Sicherheitspolitischer Experte warnt vor Risiken durch Corona
In der Coronakrise drohen die Verschärfung der sicherheitspolitischen Risiken und sogar die Entstehung neuer Gefahren. "Die Gefahr einer einseitigen, also nur gesundheitspolitischen Risikobetrachtung ist in der jetzigen Situation groß", warnt der Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, Generalmajor Johann Frank, im Gespräch mit der APA.
Der frühere langjährige Direktor der Sicherheitsdirektion im Verteidigungsministerium erklärt: Vergangene "Krisen und auch Pandemien haben nie zu einer Reduzierung militärischer Risiken geführt". Auch jetzt sei zu erwarten, dass "bestehende sicherheitspolitische Trends weiter verschärft werden. Es könnten sogar neue Risiken entstehen. Und jede weitere Krise würde nunmehr auf wirtschaftlich massiv geschwächte Staaten treffen".
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Mögliche Gefahren: "Neuer Kalter Krieg" zwischen China und USA
Die möglichen Gefahren gliedert der Experte in globale, transnationale und regionale Herausforderungen. Global sei ein "neuer Kalter Krieg" zwischen China und den USA feststellbar. Diesen Trend habe es vor der Pandemie auch schon gegeben, er sei nun aber beschleunigt worden. Transnational warnt Frank besonders davor, dass Terroristen die Krise nutzen, um stärker zu werden und daraus zu lernen. Biotechnologie könnte eine attraktivere Waffe werden. Und es droht eine Zunahme von Cyber-Gefahren. Zu erwarten sei außerdem ein erneutes Ansteigen der Migration.
In der Peripherie Europas, insbesondere in dem Gürtel von Westafrika und Zentralafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Afghanistan, sei durch die Pandemie "keine Stabilisierung festzustellen, vielmehr könnten selbst bisher noch einigermaßen stabile Staaten unter Druck geraten", sagt Frank. "Die sicherheitspolitischen Gefahren, die von dem Krisengürtel ausgehen, den wir auch 'Ring of Fire' nennen, werden eher steigen für Europa".
Krisenregion Afrika
In Afrika sei abzusehen, dass die wirtschaftlichen Kollateralschäden des Coronavirus schwerwiegender wiegen werden als die Gesundheitskrise selbst. Die Staaten seien ohnehin geschwächt, etwa durch die Heuschreckenplage und andere Krisen und Krankheiten wie Malaria und Ebola. Terrororganisationen wie "'Boko Haram' in Nigeria oder 'Al Shabaab' in Somalia sind dabei, sich zu reorganisieren und an Handlungsfähigkeit zu gewinnen". Die Sicherheitsbehörden dieser Staaten seien damit beschäftigt, in Ballungszentren die Verbreitung des Virus einzudämmen und Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Damit würden "weite Teile der Staaten, vor allem die ländlichen Gebiete, ohne Sicherheitskräfte dastehen."
In Syrien, im Irak oder in Afghanistan sei durch die Pandemie ebenfalls keine Entspannung eingetreten. In Libyen habe sich die Lage sogar "noch verschlechtert". Auch im Streit zwischen dem Iran und den USA "stehen die Zeichen weiter auf Sturm", sagt Frank. "In all diesen Staaten muss man feststellen: Es gibt mehr Tote durch Bürgerkrieg als durch Corona." Auch sei kein reduziertes Engagement von Playern wie dem Iran oder Russland merkbar, auch wenn diese Staaten von Corona besonders betroffen sind. Einen Rückzug des Irans oder der mit Teheran verbündeten Hisbollah würde für Teheran "einen Gesichtsverlust" bedeuten.
Terroristen nutzen Situation
Terroristische Netzwerke wie der IS und Al Kaida nutzen die jetzige Phase laut Frank, um sich zu reorganisieren und mithilfe von Propaganda und Verschwörungstheorien verstärkt zu rekrutieren. "Und diese Organisationen schauen sich schon genau an", welche Angst die Pandemie in der westlichen Welt erzeuge. Damit sei "grundsätzlich die Attraktivität und das Risiko für Bioterrorismus gestiegen". Auch wenn Absichten nicht immer mit Fähigkeiten übereinstimmen, könnten auch schon glaubwürdige Drohungen reichen, um eine Massenpanik hervorzurufen, so Frank.
