Sideletter: Auch Verwaltungsrichter verwehren sich gegen Politik-Einfluss bei Besetzungen
Nach den Oppositionsparteien und Redakteursvertretern des ORF kritisiert nun auch der Dachverband der Verwaltungsrichter die mit dem türkis-grünen "Sideletter" bekannt gewordenen "parteipolitische Absprachen" über die Besetzung von Leitungsfunktionen in der Gerichtsbarkeit. Diese Enthüllungen seien "jedenfalls dazu angetan", das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte zu erschüttern. Um es zu stärken, müssten die Präsidenten- und Vizepräsidentenposten am VwGH und am BVwG über Vorschlag unabhängiger Gremien besetzt werden.
In dem am Wochenende bekannt gewordenen Sideletter haben sich ÖVP und Grüne auch das Nominierungsrecht für Spitzenpositionen in der Justiz aufgeteilt. Neben den bereits erledigten Besetzungen am Verfassungsgerichtshof (Präsident ÖVP, Vizepräsidentin Grüne) und am Bundesfinanzgericht (Präsident ÖVP) gibt es weitere Absprachen über zwei Verwaltungsgerichte.
Für den heuer mit der Pensionierung Harald Perls frei werdenden Präsidentenposten am Bundesverwaltungsgericht hat die ÖVP das Nominierungsrecht. Und auch für den Verwaltungsgerichtshof teilen sich ÖVP (Präsident) und Grüne (Vizepräsident) das Nominierungsrecht bereits auf - für den Fall, dass die Position im Lauf der Legislaturperiode nachzubesetzen sein sollte. Präsident Rudolf Thienel erreicht allerdings erst im Jahr 2025 die Altersgrenze von 65 Jahren.
Für den VwGH gibt es gar keine gesetzliche Regelung zu den Besetzungsvorschlägen an den Bundespräsidenten, dem die Ernennung obliegt. Für das seit 2014 tätige BVwG ist (ebenso wie das BFG) im Gesetz für die Leitungsfunktionen ein Vorschlag durch eine Kommission vorgesehen. Dieser gehören allerdings neben Wissenschaftern und den Präsidenten der drei Höchstgerichte auch Vertreter der Ministerien bzw. des Kanzleramts an.
Da besteht "Verbesserungsbedarf", konstatierte Markus Thoma vom Dachverband der Verwaltungsrichter gegenüber der APA: Alle Mitglieder müssten weisungsfrei und unabhängig sein - und einem solchen unabhängigen richterlichen Gremium müsste auch das Vorschlagsrecht für die VwGH-Führung übertragen werden. Die Besetzungsverfahren sollten endlich nach den europäischen Standards ausgerichtet werden, fordert der Dachverband.
Am Vormittag hatten bereits Redakteursvertreter des ORF kolportierte Personalabsprachen im Unternehmen kritisiert. Die ORF-Redakteure sind "empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierunsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht", wie am Montag in einer Aussendung zu lesen war. Vor allem im Abkommen zwischen ÖVP und FPÖ von 2017 sei offensichtlich ein wesentliches Ziel" die massive Schwächung des ORF und die Gefährdung seiner Unabhängigkeit durch die Abschaffung der Rundfunkgebühren und eine de facto-Verstaatlichung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" gewesen, schreibt der Redakteursrat.