Nach Galavorstellung: Renaissance des DFB-Teams weckte Euphorie
Seit Samstag glaubt Fußball-Deutschland wieder an die Möglichkeit, den EM-Titel gewinnen zu können. Mit einem 4:2 in München gegen Titelverteidiger Portugal rückte das DFB-Team dem Achtelfinale einen großen Schritt näher, Bundestrainer Joachim Löw ließ damit seine Kritiker zumindest vorerst verstummen.
In der Stunde seines größten Erfolgs seit längerer Zeit gab es von Löw Warnungen zu hören. "Wir haben jetzt mal einen Sieg eingefahren. Das ist schön. Wir haben es selber in der Hand. Jetzt müssen wir gegen Ungarn nachlegen", forderte der Coach.
"Es gibt ja keine Tage, an denen man völlig runterfährt als Trainer. Der nächste Gegner steht an", sagte der 61-Jährige mit Blick auf das Gruppenfinale. Im wohl letzten Münchner EM-Heimspiel am Mittwoch gegen die Magyaren soll der verheißungsvolle Trend bestätigt werden.
Löw vorsichtig
Mit seiner analytischen Nüchternheit passte Löw nicht in die große Jubelstimmung. Ein Punkt reicht sicher für die K.o.-Runde, ein Sieg könnte noch Platz eins bringen. Das schien noch vor dem Portugal-Spiel reine Utopie. Von einem verfrühten bitteren Ende der Ära Löw redet nach dem vielleicht besten deutschen Turnierspiel seit dem WM-Triumph 2014 in Rio de Janeiro niemand mehr. Vier Tore in einem EM-Match gelangen in der langen DFB-Historie vorher in der regulären Spielzeit nur einmal beim 4:2 im Viertelfinale 2012 gegen Griechenland.
Alle Skepsis und Kritik nach dem 0:1 gegen Weltmeister Frankreich ist verschwunden. War das die Initialzündung für ein rauschendes Fußball-Fest? Nein, meinte Löw. "Bei einem Turnier heißt es, Schritt für Schritt zu gehen", betonte der Bundestrainer. "Das hat mit Initialzündung nicht so viel zu tun. Natürlich gibt so ein Erfolg eine gewisse Stärkung", fügte der 61-Jährige an.
Deutschland ohne Zweifel
Im Gegensatz zu Fans und Experten war Löw ohnehin nie skeptisch, wie er beteuert. "Wir haben ja nicht gezweifelt, auch wenn wir gegen den Weltmeister mal verloren haben", sagte er. Seine nun fast schon legendäre Sturheit zahlte sich gegen Portugal aus. Sogar Joshua Kimmich muss einsehen, dass er am rechten Flügel am richtigen Ort war. Mit Robin Gosens war die Flügelzange das probate Werkzeug.
"Der Trainer entscheidet am Ende, wo er das Gefühl hat, dass die beste Mannschaft auf dem Platz steht. Das erwarte ich auch von jedem anderen, nicht nur von mir, dass er alles für den Teamerfolg in die Waagschale haut. Nur wenn wir das machen, können wir ganz weit kommen", sagte Kimmich.
Gosens wurde sogar zum Spieler des Spiels gekürt. "Die Trophäe ist gigantisch. Wenn man zurückblickt auf den Weg, den ich gegangen bin, ist das unbeschreiblich. Das ist sicher einer der Abende, die ich nie in meinem Leben vergessen werde", sagte der 26-Jährige.
Auch der Sieg über Portugal konnte noch existierende Baustellen nicht komplett übertünchen. Sinnbildliche Warnung waren die zwei Gegentore. Defensive Umschaltmomente wie bei Cristiano Ronaldos erstem Tor gegen Deutschland und vor allem die Standard-Verteidigung beim zweiten Gegnertreffer durch Diogo Jota demonstrierten dies.
Europameister gegen Weltmeister
Dennoch ist Deutschlands Position um einiges komfortabler als jene der Portugiesen, die nun gegen Frankreich punkten müssen. Es liege nun an der Mannschaft und ihm, "ob wir in die nächste Runde kommen oder nicht", befand Teamchef Fernando Santos. "Wir müssen auf diese Niederlage antworten."
Portugal hat es selbst in der Hand - das ist der Vorteil vor dem Kräftemessen mit Kylian Mbappe, Antoine Griezmann und Paul Pogba. Selbst eine Niederlage könnte reichen, wenn Ungarn nicht gegen Deutschland gewinnt. Schon 2016 schafften es die Portugiesen mit nur drei Punkten - damals mit drei Remis unter anderem gegen Österreich - in die K.o.-Runde.
"Wir sind in einer ungeheuren Gruppe", konstatierte Santos und referierte über die Vier-Tore-Warnung: "Nach einer Niederlage muss man kühlen Kopf bewahren, mit seinen Spielern reden und zuversichtlich bleiben, weil ein ganz wichtiges Spiel gegen Frankreich vor uns steht."
Santos stellte vor dem letzten Gruppenmatch die kämpferische Komponente in den Vordergrund. "Wir müssen in der Lage sein, nicht nur mit unseren technischen Fähigkeiten erfolgreich zu sein. Denn wenn wir immer den Ball verlieren, dann lohnen sich auch die technischen Fähigkeiten nur bedingt."
In Budapest wollen die Portugiesen nach der Rückkehr aus München die Schlappe abschütteln - und das erste EM-Gruppen-Aus überhaupt abwenden. War Portugal qualifiziert, erreichte man stets mindestens das Viertelfinale. "Das letzte Spiel wird ein großes Spiel zwischen zwei großen Mannschaften", sagte Bruno Fernandes.