Verschärfte Flüchtlingssituation
Außerdem erwartet der Experte, "dass die Migration aus Afrika wieder steigen wird, sobald die aktuell rund 40 Grenzschließungen wieder gelockert werden". Dabei könne es eine Verschiebung bei den Zielländern geben, prognostiziert Frank. So könnten Länder, die von der Krankheit weniger betroffen sind, verstärkt zum Ziel von Flüchtlingen werden. "Die Potenziale sind enorm", verweist der Generalmajor darauf, dass sich 150.000 Flüchtlinge auf der Westbalkanroute befänden, davon 120.000 in Griechenland. Die Türkei beherberge vier Millionen Flüchtlinge, 3,5 Millionen seien im Iran, 650.000 in Libyen. Versuche von Transitstaaten, die Flüchtlinge politisch zu instrumentalisieren, seien "jederzeit möglich".
In den Ländern, in denen österreichische Soldaten stationiert sind, sei die Sicherheitssituation durch Covid-19 dagegen weitgehend unverändert, berichtet Frank. Das vor allem, weil das internationale Engagement nicht substanziell reduziert wurde und Covid-19 wahrscheinlich noch nicht in vollem Ausmaß angekommen ist. Nur: "Eine geopolitische Instrumentalisierung der Gesundheitskrise am Westbalkan, insbesondere was die Rolle Chinas betrifft, ist schon festzustellen."
Ein neuer Kalter Krieg
Der Druck auf Europa vonseiten Washingtons und Pekings sei groß, sagt Frank. Europas Versorgungssicherheit und Wirtschaftssystem seien verwundbar, etwa wenn der Zugang einerseits zum chinesischen Markt bei medizinischen Gütern und anderen Produkten oder andererseits zu US-Technologien und US-Wirtschaft beschränkt würde. China und die USA setzen "in den Hauptstädten der EU an, und versuchen, Partner oder Verbündete zu gewinnen, indem man etwa Covid-Unterstützung bietet und Hilfsmaterialien medial wirksam zukommen lässt", oder auch Kredite, Infrastrukturprojekte in Aussicht stelle oder militärische Kooperationen forciere.
In diesem neuen Kalten Krieg sei auch die Handlungsfähigkeit internationaler Organisationen unter Druck geraten. Institutionen wie die UNO, das Welternährungsprogramm oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hätten "gravierende Finanzierungslücken" und zudem ein Akzeptanzproblem. Der Friedensaufruf des UNO-Generalsekretärs Antonio Guterres für einen Waffenstillstand in allen Konflikten angesichts von Covid-19 "ist ungehört verhallt", so der Experte.
Erhöhte Cyberkriminalität
Weitere Gefahren liegen laut Frank im Online-Bereich. Damit meint der Experte nicht nur die erhöhte Cyberkriminalität durch gestiegene wirtschaftliche Aktivitäten im Internet, sondern auch Informations- und Desinformationskampagnen. Das Internet würde im "Propagandakrieg" zum "umkämpften Raum", weil es um die "Deutungshoheit in der Krise" gehe. Ein Trend sei außerdem, die Nutzung des Cyberbereichs für Spionage in Medizin, Forschung und Entwicklung. Da gehe es unter anderem um den Wettlauf um eine Corona-Schutzimpfung und Medikamente.
Frank empfiehlt, dass in zukünftigen Planungen alle sicherheitspolitischen Szenarien also auch strategische Überraschungen und nur schwer kalkulierbare Risiken berücksichtigt werden sollten, auch wenn nicht alle Risiken tatsächlich eintreten müssten. Wichtig sei, die Gefahren frühzeitig zu erkennen und vorbereitet zu sein. Europa müsse seine Resilienz und strategische Autonomie steigern und auch in der Sicherheitspolitik stärker kooperieren. "Nicht-Kooperation" im militärischen Bereich, also etwa kein arbeitsteiliges Vorgehen und die Verwendung verschiedener Systeme in den Streitkräften der EU, verursachen Kosten in der Höhe von 30 Milliarden Euro. Frank betont: "Diesen Luxus werden wir uns zukünftig nicht leisten können."
Generalmajor Johann Frank ist seit April 2020 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie. Davor war er seit 2014 Leiter der Direktion Sicherheitspolitik. Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) machte Frank 2008 zum Leiter des Büros für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium. 2013/2014 war er im Kabinett des damaligen Verteidigungsministers Gerald Klug (SPÖ).