrolle, den Lebensstandard samt gut gefülltem Konto, die betuchten Freunde für Golfplatz und Yachtparties. Mit dem eigenen Führungsjob wäre man schnell auch das starke Ego los, das macht Existenzangst. Gewappnet sind dafür die wenigsten. Hinzu kommt: "Wenn sie dann den Job verlieren oder in Pension gehen müssen, sind sie mit der zentralen Frage konfrontiert: Wo ist das Leben geblieben?", sagt Reinhard Haller. Das nicht gelebte Leben außerhalb des Jobs werde zum großen Problem.
Die Lösung: Hinterfragen Sie, ob Sie im Job noch auf Kurs sind. Holen Sie sich Feedback von Mitarbeitern, um das eigene Verhalten anpassen und Fehlentscheidungen orten zu können. Machen Sie Ihr Ego nicht von Ihrer (Macht-)Position abhängig – es gibt auch noch ein Leben außerhalb der Firma. Holen Sie sich emotionale Unterstützung von Freunden und Familie.
4. Angst vor moralischen Dilemmata
Bleiben oder gehen? Stillhalten oder aufbegehren? Mitmachen oder protestieren – solche Fragen würden sich laut Maren Lehky die meisten Führungskräfte irgendwann stellen. Unternehmensrealität ist – trotz aller Compliance-Richtlinien und -Gesetze: Manager bewegen sich ab und an in rechtlichen Graubereichen oder verstoßen gegen die eigenen Wertvorstellungen. Laut einer Studie des Soziologen Eugen Buß sind 13 Prozent der Manager der Meinung, dass Wirtschaft und Moral unvereinbar sind.
"Dabei beginnt die moralische Grauzone ja nicht erst im justiziablem Bereich", schreibt Lehky. Auch Mitarbeiter zu kündigen, nagt am Gewissen. Heidi Glück sagt: "Niemand schmeißt gern jemanden raus. Das kostet vielen schlaflose Nächte. Da haben viele Skrupel, der Mitarbeiter wohnt im gleichen Ort, hat vier Kinder und man muss ihn vor die Tür setzen."
Die Lösung: Reflektieren Sie und überlegen Sie die Konsequenzen Ihres Handelns, vertreten Sie Ihre Werte. "Entlasten kann neben der Einsicht, es nie allen und nie alles recht machen zu können, der Austausch mit betroffenen Kollegen oder professionellen Außenstehenden wie Coaches. Und auch die Frage, wie viel Distanz zum Berufsgeschehen einem guttut", so Lehky.
5. Die Angst, den Karrierepfad zu verlassen
Nicht jeder Manager ist ein "Happy Workaholic", wie Management-Guru Reinhard K. Sprenger CEOs nennt, die vorrangig Spaß an ihrer Arbeitswut haben. Unsere Ängste und die innere Leere würden wir heute gerne mit viel Arbeit und Freizeitstress betäuben, wie der deutsche Psychologe Stephan Grünewald in Studien festgestellt hat. Er ortet eine Tendenz zur "Überbetriebsamkeit". Eine ungesunde Haltung, die zu einer erschöpften Gesellschaft führe. Das betrifft auch Führungskräfte. Das US-Beratungshaus Zenger Folkman fand in einer Studie unter 320.000 Führungskräften heraus: Am unglücklichsten ist das mittlere Management – für viel Arbeit und Druck von unten und oben gibt es nur wenig Anerkennung. Irgendwann ist die Luft raus – man kann nicht mehr, will etwas Anderes. Oder man langweilt sich nach 20 Jahren im Chefsessel, möchte Bio-Bauer werden oder ein innovatives Start-up gründen. Der Wunsch, etwas anderes zu machen, geht häufig mit der Angst vor dem Unbekannten einher. Diese Angst blockiert die Neuorientierung.
Die Lösung: Auch wenn es schwerfällt: Wenn Sie in Ihrem Führungsjob unglücklich sind, ist es für Ihr Seelenheil besser, den Neustart zu wagen. Suchen Sie sich Verbündete, die Sie dabei unterstützen.
KURIER: In Ihrem Buch „Raus! - Mein Weg von der Chefetage in die Psychiatrie und zurück“ erzählen Sie von der Angst, die Sie täglich begleitet hat – wovor hatten Sie als Führungskraft denn Angst?
Rüdiger Striemer: Bei mir hat sich eine generalisierte Angststörung aufgebaut: Da hat die Angst kein konkretes Objekt, sondern sie ist zum Schluss einfach da, immer und überall, vollkommen ohne Bezug.
Was waren Anzeichen?
Angefangen hat es mit allgemeinen Anzeichen wie Schwindel und Kopfdruck, die man nicht einer psychischen Krise zuordnen würde. Dann kam eine innere Unruhe dazu, die kontinuierlich immer stärker und unerträglicher wurde.
Ängste werden in Führungsetagen unterdrückt und verleugnet, dort sind sie nicht erlaubt. Darf ein Manager Angst haben und scheitern?
Natürlich darf er Angst haben, auch sehr starke Erregung ist eine Vorstufe von Angst. Das ist ja ein grundsätzlich normaler Prozess in kritischen Situationen, auch wenn kein Manager diesen Begriff dafür verwenden würde. Schwierig wird es, wenn Angst irrational wird und der Situation nicht mehr angemessen ist. Kombiniert mit einer Haltung, in der Scheitern keine Option ist, wird daraus schnell eine regelrechte Krankheit.
Wie kann man sich Ihren Arbeitstag vorstellen? Wieso sind Sie an Burn-out erkrankt?
Ich bin kein Freund des Begriffs „Burn-out“, denn er unterstellt etwas heldenhaftes. Mein Tag ist und war aber nicht heldenhaft. Manche Tage waren sehr, sehr voll und lang, ja. Ganz viele andere aber waren normale Tage, mit einem normalen Pensum. Bei mir haben sich eher die vielen Kontextwechsel und die vielen folgenreichen Entscheidungen, ohne die Zeit für Details zu haben, als problematisch herausgestellt.
Sie haben sich in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen und haben alles abgeben – Handy, Macht, Verantwortung. Wie war das für Sie?
Mein Handy durfte ich behalten, ich habe es nur einfach nicht mehr benutzt – freiwillig. Ob Handy oder Macht: die Vorstellung, davon etwas loszulassen, ist viel schlimmer als die Erfahrung selbst. Als ich alles los war, habe ich angefangen, mich mit mir selbst zu beschäftigen – mehr war da ja nicht mehr.
Wie gehen Sie heute mit Angst und Verantwortung um? Sind Sie heute eine bessere Führungskraft?
Das würde ich nicht sagen. Ich bin eine andere Führungskraft, eine, die sich nicht ganz so wichtig nimmt.
Ich kann nur für den Fall einen Rat geben, dass man merkt, es stimmt etwas nicht. Egal ob es zunehmende Ängste oder auch Depressionen sind. Dann hilft nur eins: sich ganz schnell dem engsten Umfeld anzuvertrauen. Man muss ja nicht gleich ein Buch schreiben. Mit guten Freunden sprechen hilft.