Wirtschaft

IHS-Chef Kocher schließt mehr als 500.000 Arbeitslose nicht aus

IHS-Chef Martin Kocher schließt nach dem zweiten deutschen Lockdown nicht aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in Österreich heuer auf über 500.000 steigt. "Wir werden in die Richtung kommen und möglicherweise knapp drüber", sagte der Ökonom am Donnerstag im Gespräch mit der APA.

Auch wenn die Zahl hohe Symbolkraft habe, sei die Höhe weniger entscheidend als die Frage, ob die Arbeitslosigkeit temporär oder von längerer Dauer sei. Wenn sich die Arbeitslosigkeit verfestige - Stichwort Langzeitarbeitslose - habe das größere Folgen als eine kurzfristig hohe Arbeitslosenzahl, so Kocher.

Die Arbeitslosigkeit im Winter hängt vor allem davon ab, wie es um die deutschen Urlauber steht. "Die Aussichten für eine einigermaßen normale Wintersaison haben sich verschlechtert." Ganz abschreiben will Kocher den Tourismus trotz der Entwicklung in Deutschland aber noch nicht. "Wer weiß, was passiert bis Weihnachten oder Anfang nächsten Jahres", meinte Kocher. Er erwartet aber nicht, dass die Infektionszahlen auf das Niveau vom Sommer sinken. Eher, dass man Urlaube mit Gratistests bei Ein- und Ausreise ermöglicht. "Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass, selbst wenn es relativ hohe Zahlen gibt bei Pandemie, wir einen Modus finden, dass es funktioniert."

Kocher schätzt, dass neue Lockdowns in Deutschland oder auch Österreich weniger hart sein werden als im Frühjahr. "Wir wissen, dass ein Lockdown, wie er im Frühjahr war, 25 Prozent, also ein Viertel, die Wirtschaftstätigkeit reduziert hat", so Kocher. Diesmal würden es wahrscheinlich so um die zehn Prozent sein, prognostizierte der Ökonom überschlagsweise. Ob ein längerer und dafür leichterer Lockdown oder ein kurzer harter Lockdown der Wirtschaft mehr schadet und gleichzeitig die Infektionen stärker eindämmt, könnten letztlich weder die Virologen noch die Ökonomen sagen.

Österreich durch deutschen Lockdown "nur indirekt" betroffen

Direkt dürfte der neue deutsche Teil-Lockdown Österreichs Wirtschaft nur gering treffen, da er vor allem den Dienstleistungssektor betrifft und nicht die Industrie. "Das heißt, es ist vor allem die Binnenwirtschaft, die dadurch betroffen ist." Indirekt würden die Exporte nach Deutschland aber schon unter den verschlechterten Aussichten leiden. Es sei vor allem die Stimmung, die sich nun wieder eingetrübt habe, nachdem es im August und September noch recht optimistische Signale gegeben habe. Eine schlechte Stimmung führe dazu, dass sich die Firmen mit Investitionen und die Menschen beim Konsumieren zurückhalten.

Auch neue Maßnahmen in Österreich würden dazu führen, dass die Unsicherheiten steigen. Unter Kontaktbeschränkungen - ob in Form eines Lockdowns oder nicht - werde vor allem die Freizeitwirtschaft, die Gastronomie, der Sportbereich und die Eventbranche leiden. "Allerdings wissen wir auch, wenn es keine Einschränkungen gibt und wir es nicht schaffen, die Infektionszahlen in den Griff zu bekommen, dass es auch negative wirtschaftliche Folgen hat. Man ist also gewisserweise in einer Lose-Lose-Situation", so Kocher.

Durch strengere Maßnahmen, die wohl auch auf Österreich zukommen werden, dürfte das Minus in der Wirtschaftsleistung stärker ausfallen als zuletzt gedacht. Kocher schätzt aber, dass die Auswirkungen auf das heurige Jahr weniger dramatisch sein werden als auf 2021. "Ob das heuer jetzt 6,7 Prozent sind, wie in der letzten Prognose, oder knapp über 7 Prozent Minus, was dann möglicherweise das Fall wäre, würde keinen so großen Unterschied machen. Es würde einen großen Unterschied machen für den Start ins neue Jahr", so Kocher. "Wir hatten eigentlich immer geglaubt, dass es im ersten und zweiten Quartal 2021 schon wieder leicht bergauf geht", räumte der Ökonom ein. Beschränkungen wie ein "Lockdown light" wären also vor allem ein Problem für die Erholung, insbesondere auch am Arbeitsmarkt.

Allerdings könnte eine Impfung das Blatt auch wieder rasch wenden. "Man kann natürlich auch die negative Spirale in der Stimmung schon recht rasch durchschlagen, wenn es positive Nachrichten gibt - die können in zwei Monaten kommen, die können aber auch erst im Frühjahr oder später kommen", sagte Kocher. Das Institut für Höhere Studien (IHS) und das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) veröffentlichen ihre nächste BIP-Prognose Mitte Dezember.