Anklage gegen Sektionschefs: ÖVP-Netzwerk oder Justizskandal?
50.000 Euro für rumänische Straßenkinder. Eine Viertelmillion Euro für den Bau einer Kirche in Wien durch die Erzdiözese. 30.000 Euro für den Ankauf von Schulbüchern in einer Schule der Kultusgemeinde.
Ob derartige Förderungen rechtmäßig waren oder den Tatbestand der Untreue erfüllen, darüber wird seit sechs Jahren – auch innerhalb der Justiz – heftig gestritten. Am 11. Juni hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) angeblich dazu nun ihre Entscheidung getroffen: Sie plant Anklage zu erheben, wie der KURIER erfuhr.
Vor Gericht sollen sich vier Personen verantworten: Zwei aktive Sektionschefs (die der ÖVP zugerechnet werden), ein ehemaliger Sektionschef (der als SPÖ-nah gilt) sowie der frühere Geschäftsführer des Fonds. Dem Vernehmen nach werden die Vorwürfe bestritten.
Spenden statt Bauten
Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, ob der bis 2017 beim Innenministerium angesiedelte „Wiener Stadterweiterungsfonds“ (WSEF) solche Spenden hätte durchführen dürfen. Die Gelder stammen aus dem Verkauf von Grundstücken auf der Ringstraße. Widmungsgemäß hätten damit weitere Baumaßnahmen finanziert werden sollen. Schon 1961 empfahl der Rechnungshof, den Fonds aufzulösen. Doch erst unter Innenministerin Liese Prokop wurde damit begonnen. Sie erteilte offenbar die Weisung, das Geld karitativen Zwecken zuzuführen. Das könnte allerdings teilweise den Satzungen widersprochen haben – diese wurden später auch geändert.
Von 2005 bis 2011 wurden mit dem Geld verschiedene Institutionen bedacht, aber auch etwa die Frau eines Polizisten, der Suizid begangen hatte. Gesucht wurden Interessenten für Spenden bei christlichen, jüdischen und muslimischen Institutionen, erinnert sich ein Beteiligter: „Da von muslimischer Seite nichts kam, ging das Geld nur an jüdische, katholische und evangelische Projekte.“
Ermittlungen seit 2013
Nach einem Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2013 wurden Ermittlungen gegen rund ein Dutzend Personen eingeleitet, darunter ein Jahr lang auch gegen die frühere Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.
Dann hörte man kaum mehr von der Causa, obwohl es zwischen Justizministerium, der Oberstaatsanwaltschaft und der WKStA heftige Meinungsverschiedenheiten gab. Bis die unterschiedlichen Rechtsmeinungen unter Dach und Fach gebracht werden konnten, vergingen Jahre.
Schwung kam in die Sache offenbar wieder im Herbst 2017 (gleichzeitig mit der BVT-Causa). Der nun ermittelte Schaden soll rund 1,1 Millionen Euro betragen. Nicht angeklagt wird ein früherer Kabinettschef des Ressorts.
Die Betroffenen haben allerdings bisher keine Benachrichtigungen erhalten. Sie erfuhren von der bevorstehenden Anklage durch eine Pressekonferenz von Ex- Innenminister Herbert Kickl.
Kickl und das "schwarze Netzwerk"
Der nunmehrige FPÖ-Klubobmann „deckte“ ein angebliches „schwarzes Netzwerk“ im Innenministerium auf. Wie Kickl von dem Vorgehen der Justiz erfahren hatte, bleibt vorerst unklar. Im Umfeld der Betroffenen ist deshalb von einem „Justizskandal“ die Rede. In VP-Kreisen wird auch ein Revancheakt Kickls für dessen Absetzung als Minister vermutet.
Pikant ist, dass Kickl einen der Beschuldigten selbst zum Sektionschef ernannte. Mehrere Ministeriumsinsider versichern dem KURIER, dass der Ex-Innenminister zu diesem Zeitpunkt von den Vorwürfen rund um den Stadterweiterungsfonds informiert war. Schließlich waren diese Gegenstand von Medienberichten und kein Geheimnis.
„Schweigespirale“
Bei der Pressekonferenz sprach Kickl hingegen von einer „Schweigespirale“ und einem „Schlag ins Gesicht des Rechtsstaats“. An die Adressen früherer Innenminister gerichtet, wetterte er: „Was wussten die Minister von solchen Vorgängen?“
Bereits bekannt war seit Jahren: Ein betroffener Sektionschef erhielt vier Jahre später einen vatikanischen Ritterorden, der Geschäftsführer des Fonds war zugleich in einem anderen Fonds Geschäftsführer, der Mittel erhielt. Einem weiteren Beteiligten soll in einem Verhör vorgeworfen worden sein, er sei „Teil eines katholischen Netzwerkes“. Dabei sei er Protestant, wie er dort betont haben soll.
Der Rechnungshof hatte noch weit mehr kritisiert – etwa, dass der Wiener Stadterweiterungsfonds in den Jahren 2005 bis 2008 drei Liegenschaften zu auffällig niedrigen Preisen verkaufte; angeblich auch die Liegenschaft am Heumarkt in Wien. Sie soll um 4,2 Millionen Euro verkauft worden sein, obwohl ein weiteres Angebot in Höhe von neun Millionen Euro vorgelegen sei. Laut Rechnungshof hätte die Vergabe gestoppt werden sollen. Allerdings wurden diese Vorwürfe am Dienstag offiziell von der WKStA fallengelassen. Dieser Teil des Verfahrens wurde eingestellt.
Anfrage der Neos
Neos-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper will mit einer parlamentarischen Anfrage für weitere Aufklärung in der politisch umkämpften Causa sorgen: „Es zeigt sich, dass es richtig war, das Thema Stadterweiterungsfonds bereits im BVT-Untersuchungsausschuss aufzugreifen. Wir fordern rasche Aufklärung dieser Vorwürfe und die vorläufige Suspendierung der noch aktiven leitenden Beamten. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es gewesen ist, schwarze Netzwerke im U-Ausschuss zu thematisieren.“
Für die betroffenen Personen geht es jedenfalls um viel. Im Fall eines Schuldspruches drohen ihnen ein bis zehn Jahre Gefängnis.