Licht ins Dickicht des BVT-Skandals
Eine skandalumwitterte Razzia, ein in die Öffentlichkeit gezerrter Geheimdienst, Sondersitzungen des Nationalrats, zuletzt die für unzulässig erklärten Razzien - der Krimi um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ( BVT) wird immer komplexer. Nicht zuletzt, weil sich mittlerweile mehrere, ursprünglich getrennte, Handlungsstränge miteinander verwoben haben. Der Versuch einer Entwirrung.
Strang 1: Die nordkoreanischen Pässe
Dieser Teil der Geschichte nahm seinen Ausgang im Juli 2015. Damals wurde das BVT vom Wirtschaftsministerium um eine Risikoanalyse ersucht. Anlass: Produktion und Lieferung von 190.000 Pässen durch die – privatisierte - Staatsdruckerei an Nordkorea.
Videokommentar: "Politisch heikle Fragen weiter offen"
Kontakte mit dem Regime von Diktator Kim Jong-un werden international äußerst kritisch beäugt, Pässe fallen jedoch nicht unter das Embargo gegen Pjöngjang. Daher gab das BVT am 22. September eine „befürwortende Stellungnahme“ ab, wie der Standard im April berichtete.
Am 6. April 2016 schickte die Staatsdruckerei dann 30 nordkoreanische Blankopässe - Pässe ohne Namen und Passnummer – an das BVT. Eine Woche später, am 13. April, wurden drei dieser Pässe in Wien an südkoreanische Geheimdienstler übergeben – als Musterexemplare für „Schulungs- und Anschauungszwecke“. Diese Weitergabe wurde von einem Abteilungsleiter des BVT mündlich genehmigt.
Eineinhalb Jahre später, am 8. September 2017, schrieb BVT-Chef Peter Gridling eine ausführliche Rechtfertigung in der Pass-Causa an die Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis. Wenige Wochen später, im Oktober, berichten mehrere Medien erstmals über die Pass-Weitergabe, das Innenministerium sprach von einem „ganz normalen Vorgang“.
Strang 2: Der Vorwurf der kriminellen Organisation
Am 16. April 2017 schickt ein bis heute unbekannter Absender unter dem Pseudonym Hans-Bernd Anders vier Mails mit Vorwürfen gegen zahlreiche hochrangige Mitarbeiter des BVT sowie des Innenministeriums an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sowie in weiterer Folge an mehrere Journalisten und Politiker (darunter den heutigen FPÖ-Innenminister Herbert ).
Die Vorwürfe in dem 40 Seiten dicken Konvolut, das auch dem KURIER vorliegt, wiegen schwer: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Veruntreuung, Geldwäsche, Nötigung, Körperverletzung, um nur einige zu nennen.
Im Zentrum dieses angeblichen Sumpfs soll Michael Kloibmüller sitzen, der langjährige Kabinetts- und späteren Präsidialchef im Innenministerium. Kloibmüller verließ das Ministerium im März 2018, um in die Privatwirtschaft zu wechseln.
Ungeachtet dessen ließ sich bis heute keiner der Vorwürfe aus dem Konvolut verifizieren – vermutlich deshalb, weil sie, zumindest zum Großteil, frei erfunden sind.
Strang 3: Die Rolle des Innenministeriums
Das hinderte das – seit Dezember 2017 nach Jahren der ÖVP-Herrschaft von FPÖ-Mann Kickl übernommene - Innenministerium (BMI) freilich nicht daran, zu Beginn des Jahres 2018 auch auf Basis dieser anonymen und nie bewiesenen Vorwürfe aktiv zu werden.
Konkret in Person von Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber, der am 19. Jänner der WKStA von einem kriminellen Netzwerk innerhalb des BVT berichtete und den Ermittlern auch mehrere Namen nannte, die zu diesem Netzwerk gehören sollen – darunter Kloibmüllers.
Eine Unterredung, die eine der beiden anwesenden Staatsanwältinnen so sehr irritiert, dass sie sich sogar die Frage notiert, ob eventuell Goldgruber selbst der Urheber des Konvoluts sein könnte. Kickls Kabinett bleibt jedenfalls von diesem Zeitpunkt an so intensiv an der Sache dran, bis sich die zuständige Oberstaatsanwältin sogar in einem Aktenvermerk über „aufgebauten Zeitdruck“ beklagt.
