Sport/Fußball

Gerhard Struber über WM: "Glaube an die Wechselspieler ist wichtig"

Von Gerhard Struber

Ein bedeutender Aspekt, der mich auch bei dieser WM speziell interessiert: wie die Trainer durch Wechselstrategien Einfluss auf das Spiel ihrer Mannschaften nehmen.

Spannend war diesbezüglich gleich die Partie zwischen Argentinien und Saudi-Arabien: Mit welchem Geschick es der Außenseiter schaffte, die überraschende 2:1-Führung über die Runden zu bringen. Teamchef Hervé Renard brachte einerseits Spieler mit unbedingtem Willen, das eigene Tor zu verteidigen. Zudem haben mehrere späte Wechsel den Rhythmus der drückenden Argentinier immer wieder gebrochen. Das kann ein überlegenes Team richtig nerven.

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Bei den Deutschen sind die Wechsel einmal völlig in die Hose und beim anderen Mal voll aufgegangen. Als Hansi Flick gegen Japan Thomas Müller und Ilkay Gündogan aus dem Spiel nahm, war man noch 1:0 vorn. Anschließend kippte die Partie, der Doppel-Wechsel könnte ein Grund dafür gewesen sein – auch wenn das im Nachhinein einfach zu sagen ist. Müller war zwar nicht gut im Spiel, aber mit seiner Erfahrung und seinem Glauben verleiht er jedem Team viel Stabilität. Auch mit Gündogan ging eine Konstante aus der so wichtigen Mittelfeldachse.

Top-Joker

Im zweiten Deutschland-Spiel hat zunächst Spaniens Álvaro Morata als Joker eingeschlagen. Im Gegenzug hat Flick mit seinem Dreifachtausch alles richtig gemacht. Vor allem Füllkrug als echter Mittelstürmer und Sané als Dribbler haben die Spanier vor Probleme gestellt. Gerade dieser Mix war dafür ausschlaggebend: Sané, der im Eins gegen Eins Fähigkeiten wie kaum ein anderer hat, der den pragmatisch spielenden Mittelstürmer Füllkrug in Szene setzen kann. So ist es dann auch zum verdienten Ausgleich gekommen.

Ich bin mir sicher: Alle Trainer werden sich bereits im Vorfeld Szenarien durch den Kopf gehen lassen, um auf möglichst viele Spiel-Entwicklungen eine Antwort zu haben. Gerade bei dieser WM, wo Partien eher 110 statt 90 Minuten dauern.

Und gerade bei einem Turnier, wenn die Spieler lange beieinander sind, ist auch der Glaube im gesamten Team an die Kraft der Wechselspieler wichtig. Um immer wissen zu können: Wir können das Ding noch drehen. Bei den Deutschen dürfte hier ein hohes Level erreicht sein.

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Pragmatischer Blick

Ich denke, als Trainer ist bei jedem Wechsel ein pragmatischer Blick entscheidend. Auch in schwierigen Spielsituationen nicht aktionistisch handeln, sondern sich möglichst schlicht die Frage stellen: Welcher Spieler mit welchen Fertigkeiten hilft der Mannschaft jetzt? Eine WM ist für die meisten Spieler ein Karriere-Highlight, da will jeder zum Einsatz kommen. Und genau hier liegt der Balanceakt: Die Emotionalität, möglichst viele spielen zu lassen, sollte außen vor bleiben. Dennoch müssen alle spüren, dass sie einen Beitrag leisten.

Was beim Thema Teamspirit gerne vergessen wird: Am Ende sind Siege der größte Treiber für positive Energie.

Der 45-jährige Salzburger Gerhard Struber coachte in England den FC Barnsley und ist seit 2021 Cheftrainer der New York Red Bulls.