Nehammer mit 100 Prozent zum ÖVP-Chef gewählt
Es sollte eine flotte Angelegenheit werden: In einem kurzen, außerordentlichen Parteitag wurde Bundeskanzler Karl Nehammer heute in Graz zum neuen ÖVP-Chef gewählt. Und das Ergebnis war außerordentlich: Nehammer erhält 100 Prozent der Stimmen und kommentierte das Ergebnis mit "Das ist erst der Anfang. Bei der nächsten Wahl folgt der Bundeskanzler again!"
Abgesehen von Nehammers Grundsatzrede und der anschließenden Wahl gab es vorab de facto nur einen Programmpunkt, der breiter interessiert hat: den Auftritt von Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
Der KURIER berichtete live.
Schon als Nehammer zum ersten Mal kurz vor 14 Uhr die Bühne betritt, springen sie auf und geben ihm Standing Ovations. Nehammer brüllt ihnen den Satz entgegen: "So viele Menschen in so einem kleinen Raum, das bedeutet viele Viren, aber das kümmert uns nicht mehr."
"Wenn wir die Stimmung in Stimmen umwandeln, kann uns nichts mehr passieren", sagt danach Landeshauptmann und Gastgeber Hermann Schützenhöfer. Mit Nehammer sei man in der "Realität des Lebens" angekommen, die Partei brauche keine "Bocksprünge": "Er macht es sehr gut." Demensprechend hoffe, ja erwarte er, Schützenhöfer, dass Nehammer aus "der Familie der Volkspartei den Rückhalt bekomme, den er braucht."
Um halb drei dann Kurz und Ex-Parteichef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel auf der Bühne: Schüssel würdigt Nehammers Besuch in Moskau. "Danke, Karl, dass Du dort warst." Und er sagt: "Wenn es die Europäische Union nicht gäbe, wir müssten sie hier und jetzt gründen."
"Wir müssen kämpfen!", sagte Schüssel, während Kurz an seiner Seite steht.
Und was kommt von Sebastian Kurz?
Der geschiedene Parteichef und Kanzler sagt, es sei ihm eine "unglaubliche Ehre" gewesen, nach der "Übermacht Anderer" 2017 die Wahl gewinnen zu können und 2019 noch zulegen zu dürfen. "Das waren prägende Erlebnisse".
Er, Kurz, sei viel unterwegs, 20 Tage im Monat im Ausland, seit April reise er mit Frau und Kind. "Das ist wunderschön." Logistisch sei das eine Herausforderung.
In seinem kurzen Interview mit dem Moderator will Kurz seinem Nachfolger keine Ratschläge geben, er hat aber einen Wunsch an seinen Nachfolger: "Ich wünsche ihm, dass er so bleibt, wie er ist und erfolgreich ist. Und dass er die Freude an Politik nicht verliert."
Kurz verabschiedet sich von der ÖVP mit den Worten: "Ich war zwei Jahrzehnte in der ÖVP tätig, mehr als die Hälfte meines Lebens, mein gesamtes erwachsenes Leben. Deshalb wünsche ich mir, dass die Volkspartei erfolgreich ist."
Dann: Standing Ovations und Musik - und die Ära Kurz ist vorerst Geschichte.
Auftritt August "Gust" Wöginger: Der Klubobmann der Volkspartei hält eine ausnehmend launige Rede, in der er nicht nur Nehammer, seine Vorgänger und die Regierungsarbeit lobt, sondern vor allem eine Botschaft unterbringt: All die Kritik an der ÖVP werde eines nicht schaffen: "Sie werden uns die Lust am Politikmachen nicht verderben." Sukkus Wöginger: "Wir sind Kanzler - und das bleiben wir auch!"
SMS-Moment
Kurz vor halb vier tritt dann Karl Nehammer ans Rednerpult. Er erzählt von einem SMS, das ihm Sebastian Kurz noch vor dem Auftritt geschickt hat. Kurzes Nachdenken im Saal. Nehammer beruhigt. Es sei bloß der Hinweis gewesen, dass er, Nehammer, seinen Auftritt genießen solle. "Wir können das SMS später auch veröffentlichen." Und dann an den Parteitag: "Woher wisst ihr eigentlich, welche SMS wir uns schicken?"
In seiner Rede spricht Nehammer von Korruption und davon, dass Freiheit die DNA der ÖVP sei. Das stelle auch den Unterschied zu "den Linken“ dar: "Man kann sich frei entscheiden, wie man leben will."
Nehammer spricht von Korruption und Gesetze, mit denen die Transparenz befördert werden müsse. "Die Menschen haben ein Recht zu wissen, was mit ihrem Steuergeld passiert!"
Nach etwas mehr als 20 Minuten kommt er auch auf das Grundsätzliche: Die, die heute gegen Wissenschaft und Impfungen hetzen, würden möglicherweise bald gegen die Demokratie und den Parlamentarismus auftreten. "Darauf müssen wir uns vorbereiten."
Einer der stärkeren Momente der Rede ist, als Nehammer von seinem Besuch im ukrainischen Butscha erzählt. "Als ich am Rand des Massengrabes gestanden bin, habe ich die hässliche Fratze des Krieges gesehen." Und in diesem Moment spüre man, "dass alles gut ist, was getan wird, um einen Waffenstillstand zu machen" - auch ein hartes Gespräch mit Wladimir Putin.
An dieser Stelle bekommt Nehammer zum ersten Mal Szenenapplaus. Dann geht es weiter mit den Teuerungspakete, er verspricht mehr Geld fürs Bundesheer und spricht erneut eine Warnung an Moskau aus: Wenn der Gasspeicher der Gazprom nicht mit Gas gefüllt werde, werde ihn Österreich von anderen Lieferanten auffüllen lassen. "Use it or loose it!", sagt Nehammer an Gazprom gerichtet.
Kurz schneidet Nehammer auch das Asylthema an. Es sei nicht in Ordnung, dass Österreich auch bei Flüchtlingen Asylverfahren beginnen müsse, die zumindest zwei EU-Länder durchquert haben.
Nach einer Runde schließt Nehammer mit "Ich verspreche euch, dass ich als ÖVP-Chef und Kanzler ein Lernender sein werde."
Für Nehammer waren die vergangenen Wochen und Monate durchaus durchwachsen: Zuletzt hat die Vorarlberger Landes-ÖVP unter Markus Wallner mit einer Parteifinanz-Affäre für unvorteilhafte Schlagzeilen gesorgt. Die Werte bei der Sonntagsfrage sind weit hinter dem Wahlergebnis; die Affäre um zwei betrunkene Cobra-Beamte hat sich in unmittelbarer Nähe der Kanzlerfamilie abgespielt; und auch Nehammers Ansage, wonach die saftigen Gewinne der Energie-Konzerne staatlich oder gar per Gesetz abgeschöpft werden könnten, hat dem designierten ÖVP-Boss selbst in wirtschaftsliberalen Kreisen viel Kritik eingebracht.
Mit einem schwachen Wahl-Ergebnis ist trotz allem nicht zu rechnen. Bei ihrer ersten Obmann-Wahl werden die ÖVP-Chefs traditionell mit viel Vertrauen und damit höheren Werten ausgestattet. Sebastian Kurz bekam 2017 98,78 Prozent, sein Widersacher und Vorgänger Reinhold Mitterlehner schaffte sogar 99,1 Prozent.
Nehammer selbst gab sich vorab eher bescheiden. Er sagte im Vorfeld und wohl nicht ganz ernst gemeint, dass er sich mit allem zufrieden gäbe, was das Ergebnis von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schlage. Diese hatte sich zuletzt mit nur 75,3 Prozent begnügen müssen.