In den folgenden Tagen lieferten Goldgruber und Kabinettsmitarbeiter Udo Lett dann laufend Zeugen – vor allem für den (nicht in dem Konvolut enthaltenen) Vorwurf, das BVT würde widerrechtlich Daten früherer Fälle nicht löschen. Die ersten beiden Zeugen wurden sogar von Lett persönlich zur Einvernahme begleitet.
Die Razzien
Am 28. Februar 2018 dann der Paukenschlag: Beamte der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) stürmen die BVT-Zentrale in Wien-Landstraße sowie vier Privatwohnungen von Mitarbeitern und sichern Unmengen an Daten und Akten (insgesamt mehr als 40.000 Gigabyte).
Die Anordnung dafür hatte ein Journalrichter auf Ersuchen der Oberstaatsanwältin der WKStA am späten Abend des Vortages mündlich erteilt – ein Vorgehen, das nur in Ausnahmefällen bei „Gefahr im Verzug“ üblich ist. Als Beschuldigte wurden zu diesem Zeitpunkt BVT-Chef Gridling sowie drei hochrangige Mitarbeiter des Dienstes geführt; drei weitere BVT-Beamte wurden als Zeugen geführt.
Dennoch wurden auch bei ihnen Daten sichergestellt, was ebenso zu Kritik führte wie die Beauftragung der EGS mit den Razzien. Diese – vom FPÖ-Mann Wolfgang Preiszler geführte – Truppe wäre an sich nicht die erste Wahl für eine derart heikle Operation. Das Innenministerium argumentiert, im Unterschied zu anderen Polizeieinheiten bestünden keine Kontakte zwischen EGS und BVT, was das Durchsickern der bevorstehenden Hausdurchsuchungen unmöglich gemacht hätte.
Am 28. August erklärte das Oberlandesgericht Wien die Razzien dann zum Großteil für unzulässig, mit der Ausnahme einer der durchsuchten Privatwohnungen.
Der Hintergrund: Vermutete Umfärbung
Spätestens, seit BMI-Generalsekretär Goldgruber der Staatsanwaltschaft vom Auftrag seines Chefs Herbert Kickl berichtete, „das BMI aufzuräumen“, lastet der Verdacht der Umfärbung des Geheimdiensts schwer. Nicht zuletzt, weil nach der Suspendierung des ÖVP-nahen Peter Gridling der Name des in der Causa zuvor äußerst aktiven FPÖ-Mannes Udo Lett als möglicher Nachfolger an der BVT-Spitze ins Spiel gebracht wurde.
Sollte es sich tatsächlich um eine versuchte Umfärbung des Verfassungsschutzes gehandelt haben, war diese freilich nur mäßig erfolgreich. Neben der Suspendierung Gridlings hob das Oberlandesgericht im Frühling auch die zweier weiterer Mitarbeiter auf; mittlerweile soll Gridling im Auftrag Kickls das BVT neu aufstellen.
Die Aufarbeitung
Klärungsbedarf gibt es also allerorten, Antworten lassen noch auf sich warten. Im Nachfeld des OLG-Urteils zu den Razzien wurde von der Opposition am Mittwoch die mittlerweile dritte Nationalrats-Sondersitzung sowie der zweite Nationale Sicherheitsrat zu dem Thema einberufen, außerdem starten im parlamentarischen BVT-Untersuchungsausschuss kommende Woche die Zeugeneinvernahmen.
Der politische schwarze Peter wird freilich bereits jetzt hin- und hergeschoben. Innenminister Herbert Kickl schiebt die Verantwortung ins Justizressort von Josef Moser, dieser hat wiederum eine Prüfung der Hausdurchsuchungen sowie des „Ermittlungsdrucks“ auf die WKStA durch die Staatsanwaltschaft Korneuburg angekündigt.
Für die Opposition ist die politische Verantwortlichkeit freilich bereits klar: Nicht der erst nach den Razzien über die Vorgänge informierte Moser, sondern Kickl. Dieser sei von Anfang an voll informiert gewesen, überhaupt der Drahtzieher hinter der ganzen Affäre und müsse als "gefährlichster Innenminister der Zweiten Republik", wie ihn der SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, bezeichnete, umgehend zurücktreten.