ÖSV-Star Liensberger: "Es hat Momente der Zukunftsangst gegeben"
Von Christoph Geiler
Im Grunde hätte Katharina Liensberger mit 24 Schluss machen können. In ihren jungen Jahren hatte sie schon alle bedeutenden Titel und Trophäen eingeheimst und dabei den Skisport nur von seiner Sonnenseite kennengelernt.
Im Alter von 24 war die Vorarlbergerin Olympiasiegerin und Doppel-Weltmeisterin, sie hatte den Slalom-Weltcup gewonnen und bei Großereignissen sieben Medaillen abgeräumt.
Sie lachte als beliebtes Werbetestimonial von Plakatwänden und aus dem Fernseher, Katharina Liensberger war das strahlende Gesicht des österreichischen Frauen-Skisports – viel besser kann eine Karriere nicht verlaufen.
Talfahrt
Es war fast absehbar, dass es in diesem Tempo nicht weitergehen konnte. Dass dem steilen Aufstieg aber dann ein so jäher Absturz folgen würde, kam dann doch eher überraschend und ist eines von so vielen Mysterien in der Welt des Spitzensports.
Seit der Saison 2021/’22 stand Katharina Liensberger nur noch einmal auf einem Siegespodest, bei der WM 2023 in Méribel landete die Doppelweltmeisterin von 2021 mit den Rängen 20 und 24 im geschlagenen Feld.
Liensberger winkte und lächelte im Ziel zwar weiter in die Kameras, doch es wirkte oft ähnlich gequält und gezwungen wie ihr Skifahren.
„Die Saison 2022/23 war total vermurkst“, erinnert sich die 27-Jährige. Auf dem Weg nach neuen Zielen und Missionen hatte sich Katharina Liensberger einer Herausforderung gestellt, die sie am Ende überforderte:
Die Technikspezialistin aus dem Ländle sollte Schwung für Schwung zur Allrounderin geformt werden, dafür wurde ihr vom ÖSV der gleichermaßen renommierte wie knorrige Livio Magoni als persönlicher Coach zur Seite gestellt.
Reißleine
Es zeichnete sich schnell ab, dass dieses ambitionierte Projekt nicht zum Erfolgsmodell taugt. Noch mitten in der Saison zog Liensberger die Reißleine und trennte sich vom italienischen Coach. Zu diesem Zeitpunkt war der Schaden aber schon längst angerichtet und die erfolgsverwöhnte Vorarlbergerin befand sich bereits mitten in der Abwärtsspirale.
Binnen weniger Monate kamen ihr die Qualitäten abhanden, die sie in den ersten Wintern im Weltcup so ausgezeichnet hatten: ihre Leichtigkeit, ihr Draufgängertum, ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – nicht zuletzt ihre Freude am Skifahren.
Frustmomente
„Es hat diese Momente der Frustration gegeben“, gesteht Katharina Liensberger heute. „Auch Momente der Zukunftsangst. Alles andere wäre angesichts der Fakten, die alle Insider kennen, unglaubwürdig.“
Der verkorkste Weltcupwinter 2022/’23 war eine Zäsur, Liensberger rief für sich den Neustart aus und fand im neuen Cheftrainer Roland Assinger auch einen Unterstützer.
Der Kärntner, der nicht gerade dafür bekannt ist, um den heißen Brei herumzureden, dürfte mit seiner direkten Art bei der sensiblen Vorarlbergerin den richtigen Ton getroffen haben. „Wir arbeiten bei Katharina Liensberger nach dem Motto: Weniger ist mehr. Keep it simple“, erklärt Roland Assinger.
Trendwende
Die Fortschritte sind deutlich sichtbar, auch die ersten Teilerfolge haben sich bereits eingestellt. Es geht nach der Talfahrt zwar nicht ganz so rasant nach oben, wie noch zu Beginn ihrer Karriere, als Liensberger die Slalomwelt im Sturm erobert hatte.
Immerhin beendete sie letzte Saison den Slalomweltcup auf Rang sieben und etablierte sich wieder im Vorderfeld. „Ich konnte mich mit großer Unterstützung auch und vor allem meines privaten Umfelds, von Freunden und Fans herauskämpfen“, betont die 27-Jährige aus Göfis. „Der Turnaround ist geglückt, jedenfalls für mich und meine Trainer.“
Flowzustand
Der Saisonauftakt verlief schon einmal vielversprechend, der achte Rang in Sölden war Liensbergers bestes Riesentorlauf-Ergebnis seit zwei Jahren, im ersten Weltcupslalom am Samstag in Levi traut ÖSV-Chefcoach Assinger seinem Schützling noch einiges mehr zu.
„Sie ist schon wieder Top 7, da kann es bei ihr schnell gehen. Sie hat die Kugel gewonnen und ist Weltmeisterin. Die Frau kann Skifahren.“
Manchmal setzt sich Katharina Liensberger vor den Laptop und schaut sich selbst beim Skifahren zu. Die Videos von ihren Erfolgsläufen führen ihr vor Augen, zu was sie imstande ist und mit welcher beneidenswerten traumwandlerischen Sicherheit sie schon unterwegs war.
Liensberger vergleicht den Flowzustand mit „einer Art positivem Höhenrausch, bei dem alles ganz leicht und spielerisch gelingt.“
Selbstvertrauen
Dieses Gefühl lässt sich nicht einfach reproduzieren. Aber Liensberger stellte schon in der letzten Saison fest, dass sie immer wieder Passagen, manchmal sogar ganze Läufe hatte, bei denen ihr das Skifahren leicht von der Hand ging.
„Es geht um Kleinigkeiten: Tagesform, Material, natürlich auch um Lockerheit und Selbstverständlichkeit. Das kannst du dir nirgends kaufen. Diese Dinge kommen mit dem Selbstvertrauen nach guten Ergebnissen.“
Katharina Liensberger wirkt gerade sehr aufgeräumt und gereift, im Sommer hat sie an der Uni St. Gallen den Sportmanagement-Lehrgang begonnen. „Es tut gut, mich geistig anderweitig zu fordern“, sagt die 27-Jährige.
Nach den vielen Erfolgen in jungen Jahren waren von Liensberger Wunderdinge erwartet worden. Dieser Druck hat sich inzwischen gelegt. „Das ist der Preis des Erfolgs. Zu gewissen Zeiten war das auch für mich nicht leicht, aber jetzt kann ich es ganz frei sagen: Ich bin dankbar für meine Erfolge und froh, immer noch mit Freude auf höchstem Niveau zu fahren. Würde ich morgen aufhören, es gäbe kein Missing Link. Das ist schön."