Kletter-Star Tobias Plangger: Der Mann, der über Steilwände läuft
Von Christoph Geiler
Wenn Tobias Plangger Laufen geht, dann zieht er sich seine engen Kletterpatschen an und taucht seine Finger in den Magnesiabeutel. Die bevorzugte Laufstrecke des Tirolers ragt 15 Meter senkrecht in die Höhe, elf schmale Tritte und 20 kleine Griffe weisen ihm den Weg nach oben.
Als das Startsignal ertönt, schnellt Plangger in die Höhe und klettert, nein, er rennt förmlich die Wand empor, als würde er sich in der Waagrechten bewegen. Auch wenn dieser rasante Sport offiziell Speedklettern heißt, mit Kraxeln hat das, was Plangger macht, wenig zu tun. „Es ist eher ein vertikaler Sprint und hat was vom Laufen“, erklärt der 21-Jährige, der zuletzt als erster Österreicher in dieser Disziplin ein Weltcuppodest erklimmen konnte (2.).
Genormte Route
Speedklettern führte hierzulande lange Zeit ein Schattendasein und war teilweise sogar verpönt. Österreichs Kletterer konzentrierten sich auf die beiden Disziplinen Lead und Bouldern, bei denen die Athleten ein jedes Mal vor neue Herausforderungen und Aufgaben gestellt werden.
Im Speed sind die Kletterroute und die Griffe hingegen genormt. Das ist in etwa so, als würde in der Formel-1 an jedem Ort auf einem baugleichen Kurs gefahren. Das müsse doch monoton sein, bekommt Plangger oft zu hören.
„Es ist überhaupt nicht eintönig“, entgegnet der Speedkletterer aus Thaur bei Innsbruck und verweist auf das abwechslungsreiche Training, das viele Elemente der Leichtathletik beinhaltet. Nicht zu vergessen der Reiz der ewigen Jagd nach den Hundertstelsekunden.
Sportklettern
Das Sportklettern erlebte in den vergangenen 20 Jahren einen riesigen Boom. Vor einem Jahr wurden in Tokio das erste Mal olympische Medaillen vergeben. Der Innsbrucker Jakob Schubert gewann Bronze in der Kombination (Speed, Bouldern, Lead).
Bei den Spielen 2024 gibt es eine Medaillenentscheidung im Speed sowie eine Kombination (Bouldern und Lead).
Lead
Die Urdisziplin des Sportkletterns. Die Aufgabe besteht darin, eine 15 Meter hohe Wand auf einer vorgegebenen Route innerhalb von sechs Minuten zu durchsteigen.
Bouldern
Beim Bouldern wird ohne Seilsicherung in Bodennähe geklettert. Die Sportler müssen mehrere Hindernisse, sogenannte Boulder, in fünf Minuten überwinden, ohne dabei den Boden zu berühren.
Speed
Auf einer weltweit genormten Route mit fix vorgegeben Griffen muss eine 15 Meter hohe Wand bezwungen werden. Der aktuelle Weltrekord bei den Herren liegt bei 5,10 Sekunden. Vor zehn Jahren schafften es die ersten Speedkletterer unter sechs Sekunden. In dieser Disziplin sind Kletterer aus Indonesien, Russland und Iran extrem stark.
Gewiefte Variante
Tobias Plangger wurde zuletzt in Salt Lake City mit 5,59 Sekunden gestoppt. Damit hat er allein in dieser Saison seinen österreichischen Rekord um mehr als drei Zehntel verbessert.
Der rasanten Entwicklung des Heeressportlers liegt eine Pionierleistung zugrunde. Dieser innovative Tobias Plangger hat über den Winter tatsächlich einen neuen Weg über die genormte Wand gefunden. „Wenn man so will, eine Abkürzung.“
Plangger klettert das letzte Drittel neuerdings anders als die Konkurrenz. „Ich habe oben eine andere Griffkombination. Da lasse ich zwei Griffe aus, die die anderen alle verwenden.“ Dadurch kommt er schneller ans Ziel. Möglich machen das sein kräftiger Körperbau und sein explosiver Stil. „Ich kann längere Züge machen.“
Die Idee dazu kam Tobias Plangger im Schlaf. „Ich bin munter geworden, weil ich von dieser Technik geträumt habe. Weil es im Training sofort super funktioniert hat, habe ich es dann verfeinert und perfektioniert.“
Gehypter Sport
Doch die beste Technik und das höchste Tempo nutzen nichts, wenn die Nerven nicht mitspielen. „Du hast im Speedklettern nur fünf Sekunden Zeit. In denen darfst du keinen Fehler machen und musst performen. Der Kopf spielt eine wichtige Rolle.“
Tobias Plangger fühlt sich noch lange nicht am Plafond angekommen. Vor allem auf den ersten Metern verliert er noch wertvolle Zeit. „Es geht noch viel schneller“, weiß der Tiroler, dessen Fernziel die Olympischen Spiele 2024 in Paris sind.
Er hätte nie gedacht, dass er es als Kletterer einmal zu Olympia schaffen könnte. Als Kind war das Klettern für Tobias Plangger Therapie. „Ich hatte einen Tumor in der linken Hand und musste etwas machen, um die Hand zu bewegen“, erzählt er. „Wenn ich heute sehe, wie der Sport durch die Decke geht, dann zeigt das, wie populär das Klettern geworden ist.“
Und zwar ähnlich schnell, wie er die 15 Meter Wand emporklettert, pardon: läuft.