Kirche und Missbrauch: Wider die "Erosion des Vertrauens"
Von Rudolf Mitlöhner
Es war der wohl schmerzlichste Lernprozess für die katholische Kirche in ihrer jüngeren Geschichte: das Zur-Kenntnis-Nehmen, Eingestehen und Aufarbeiten von sexuellem Missbrauch in ihren eigenen Reihen.
Das Phänomen ist kein spezifisch katholisches: Es gedeiht bevorzugt in geschlossenen, stark hierarchisch strukturierten Institutionen und Systemen jedweder Art. Der Verweis auf vergleichbare Vergehen in säkularen Einrichtungen kann und darf aber für die Kirche, die an sich selbst und den Menschen andere, höhere Maßstäbe anlegt und anlegen muss, keine Beruhigung sein.
„Kein Schlussstrich!“
In Österreich wurde vor zehn Jahren, im April 2010, die „Unabhängige Opferschutzkommission für Betroffene von Missbrauch und Gewalt im Bereich der katholischen Kirche“ ins Leben gerufen; besser bekannt als Klasnic-Kommission, nach ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Zu diesem Anlass haben sie und ihre „rechte Hand“, Herwig Hösele, einen Band herausgebracht, dessen Titel als programmatisch für die bisherige und künftige Arbeit steht: „Verantwortung! Es kann und darf keinen Schlussstrich geben!“ (Leykam, 20 €).
Seit 2010 wurden laut Kommission insgesamt 2.305 Betroffenen finanzielle Hilfen bzw. Kostenübernahmen von Therapiestunden in der Höhe von 30,7 Millionen Euro zugesprochen; gut 92 Prozent der an die Kommission herangetragenen Fälle sind anerkannt worden.
Für die Kirche (und andere Institutionen) diagnostiziert Herwig Hösele in seinem abschließenden Beitrag eine „fatale Erosion des Vertrauens“. Und er argumentiert, dass es gleichwohl die integrative Kraft der Kirche – gegen „Gleichgültigkeit, Werteindifferenz, Beliebigkeit“, aber auch „Fundamentalismus“ – dringend braucht.