Blümel auf Visite: "Sonst stehe ich ohne Hosen da"
"Semitraditionell pikiert“ sind die Anzüge. Unzählige davon – in allen Farben und Fassonen – hängen akkurat in zwei Reihen. Doch nicht unsichtbare Nähte sind das bestimmende Thema, sondern das unsichtbare Virus, das Alltag wie Arbeit determinieren.
"Wir hatten vier Wochen zu und drei Mitarbeiter in Kurzarbeit", sagt Martin Sturm. Der Herrenausstatter am Wiener Parkring gehörte ob seiner Geschäftsgröße – unter 400 Quadratmetern – zu den ersten, die wieder aufgemacht haben. Der erste Gedanke am Tag nach dem Lockdown? "Was, wenn wir jetzt dastehen, und die Tür geht nicht auf?“ Die Tür ging auf – doch etwas ist anders.
Mehr Sakkos, weniger Anzüge gehen seither über den Ladentisch, "weil die Menschen sparsamer, mehr im Homeoffice sind, nicht so viele Anzüge brauchen wie früher." Doch Sturm will sich nicht beschweren. Dezidiert nicht nur deshalb, weil Finanzminister Gernot Blümel auf Stippvisite bei ihm ist, wie er betont.
Der Höhepunkt liegt hinter uns, das Schwierigste noch vor uns.
Sturm habe es in Relation zu anderen "noch ganz gut erwischt“, wiewohl: "Der Höhepunkt liegt hinter uns, das Schwierigste noch vor uns.“ Was er, der nebst Kurzarbeit, die 100 %-aws-Garantie und den Fixkostenzuschuss beantragt hat, damit meint?
"Es knarrt in der Textilbranche. Wenn bestellt, bezahlt aber plötzlich nicht mehr geliefert werden kann, dann stehe ich ohne Hosen da.“
Die Lieferketten seien teils schon unterbrochen. Ob im Herbst die Stoffe aus Italien zeitgerecht nach Ungarn zur Fertigung gelangen, das wisse er nicht. Über allem schwebe die "zweite Welle“ und damit meint spricht er nicht "nur“ steigende Infektionszahlen, sondern Insolvenzen an.
"Wir wissen, dass es einige Branchen besonders hart erwischt hat und wohl noch erwischen wird“, sagt Blümel. Deshalb gäbe es das Kurzarbeitsmodell III, das "großzügiger als die normale Kurzarbeit ist, aber strenger als die noch bis September geltende Corona-Kurzarbeit“.
Man muss derzeit mehr Wirtschafter sein als Gastronom.
Das neue Modell gilt ab 1. Oktober bis März 2021 und sieht eine Mindestarbeitszeit von 30 Prozent, eine Höchstarbeitszeit von 80 Prozent und eine Entlohnung von 80 bis 90 Prozent des Nettoeinkommens vor. Neu ist, dass die Unternehmen verstärkt überprüft werden, die Mitarbeiter Weiterbildungsbereitschaft haben sollen.
Wie viel von der Kurzarbeit III Gebrauch werden machen, das sei ungewiss. Blümel: "Wir haben jedenfalls 12 Milliarden Euro veranschlagt, bisher wurden 4 Milliarden Euro abgerechnet.“
Dass derzeit 432.000 Menschen in Österreichs arbeitslos und 474.600 in Kurzarbeit sind, das spürt auch Johann "Hansi" Diglas. Er betreibt das Café Diglas im Schottenstift sowie Appartements, hat Härtefallfonds, Kurzarbeit und den Fixkostenzuschuss beantragt und "kann die Phase noch etwas übertauchen", wie er in seinem Gastgarten mit Blümel sitzend sagt.
Dass - wie mancherorts prognostiziert – bis zu 20 Prozent der Gastronomie wegen Corona vor dem Aus stehen, das sei "leider vorstellbar. Die Gastronomie macht eine Stadt wie Wien aus. Wenn da etwas Wegsterben würde, das wäre das Worst Case-Szenario. Man muss derzeit mehr Wirtschafter sein als Gastronom“, sagt Diglas und spielt damit auf die enormen Anforderungen bei den Anträgen für die Wirtschaftshilfen an.
Die Mehrwertsteuersenkung auf 5 Prozent bis Jahresende helfe derzeit. "Das wird der Gastronomie 700 Millionen Euro an Entlastungen bis Ende 2020 bringen“, rechnet Blümel ihm vor. Hinzu kämen 200 Millionen Euro Umsatzsteuersenkung durch das Wirtshauspaket. Sind die von der Stadt Wien ausgegebenen Gastrogutscheine über 25 bzw. 50 Euro auch auf Bundesebene vorstellbar? "Also: Wenn es irgendwann plausibel und hilfreich erscheint, mit Gutscheinen zu operieren, dann werden wir uns auch das anschauen“, sagt Finanzminister.
Doch noch sei es nicht soweit.