Kritik an Kassenreform: "Verfassungswidrige Passagen"
Von Daniela Kittner
Nicht nur die Sozialversicherungen orten in der von der Bundesregierung geplanten Sozialversicherungsreform verfassungswidrige Passagen, auch der Verfassungsdienst im Justizministerium tut dies. Es geht um das Weisungsrecht der Sozialministerin. Probleme könnten auch die Kassenzusammenlegungen abseits der Gebietskrankenkassen bringen.
In seiner Begutachtungsstellungnahme weist der Verfassungsdienst auf eine geplante Passage im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz hin. Demnach hat Sozialministerin Beate Hartinger-Klein gegenüber den künftigen Dachverband bestimmte Weisungen zu erlassen.
Selbstverwaltung ist weisungsfrei
Gemäß Artikel 120 b der Bundesverfassung hätten die Selbstverwaltungskörper jedoch „das Recht, ihre Aufgaben (also die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs) in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen“, so der Verfassungsdienst in seiner Stellungnahme. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass bereits jetzt ein Weisungsrecht existiert.
Angleichung ist Pflicht
Mögliche verfassungsrechtliche Turbulenzen befürchtet der Verfassungsdienst auch bei der Zusammenlegung der Bauern- mit der gewerblichen Sozialversicherung bzw. der Eisenbahn/Bergbau-Versicherung mit jener für den öffentlichen Dienst. Weil dies ohne Änderung des Beitrags- und Leistungsrechts erfolgen soll, könnte es hier Probleme mit Art. 120 a der Bundesverfassung geben. Bei Schaffung eines Selbstverwaltungskörpers müsse demnach ein "gemeinsames Interesse" bestehen, so die Verfassungsexperten. Es müsse daher eine zeitnahe Angleichung des Beitrags- und Leistungsrecht folgen, und dies sollte auch normativ zum Ausdruck kommen.
Hintergrund: Die Regierung will den anderen lange Übergangsfristen zur Angleichung einräumen, weil es insbesondere die Bauern- und Gewerbetreibenden-Kasse in Finanzierungsschwierigkeiten kommen könnte.
Zur Verfassungsdienst-Stellungnahme
Arbeitgeberparität
Am Montag legte zudem die niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK) ein Rechtsgutachten vor. Der von ihr beauftragte ehemalige Höchstrichter Rudolf Müller kommt darin zu dem Schluss, dass wiederum die geplante Parität zwischen Dienstgebern und -nehmern in den Kassengremien verfassungswidrig ist.
Selbstverwaltungskörper seien aus Vertretern der unmittelbar betroffenen Personengruppen gebildet, argumentiert Müller in dem Gutachten. In der Krankenversicherung der Unselbstständigen seien Dienstgeber - weil weder krankenversichert noch leistungsberechtigt - daher "Außenstehende", dem sei mit der 4:1-Verteilung Rechnung im derzeitigen Kassenvorstand (12 Dienstnehmer-, 3 Dienstgebervertreter, zusammengesetzt nach den Arbeiter- bzw. Wirtschaftskammer-Wahlergebnissen) Rechnung getragen.
Im künftigen Verwaltungsrat sollen hingegen jeweils sechs Repräsentanten der beiden Seiten vertreten sein. Für Müller scheidet dies "jedenfalls als verfassungswidrig aus". Der Gesetzgeber könne den Dienstgeberanteil lediglich ein wenig höher ansetzen, die Grenze des nur schwachen Einflusses bei den geschäftsführenden Aufgaben müsse aber gewahrt bleiben.
Hinweis: Dieser Artikel wurde mit einem Bild von Sozialministerin Hartinger-Klein in ihrem Büro - posierend vor dem alten Staatswappen - bebildert. Was es damit auf sich hat, lesen Sie hier: