Coronavirus: " Die Risikogruppe geht weit über die Über-60-Jährigen hinaus"
Von Johanna Hager
KURIER: Frau Korosec, Sie sind 1940 geboren, haben den Krieg als Kind erlebt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht von "Krieg". Erleben wir einen solchen?
Ingrid Korosec: Nein, von Krieg würde ich sicher nicht sprechen. Das ist ein zu plakativer Vergleich. Eine Kampfhandlung wirkt sich auf das Leben der Menschen völlig anders aus als ein Virus. Rückzug aus dem öffentlichen Leben z.B. bringt im Kriegsfall gar nichts, da ist man immer und überall gleich gefährdet. Nur der Luftschutzkeller gab mir damals das Gefühl der Sicherheit. Auch ließen sich im 2. Weltkrieg besonders gefährdete Gruppen – sieht man von Soldaten ab – nicht definieren. Wir bekamen damals auch kaum verlässlichen Nachrichten von Freunden oder Angehörigen. Das ist heute völlig anders. Unser Leben ist natürlich eingeschränkt, aber die Versorgung und der Informationsfluss funktionieren, das ist ein wesentlicher und wichtiger Unterschied. Wir sind verunsichert, aber müssen uns nicht sorgen, ob Essen auf den Tisch kommt oder wie es Freunden und Verwandten geht. Wenn Präsident Macron damit jedoch meinte, dass wir den Kampf gegen das Virus aufnehmen müssen, dann hat er recht.
Insbesondere ältere Menschen sind vor dem Coronavirus zu schützen. Sie vertreten eben diese Gruppe. Haben Sie sich testen lassen?
Nein. Ich denke, ein Test macht nur Sinn, wenn Symptome auftreten oder man Kontakt mit einem infizierten Menschen hatte. Flächendeckende Tests für meine Altersgruppe würden das Gesundheitssystem sehr belasten und wenig bringen, wenn sie nicht in kurzen Abständen wiederholt werden.
Angst vor Tod oder Vereinsamung: Was ist das dringendste und drängendste Anliegen, das derzeit an Sie herangetragen wird?
Eigentlich steht die Verunsicherung im Vordergrund, wie das Leben in nächster Zeit weitergeht. Aber natürlich vermissen viele den Kontakt mit jüngeren Familienmitgliedern. Deshalb bin ich z.B. froh, dass in der Vergangenheit die digitale Kompetenz der Generation 60+ gezielt gesteigert wurde. Viele von uns gehen schon sehr routiniert mit Smartphones und Computern um. Das hilft, trotz Quarantäne mit der Umgebung in Kontakt zu bleiben oder sich zu beschäftigen. Hier bietet das Internet viele Möglichkeiten von Online-Büchern über Spiele und bis zu Filmen. Die Corona-Krise zeigt uns aber ganz deutlich, wie wichtig es für alle von uns ist, sich mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen. Hier müssen wir in Zukunft noch mehr investieren: verstärkt niederschwellige Kurse anbieten und Informationsarbeit leisten.
Einige Senioren sind auch unvernünftig, wollen ihre Enkel sehen, pflegen weiter Austausch gemäß dem Motto "eh schon wurscht, ich sterbe bald". Was kontern Sie?
Das ist zutiefst verantwortungslos und unsolidarisch. Die Einschränkungen des täglichen Lebens erfolgen, um die Risikogruppen, und da gehören wir Seniorinnen und Senioren dazu, zu schützen. Wir, aber auch Krebskranke oder Menschen mit chronischen Erkrankungen, müssen froh sein, dass die Gesellschaft jetzt zusammenhält. Die letzten Tage haben gezeigt, wie gefährdet auch Jüngere sind, wenn sie an Diabetes oder Herzerkrankungen leiden. Die Risikogruppe geht also weit über die Über-60-Jährigen hinaus. Genau diese Solidarität zwingt uns aber, selbst diszipliniert zu sein. Es geht nicht darum, was mit uns selbst passiert, sondern auch wie sich unser Verhalten auf andere auswirkt. Stecken wir uns an, gefährden wir viele andere Menschen, besonders jene, die sich bemühen uns das Leben leichter und erträglich zu machen. Falscher Stolz darf weder die eigene Gesundheit, noch die Gesundheit anderer gefährden.
Ich hoffe auch, dass wir aus der jetzigen Situation etwas für die Zukunft lernen: Jeden Winter sterben mehrere tausend Menschen bei uns an der Grippe. Im Winter 2017/18 waren es mehr als 4.000 Tote. Das sind Todesfälle, die sich zumindest zum Teil durch entsprechende Hygiene und Vorsichtsmaßnahmen vermeiden ließen.
Stichwort 24-Stunden-Pflege: Der Mangel war bis dato schon immens. Nachdem Österreichs östliche Nachbarländer die Grenzen teils geschlossen haben: Wie viele zu Pflegende leiden darunter jetzt schon? Wie viele werden darunter zu leiden haben?
In Österreich sind zurzeit rund 62.000 Pflegekräfte aus anderen Ländern tätig, die mit Abstand meisten davon, nämlich 46 und 35 Prozent, stammen aus Rumänien und der Slowakei. Sie kümmern sich um insgesamt rund 31.000 Pflegebedürftige. Sozialminister Anschober sagte, dass die meisten 24-Stundenbetreuerinnen auf ihrem Posten blieben. Das stimmt auch mit meinem eigenen Eindruck überein. Ich bekomme viele Mails im Zusammenhang mit Corona, aber keine, dass die Betreuerinnen abreisen. Ich finde, dass sich diese Frauen großartig verhalten! Sie stecken ihre eigenen Bedürfnisse zurück, um „ihre“ Menschen nicht im Stich zu lassen. Sie machen sich sicher große Sorgen um ihre eigenen Familien und bleiben trotzdem hier. Das ist bewundernswert. Mit der Slowakei zeichnet sich eine Lösung ab, damit die Betreuerinnen mit einem speziellen Ausweis aus- und einreisen dürfen. Und auch bei Ungarn bin ich zuversichtlich, dass Außenminister Schallenberg und Gesundheitsminister Anschober eine Lösung finden, damit die Frauen aus Rumänien und Ungarn kommen können.
Wird es neben Zivildienern noch andere Gruppen geben müssen, um die Pflegekräfte zu ersetzen?
Es haben sich bereits hunderte junge Männer gemeldet, die freiwillig wieder den Dienst als Zivildiener antreten. Dafür bin ich unendlich dankbar. Sie können viele Aufgaben übernehmen – einkaufen gehen, aufräumen, beim Waschen helfen, Krankentransporte durchführen – aber professionelles Pflegepersonal nicht wirklich ersetzen. Da würden wir sie überfordern und ihnen ihre Hilfsbereitschaft schlecht danken. Ich sehe im medizinischen Bereich eher Potenzial, Personal aus den mittlerweile geschlossenen Kuranstalten und Reha-Kliniken einzusetzen. Hier muss rasch und unbürokratisch ein Weg gefunden werden, wie die Personalkosten dafür intern abgerechnet werden.
Können jetzt verstärkt Pflegeroboter in Heimen zum Einsatz kommen, um das Gröbste zu erledigen?
Nein, nicht verstärkt. Das würde nur Sinn machen, wenn Pflegeroboter bereits routinemäßig im Einsatz wären. In der jetzigen Situation können sich weder die Menschen noch das Personal zusätzlich noch auf komplexe Neuerungen einstellen. Es bedeutet zusätzlichen Aufwand und Kapazitäten, bis alle auf solche Neuerungen eingeschult sind. Das ist in einer angespannten Situation wie der aktuellen taktisch unklug und nicht praktikabel. Aber z.B. Putzroboter, die zumindest teilweise schon seit längerem eingesetzt werden, entlasten das Personal sicher.
Wie kann die Digitalisierung jetzt für Senioren möglichst niederschwellig angeboten werden?
Derzeit sehe ich keine Möglichkeit, Personen ohne Vorkenntnisse in die digitale Welt einzuschulen. Ich verstehe es aber wie gesagt als Auftrag für die Zukunft, hier verstärkt aktiv zu werden. Das Internet in all seinen Spielformen versorgt Menschen zeitnah mit Informationen, was in Krisensituationen extrem wichtig ist. Gerade dann muss man aber auch fähig sein, verlässliche Informationen von Fake-News unterscheiden zu können. Das geht über rein technische Kompetenz, wie die Geräte bedient werden, hinaus und die Fähigkeit, Inhalte richtig zu bewerten, erlernt man nicht von heute auf morgen. Wichtig sind in diesen Zeiten aber insbesondere Erleichterungen bei der E-Medikation, so wie sie die Österreichische Gesundheitskasse für die Dauer der Pandemie ermöglicht hat. Ärztinnen und Ärzte können Rezepte jetzt auch per Telefon ausstellen und Medikamente können auch von Dritten – gegen Vorlage eines Ausweises und einer Sozialversicherungsnummer der Patientin oder des Patienten – in Apotheken abgeholt werden. Das sichert Älteren und Risikogruppen die Versorgung mit wichtigen Medikamenten.