Politik/Inland

Kerns Plan B: Abtritt als SPÖ-Chef, dafür Spitzenkandidat für EU-Wahl

  • Christian Kern wird als SPÖ-Chef zurücktreten. 
  • Allerdings erst nach der kommenden EU-Wahl im Mai 2019, in die er als Spitzenkandidat gehen will. 
  • Wer die Nachfolge Kerns antreten soll ist offen. 
  • Parteitag in Wels abgesagt
  • SPÖ-Gremien beraten am Mittwochvormittag

Angetreten war er als der Mann, der die heimische Sozialdemokratie aus der Krise ziehen sollte, nun zieht es den SPÖ-Chef selbst schon vor der nächsten Nationalratswahl nach Brüssel.

In einem Pressestatement kündigte Kern am Abend an, die Spitzenkandidatur der österreichischen Sozialdemokraten bei der Europawahl zu übernehmen. Er wolle dies "mit aller Konzentration" angehen und werde daher das Amt des Bundesparteivorsitzenden "spätestens nach der Europawahl abgeben" (siehe Video). Die Tage Kerns als SPÖ-Parteichef sind also gezählt. So schnell, wie die chaotische Kommunikation am Nachmittag vermuten ließ, wird sein Abgang aber nicht stattfinden. Am frühen Nachmittag hatte es aus SPÖ-Kreisen noch geheißen, Kern wolle bei einem Abendessen mit allen Landeschefs noch am Abend seinen Rücktritt verkünden.

Führungsfrage soll noch heuer geklärt werden

Die SPÖ wird die Führungsfrage noch im heurigen Jahr klären. Das kündigte Bundesgeschäftsführer Max Lercher am Rande einer Sitzung der Parteigranden Dienstagabend an. Bei dem Parteitag, vermutlich Ende November, soll der oder die neue Vorsitzende gewählt werden.

Bei dieser Veranstaltung soll auch die Kandidatenliste der Sozialdemokraten für die Europawahl festgelegt werden. Einhellig werde begrüßt, dass sich Kern für Platz Eins zur Verfügung stelle - so Lercher. Die SPÖ unterstütze auch Kerns Plan zur Spitzenkandidatur für die Europäischen Sozialdemokraten.

Der entsprechende Vorschlag wird am morgigen Mittwoch den Parteigremien vorgelegt. Der für Anfang Oktober geplante Parteitag in Wels, bei dem auch das Parteiprogramm beschlossen werden soll, wird abgesagt.

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Dass Kern sich nun doch nur auf Raten verabschiedet, ändert freilich nichts daran, dass die größte Oppositionspartei in absehbarer Zukunft ohne Führung dasteht, Kerns Nachfolge ist offen. Dienstagnachmittag machten die üblichen roten Verdächtigen wie Nationalratspräsidentin Doris Bures, Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil oder Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner als potenzielle Kandidaten die Runde. Kaiser winkte jedoch am Nachmittag bereits ab, auch Doskozil soll wenig Ambitionen auf das Amt des Parteichefs haben.

Am Abend kamen die Spitzen der SPÖ im Renner-Institut zusammen, um über die künftige Parteispitze zu beraten. Die SPÖ hat sich nach der Sitzung offenbar ein Schweigegelübde auferlegt. Nach dem offiziellen Statement von Bundesgeschäftsführer Max Lercher war einzig Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zu einer Stellungnahme bereit.

Diese war freilich auch nicht sonderlich inhaltsschwer. Ludwig berichtete bloß vom Beschluss, Kern als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl zu unterstützen und davon, dass alles Weitere morgen im Präsidium und Vorstand beschlossen werde. Die Stimmung in der Granden-Sitzung bezeichnete er als "ausgesprochen gut". Wann er von Kerns Entscheidung informiert wurde, ließ Ludwig offen.

Sämtliche anderen Spitzenvertreter liefen teils hektisch vor den wartenden Journalisten davon. Auch der scheidende Parteichef Kern beließ es bei einem "Guten Abend"-Gruß.

Die weitere Vorgangsweise wollen die SPÖ-Gremien am Mittwochvormittag beraten.

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Unverständnis

In der SPÖ reagierte man jedenfalls überrascht auf die Ankündigung Kerns. Es wäre eine "große Überraschung", wenn sich Kern zurückzieht, sagte dieser - noch ehe Kern seine Erklärung abgab. Anders der steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer: "Man hat es ihm angesehen, es war wohl nur eine Frage der Zeit", sagt er am Rande des Landtags in Graz zur APA.

Härter fällt das Urteil von Vizekanzler Strache aus. "Ein EU-Spitzenkandidat Kern ist wahrlich eine bizarre Überraschung", sagte der FPÖ-Obmann am Dienstag am Rande seines Aserbaidschan-Besuchs zur APA (alle Reaktionen zum Rücktritt auf Raten lesen Sie hier).

