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Mindestsicherung in Oberösterreich gekippt: Was jetzt passieren muss

Das oberösterreichische Modell der Mindestsicherung galt als Vorbild für eine bundesweite Lösung - das ist jetzt vorbei. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Sonderregelung für Flüchtlinge, die nur befristeten Schutz haben, gekippt.

Was das nun für Oberösterreich und die Regierung heißt, erklären Europarechtler Walter Obwexer und Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk im KURIER-Faktencheck.

Welche Regelung hatte Oberösterreich bisher?

Seit Juli 2016 wird jenen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel in Österreich haben, eine wesentlich geringere Mindestsicherung ausbezahlt. Das sind einerseits subsidiär Schutzberechtigte (vor allem Afghanen) und jene mit dem so genannten "Asyl auf Zeit" - ein Titel, den es erst seit 2016 gibt.

Einzelpersonen aus diesen beiden Gruppen erhalten nur 560 Euro statt 921 Euro Mindestsicherung. Das betraf im September 597 Personen.

Der Betrag setzt sich zusammen aus 365 Euro für Wohnen und Verpflegung, 40 Euro Taschengeld und 155 Euro Integrationsbonus - dieser kann gestrichen werden, wenn sich der Betroffene nicht an die Integrationsvereinbarung hält.

Insgesamt gibt es in Oberösterreich aktuell 12.914 Bezieher der Mindestsicherung.

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Was hat der EuGH gekippt?

Der Punkt ist: Es darf nicht unterschieden werden zwischen jenen, die nur vorübergehend Asyl erhalten und jenen mit Daueraufenthalt, erklärt Europarechtsexperte Walter . Das österreichische Modell "Asyl auf Zeit" spielt im EU-Recht keine Rolle: Asyl ist Asyl. Und eben diese anerkannten Flüchtlinge "sind Inländern gleichgestellt".

Anders verhält es sich laut Obwexer mit subsidiär Schutzberechtigten - dabei handelt es sich um einen "geringeren Schutz", hier darf die Behörde also sehr wohl differenzieren.

Das sieht Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk anders. Er interpretiert den EuGH-Spruch so, dass generell nicht unterschieden werden darf zwischen dauerhaftem und befristetem Schutz. Jeder Schutztitel müsse eine Gleichstellung mit Inländern bedeuten, auch der subsidiäre, der ja per se befristet ist.

Was ist überhaupt der Unterschied zwischen Asyl und subsidiärem Schutz?

Vereinfacht gesagt: Asyl bekommt man, wenn man persönlich in seiner Heimat verfolgt wird. Subsidiären Schutz bekommt man, wenn die Lage im Heimatland zu gefährlich bzw. ein sicheres, menschenwürdiges Leben nicht möglich ist, etwa durch Krieg.

"Asyl auf Zeit" ist vorerst auf drei Jahre befristet und kann dann in einen dauerhaften Asyltitel umgewandelt werden. Subsidiärer Schutz wird erstmals auf ein, danach auf zwei Jahre befristet. Nach Ablauf wird jeweils überprüft, ob der Schutzgrund noch vorliegt oder ob sich die Lage im Heimatland gebessert hat.

Welche Auswirkungen hat der EuGH-Spruch auf die Bezieher?

Auch da gehen die Meinungen der Experten auseinander:

Laut Europarechtler Obwexer ändert sich für subsidiär Schutzberechtigte vorerst nichts, so sieht es nach erster Interpretation auch das Land Oberösterreich. Laut Verfassungsjurist Funk fällt aber auch für sie die Kürzung jetzt flach.

Auf jeden Fall aber müssen jene, die wegen "Asyl auf Zeit" eine gekürzte Mindestsicherung bekamen, ab sofort die volle Summe von 921 Euro bekommen - eben wie alle anderen, betont Obwexer. Ihnen muss jetzt vom Sozialamt ein neuer Bescheid ausgestellt werden.

Laut Sozialressort des Landes sind aktuell 383 Personen mit befristetem Asyl betroffen. Inklusive der subsidiär Schutzberechtigten sind es 597 Personen.

Das EuGH-Urteil wirkt aber auch in die Vergangenheit: Europarechtler Obwexer geht davon aus, dass jedem, der seit Juli 2016 eine kürzere Mindestsicherung erhalten hat (und seien es nur einen oder wenige Monate) die Differenz rückerstattet werden muss. Bei durchschnittlich 300 bis 400 Betroffenen dürfte das für das Land Oberösterreich ein Betrag in Millionenhöhe sein.

Im Sozialressort will man diese Rechtsauslegung erst von den hauseigenen Juristen prüfen lassen, heißt es auf KURIER-Anfrage.

Wie muss das Gesetz jetzt repariert werden?

Das Gesetz ist ab sofort nicht mehr gültig, die Regierung muss jetzt eine neue Regelung auf den Weg bringen.

Obwexer hält eine Regelung nach dem Vorbild Vorarlbergs für möglich: Da ist die Ausbezahlung des vollen Betrags an eine so genannte Integrationsvereinbarung geknüpft - sie beinhaltet etwa Deutsch- und Wertekurse. Das Motto: "fordern und fördern" sei laut Obwexer bei Sozialleistungen absolut legitim - sofern sie eben für alle gilt, darauf kommt es im EU-Recht an.

Welche Lehren muss der Bund nun für sein Gesetz ziehen?

Die Regierung plant eine maximale Mindestsicherung von 863,04 Euro. Diese Summe beinhaltet einen "Arbeitsqualifizierungsbonus" von 300 Euro. Den Bonus erhält, wer einen Pflichtschulabschluss hat und Deutsch auf Level B1 bzw. Englisch auf C1 beherrscht. Es ist davon auszugehen, dass vor allem Flüchtlinge diese Kriterien wohl nicht erfüllen können und mit Kürzungen rechnen müssen.

