War das Liverpool-Stadion eine der Virenschleudern in Europa?
Von Peter Temel
Atlético Madrid fügte dem FC Liverpool am 11. März die erste Europacup-Niederlage im eigenen Stadion seit fünfeinhalb Jahren zu und beendete die Hoffnung der Reds auf die Titelverteidigung in der Champions League bereits im Achtelfinale. Einer der Helden der Spanier bei dem 2:3 war Marco Llorente, der in der Verlängerung zwei Mal traf. Nach dem Match sagte er martialisch: "Wir haben keine Grenze, wenn es darum geht, zu leiden, so wie wir es heute getan haben. Wir alle haben bis zum Tod verteidigt, und dann können solche Dinge passieren.“
Heute würde er seine Worte wohl anders wählen.
52.000 Zuschauer, 3.000 aus Spanien
Einige Todesfälle durch das Coronavirus in der Stadt Liverpool wurden auf genau dieses Spiel im Stadion an der Anfield Road zurückgeführt, berichtet die BBC. Mehr als 52.000 Menschen waren live vor Ort, darunter 3.000 aus Madrid. In Spanien waren zu diesem Zeitpunkt bereits erste Ausgangssperren in Kraft. Am 13. März stufte das Robert-Koch-Institut Madrid (ebenso wie Tirol) als internationale Krisenregion ein.
Obwohl es bisher keinen bestätigten Zusammenhang zwischen dem Spiel und Coronavirus-Fällen gibt, sagte die stellvertretende wissenschaftliche Beraterin der britischen Regierung, Angela McLean, dass weitere Untersuchungen gerechtfertigt seien.
"Es wird sehr interessant sein, zu sehen, welche Beziehung zwischen den in Liverpool zirkulierenden Viren und den in Spanien zirkulierenden Viren besteht, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist", sagte sie beim täglichen Coronavirus-Briefing der britischen Regierung am Montag.
Madrider Bürgermeister sieht "Fehler"
Der Bürgermeister von Madrid, José Luis Martinez-Almeida, sagte am Wochenende dem spanischen Radiosender Onda Cero, es sei ein „Fehler" gewesen, Tausenden von Atlético-Fans zu erlauben, ins Stadion zu kommen.
In England gab es zu diesem Zeitpunkt aber noch keine Zugangsbeschränkungen in den Stadien, während sich dies im zweiten Achtelfinal-Rückspiel an diesem Mittwoch ganz anders verhielt. Paris Saint-Germain gegen Borussia Dortmund wurde ohne Zuschauer ausgetragen. Der Großteil der Medienvertreter war nicht zugelassen, Pressekonferenzen gab es keine. Auch das Europa-League-Rückspiel des LASK gegen Manchester United (0:5) am nächsten Tag war ein Geisterspiel. Es sollten die vorerst letzten Fußballspiele auf höchster Profi-Ebene in Europa sein.
Anstieg der Totenzahlen
Aktuelle Zahlen zeigen, dass in den Krankenhäusern in Liverpool bisher bereits 246 Menschen mit dem Coronavirus gestorben sind. Zum Vergleich: Die Stadt am Mersey River hat rund eine halbe Million Einwohner. Die gesamte Republik Österreich, mit 18 Mal so vielen Einwohnern, hält derzeit bei nur rund zwei Mal so vielen Covid-19-Toten.
Madrid ist mittlerweile eine der am stärksten betroffenen Städte Europas. Spanien hat laut der Zahlen der Johns Hopkins University nach den USA die zweithöchste Anzahl bestätigter Infektionsfälle weltweit. Die Zahl der Todesopfer des Landes stieg auf mehr als 21.000.
250.000 Menschen bei Pferderennen
Die Auswertung der Daten des Liverpool-Spiels wird dadurch erschwert, dass gleichzeitig auch das große Cheltenham Festival stattfand. Von 10. bis 13. März verfolgten insgesamt 250.000 Besucher die Pferderennen. Erst am 23. März wurden im Vereinigten Königreich strenge Einschränkungen für das tägliche Leben eingeführt.
Der britische Finanzminister Rishi Sunak wies am Montag Anschuldigungen zurück, die Regierung habe zu langsam reagiert und hätte bereits vor dem großen Lockdown große Sportereignisse dieser Art absagen müssen.
Britischer Minister: "Richtige Entscheidungen"
"Es gibt oft einen falschen Zeitpunkt, um bestimmte Maßnahmen zu ergreifen“, sagte Sunak. "Wir haben uns von den richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit leiten lassen, und ich stehe dazu."
Der Direktor für öffentliche Gesundheit in Liverpool, Matthew Ashton, sagte dem Guardian, das Spiel hätte abgesagt werden sollen. Als Kritik an den Verantwortlichen wollte er das aber nicht verstanden wissen. "Niemand trifft absichtlich schlechte Entscheidungen. Vielleicht wurde der Ernst der Lage zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden." Das Spiel sei aber definitiv auf der Liste der Veranstaltungen, aus denen man lernen müsse, um zukünftig solche Fehler nicht mehr zu machen.
Weiteres Champions League Spiel im Fokus
Am 19. Februar, als das Coronavirus noch nicht so im Fokus stand, waren Atalanta Bergamo und der FC Valencia ebenfalls in der Champions League aufeinandergetroffen. Manche italienischen Gesundheitsexperten sehen die Partie als Mitgrund, weshalb die norditalienische Stadt Bergamo und deren Umgebung besonders stark vom Coronavirus betroffen sind. Die Partie fand vor 44.236 Zuschauern im Mailänder Meazza-Stadion statt, in Italien ist vom "Spiel null" die Rede.