Stichwort kurz

Im Mai 2016 hatte Kern die Spitze der SPÖ übernommen und zog als Nachfolger von Werner Faymann ins Bundeskanzleramt ein. Davor war der heute 52-jährige Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs aus Wien-Simmering sechs Jahre lang ÖBB-Vorstandsvorsitzender. Als Bundeskanzler der Republik Österreich blieb er deutlich kürzer im Amt - 580 Tage genau, so kurz wie kein zweiter. 

Nach der Niederlage bei der Nationalratswahl im Oktober 2017 musste Kern den Platz für ÖVP-Chef Sebastian Kurz räumen. Der Oppositionsführer wäre beim SPÖ-Parteitag am 6. Oktober eigentlich zur Wiederwahl angestanden. Dass er nun - Stand heute - nach 815 Tagen auch das Amt des SPÖ-Parteichefs abgibt, macht ihn auch zum kürzest-dienenden Vorsitzenden der Sozialdemokraten. Und das auch, wenn Kern Ende tatsächlich wie angekündigt erste Ende Mai 2019 als SPÖ-Vorsitzender zurücktritt. Dann wird er 1.069 Tage - und damit noch immer kürzer als Viktor Klima - im Amt gewesen sein. 

Reaktionen: Niko Kern über den Rückzug seines Vaters 

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Als Hoffnungsträger gestartet

Vor 2,5 Jahren als großer Hoffnungsträger der Nach-Faymann-Ära gestartet, geriet Christian Kern schnell in die Mühen großkoalitionären Alltags. So ambitioniert er als sozialdemokratischer Modernisierer mit seinem "Plan A" gestartet war, so schnell musste er einsehen, dass die schon damals aus dem Hintergrund von Sebastian Kurz orchestrierte ÖVP ihm nicht den geringsten Erfolg gönnen wollte. Das Wagnis von Neuwahlen ging Kern nicht ein, möglicherweise ein Fehler. Denn im Jahr darauf hatte er Kurz bei dessen türkiser Kampagne weniger entgegenzusetzen, als er es selbst wohl gedacht hatte.

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Als Oppositionschef wurden Kern medial großteils negative Zensuren ausgestellt, auch wenn er sich redlich bemühte, schnell wieder in die Offensive zu kommen. Angesichts von Türkis-Blau schoss er in seiner Kritik wohl das ein oder andere Mal übers Ziel, etwa als er ÖVP und FPÖ mit Besoffenen verglich. Die Themenführerschaft zu übernehmen gelang ihm zu selten. Immerhin hat er mit dem neuen - freilich eher unspektakulären - Parteiprogramm der SPÖ etwas hinterlassen, dazu noch eine Statutenreform, die den Mitgliedern ein wenig mehr Mitsprache gönnt.

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Anfang des Monats war Christian Kern bei KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter und Innenpolitik-Chef Josef Votzi zu Gast im KURIER-Talk. Damals sah Kern sich noch fest im Sattel, erklärte, es werde "darauf hinauslaufen", dass er bei der nächsten Wahl für die SPÖ als Spitzenkandidat ins Rennen gehen werde. Eine Formulierung, die im Nachhinein gesehen natürlich mehrdeutig ist. Abgestellt war die Frage klar auf die nächste Nationalratswahl, die planmäßig allerdings erst im November 2022 stattfindet, mehr als drei Jahre nach der kommenden EU-Wahl im Mai 2019. 

"Das sehe ich klar darauf hinauslaufen."

Christian Kern
im KURIER-Talk auf die Frage, ob er bei der nächsten Wahl als Spitzenkandidat kandidieren werde.
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Mit dem Rückzug Kerns ist bald übrigens keiner der Nationalratsspitzenkandidaten der Oppositionsparteien mehr im Amt. NEOS-Chef Matthias Strolz hat an seine Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger übergeben, bei der Liste Pilz hatte sich Peter Pilz zunächst als Parteichef und Abgeordneter zurückgezogen, ehe er doch wieder in den Nationalrat zurückkehrte, und bei den Grünen, die nach ihrer Zertrümmerung bei der Nationalratswahl aus dem Parlament ausgeschieden waren, hat Werner Kogler den Rest der Partei übernommen.

Zur Person:

  • Christian Kern, geboren am 4. Jänner 1966 in Wien.
  • Vier Kinder aus zwei Ehen.
  • Studierter Kommunikationswissenschafter.
  • Ab 1991 Assistent des damaligen Staatssekretärs Kostelk, ab 1994 dessen Büroleiter als Klubobmann.
  • 1997 Wechsel in den Verbund, ab 2007 dort Vorstandsmitglied.
  • Ab Juni 2010 Chef der ÖBB sowie ab 2014 Vorsitzender der Gemeinschaft europäischer Bahnen.
  • Am 17. Mai 2016 Angelobung als Bundeskanzler, seit 25. Juni 2016 SPÖ-Vorsitzender.