Zusätzlich ist eine Wartefrist von fünf Jahren für EU-Bürger und Drittstaatsangehörige geplant, subsidiär Schutzberechtigte werden ebenfalls konkret genannt.

Laut Europarechtler Obwexer könnte dieser Plan aufgehen: Der Bonus, der auch gestrichen werden kann, muss nur für alle gelten.

Die Wartefrist sei ebenfalls legitim: "Drittstaatsangehörige sind im Bereich von Sozialleistungen erst dann wie Inländer zu behandeln, wenn sie langfristig aufhältig sind. Es sei denn, es gibt gesonderte Abkommen wie etwa mit der Schweiz oder der Türkei." Als Beispiel für die Wartefrist nennt Obwexer einen bosnischen Staatsangehörigen, der sich in Österreich niederlässt.

Asylberechtigte bzw. anerkannte Flüchtlinge fallen allerdings nicht unter diese Wartefrist - sie sind ja, wie bereits erörtert, mit Inländern gleichgestellt.

Auch bei der Frage nach der Zulässigkeit der Wartefrist ist Verfassungsexperte Funk vorsichtiger: Da die Sozialleistung keine versicherungsabhängige Leistung ist - sprich: sie kommt ja nicht aus einem Topf, in dem man vorher eingezahlt hat - lässt sich die Wartefrist von fünf Jahren kaum begründen. "Ich habe daher meine Zweifel, ob das zulässig ist", sagt Funk.

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Reaktionen aus der Politik

Das Sozialministerium will das EuGH-Urteil zu Oberösterreich berücksichtigen und einen verfassungskonformen Vorschlag für eine Neuregelung vorlegen. Das kündigte der Sprecher von Ministerin Beate Hartinger-Klein ( FPÖ) am Mittwoch an.

Die Verhandlungen der blau-türkisen Koalition seien "auf der Zielgeraden". Dem Vernehmen nach spießt es sich vor allem beim Zugriff auf das Vermögen von Beziehern der Mindestsicherung, den die ÖVP beibehalten will, die FPÖ aber zumindest für sogenannte Aufstocker ablehnt.

In Oberösterreich wollen die dort regierengenden ÖVP und FPÖ das Scheitern vor dem EuGH zu einem Erfolg umdeuten. Eines der zentralen Ziele hätte man in jedem Fall erreicht, sagten ÖVP-Landesgeschäftsführer Wolfgang Hattmannsdorfer und FPÖ-Klubobmann Herwig Mahr: Von Linz aus habe man den Anstoß für strengere bundeseinheitliche Maßnahmen gegeben. Man warte nun auf eine bundesweite Regelung.

Oberösterreichs FPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner war im Ö1-"Mittagsjournal" mit der EuGH-Entscheidung unglücklich. Die Entscheidung sei zu akzeptieren, aber er werde weiterhin daran arbeiten, dass es einen Unterschied zwischen jenen, die durch ihre Arbeit das Sozialsystem finanzieren, und jenen, die noch keinen Cent eingezahlt haben, geben müsse. Die Landesregierung will ein neues System erarbeiten. Haimbuchner spricht von einer "Sozialdemokratisierung" der EU und kritisierte den EuGH.

Das in dem aktuellen Fall angerufene Landesverwaltungsgericht wartet auf die offizielle Mitteilung des EuGH und will danach "zügig" entscheiden.

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Weidenholzer: Unmenschliches Gesetz

SPÖ und Grüne in Oberösterreich sehen sich nach der Entscheidung des EuGH bestätigt. Es sei absehbar gewesen, dass die Regelung nicht halten werde. Laut Soziallandesrätin und Landes-SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer sind von den 12.914 Mindestsicherungsbeziehern in Oberösterreich rund 590 von den Kürzungen betroffen.

Der oberösterreichische SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer hat am Mittwoch die Asylpolitik von ÖVP und FPÖ als unmenschlich und europarechtswidrig kritisiert. Das EuGH-Urteil bedeute, dass Oberösterreich beim Thema Mindestsicherung zurück an den Start geschickt worden sei.

Auch die Bundes-SPÖ fühlt sich vom EuGH in ihrer Kritik bestätigt. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch sieht nach dem Entscheid auch die bundesweite Mindestsicherungsregel, die seiner Aussage nach nächste Woche im Ministerrat beschlossen werden soll, gefährdet: SPÖ-Außenpolitiksprecher Andreas Schieder sagte in Richtung Regierung, diese solle den Dialog suchen und "endlich einen rechtskonformen Vorschlag für die Mindestsicherung vorlegen".

Für die Neos kam das EuGH-Urteil ebenfalls wenig überraschend: "Nach der teilweisen Aufhebung des niederösterreichischen Modells durch den Verfassungsgerichtshof ist das bereits der zweite Fall, in dem eine Länderlösung durch ein Höchstgericht gekippt wird." Nun sei es Zeit, "die grundlegenden Konstruktionsfehler endlich anzugehen", nämlich "echte Erwerbsanreize" und eine bundeseinheitliche Regelung, die die Erkenntnisse dieser Urteile berücksichtigt, sagte Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Wie Schieder schlug auch er vor, sich am Vorarlberger Modell zu orientieren.

Für Jetzt-Abgeordnete Daniela Holzinger (vormals Liste Pilz) hat der EuGH "den schwarz-blauen Alleingängen eine eindeutige Absage erteilt".