Vatikan: Kurz-Vorschlag ist "menschenunwürdig"
Sebastian Kurz' Vorschlag, Flüchtlinge auf einer Insel zu internieren und so die umstrittene Flüchtlingspolitik von Australien als Beispiel für die EU heranzuziehen, sorgte nicht nur in Österreich für große Empörung. Im Vatikan hieß es, dass dieser Vorschlag nicht den Mensch respektiere und "menschenunwürdig" sei. Österreich wolle das Konzept der USA oder Australiens nachahmen, die ihrerseits eine Politik umsetzten, "die meiner Ansicht nach nicht sehr menschenwürdig ist", sagte Antonio Maria Veglio, Präsident des päpstlichen Migrantenrates.
In der ORF-"ZiB2" auf die immer stärker werdende Kritik angesprochen, sagte der Außenminister zum rigorosen Asylsystem in Australien - das deutsche Handelsblatt spricht von einem "Folterstaat" -, dass immer nur die "halbe Wahrheit" berichtet werde. "Was verschwiegen wurde, ist, dass Australien in den letzten Monaten Zehntausende Menschen freiwillig mittels Resettlement-Programmen aufgenommen hat", erklärte der ÖVP-Politiker am Montagabend. Australien habe der "illegalen Migration" und dem "illegalen Schlepperwesen" den Kampf angesagt. Bestärkt in seiner Meinung zur Internierung von Flüchtlingen wird Kurz von Parteikollegen und Innenminister Wolfgang Sobotka (mehr dazu hier).
Australiens Modell "nicht eins zu eins übernehmen"
Im Gegensatz zu Europa, wo in den vergangenen Wochen Hunderte Menschen ertrunken sind, sterben vor der australischen Küste keine Flüchtlinge mehr. Zurückzuführen sei das, sagt Kurz, mit der seit 2013 eingeführten Militäroperation "Sovereign Borders". Die australische Marine fängt Flüchtlingsboote auf hoher See ab, schickt die Menschen entweder zurück zum Ursprungsland oder interniert sie in den Erstaufnahmezentren auf den kleinen Pazifikinseln Manus (Papua-Neuguinea) oder Nauru. Für dieses Vorgehen wird Australien kritisiert. Laut UNO verstoße das Land damit sogar die Genfer Flüchtlingskonvention.
"Das australische Modell ist nicht eins zu eins übernehmbar, aber man sollte nicht den Fehler machen zu glauben, dass unser System perfekt und die ganze restliche Welt perfekt ist", erklärte der Außenminister. Stunden zuvor betonte dagegen die EU Kommission, dass das Beispiel Australiens keines sei. Eine Sprecherin verwies auf die Erfordernisse des internationalen Rechts sowie das Prinzip des "non-refoulement" (Nicht-Zurückweisung) von Flüchtlingen in der europäischen Asylpolitik. Dies "wird sich nicht ändern."
Ein Vorgeschmack auf Migrationsdruck
Die Kritik von internationalen Hilfsorganisationen und des UN-Menschenenrechtskommissars Zeid Ra‘ad Al Hussein - "Eine solche Politik sollte für kein Land als Modell angesehen werden" - kenne Außenminister Kurz zwar, aber das sei "nur die halbe Wahrheit". Er sage "nicht, dass die Unterbringung in Australien in Ordnung ist. Europa sollte diesbezüglich "wesentlich besser und menschlicher sein, ´[...] aber wir sollen schauen, dass nicht Schlepper entscheiden, wer durchkommt, sondern wir als Staat", sagte Kurz.
Durch den Deal mit der Türkei und die Schließung der Westbalkanroute habe es zwar kurz eine Verschnaufpause gegeben, "aber Europa darf sich nicht zurücklehnen. Wenn wir uns die Bevölkerungsentwicklung in Afrika anschauen, jetzt eine Milliarde, in zwanzig Jahren zwei Milliarden und bis Ende des Jahrhunderts vier Milliarden, dann muss ja jeder begreifen", dass es nur ein erster Vorgeschmack auf den künftigen Migrationsdruck war, betonte Kurz.
Libyen und unterschiedliche Ansichten
Für den Außenminister ist eine Flüchtlings-Zurückstellung nach Libyen sinnvoll. Man zeige sich gesprächsbereit, Flüchtlinge wieder zurückzunehmen, sagte Kurz auf die Frage. Er habe sich mit dem libyischen Außenminister vor ein paar Wochen in Wien getroffen und darüber beraten. Mit der Türkei klappe es auch, sagte Kurz mit Verweis auf den Flüchtlingsdeal mit der Regierung in Ankara.
Kurz betonte, dass er in der Flüchtlingsfrage auch mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil "stark auf einer Linie" sei. Dieser habe dem NATO-Generalsekretär in der Vorwoche ähnliche Vorschläge inbezug auf Libyen gemacht, habe aber "nicht australisches Modell dazu gesagt".
Gar nicht gesprächsbereit zur besagten Flüchtlings-Zurückstellung zeigte sich jedoch der libysche Ministerpräsident Fayez Sarraj am Sonntag. "Wir werden nicht akzeptieren, dass die EU Migranten zu uns zurückschickt", sagte der Chef der neuen libyschen "Einheitsregierung" der Welt am Sonntag. "Europa muss Wege finden, sie in ihre Heimatländer zurückzubringen. Sie können nicht bei uns leben."
Kurz: Vermehrt Resettlement nutzen
Dementsprechend urgierte Kurz, dass man vor Ort helfen und legale Fluchtwege schaffen müsse. Am besten dafür eignen sich Resettlement-Programme. Nach den Vorstellungen des Außenministers sollen die EU-Staaten ähnlich wie Australien mehr Flüchtlinge über dieses Verfahren aufnehmen. In Österreich "sind jedenfalls 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr bewältigbar", sagte Kurz.
Im Vorjahr habe man 1.500 Flüchtlinge über Resettlement aufgenommen, während 90.000 Menschen illegal gekommen seien. Resettlement-Programme hätten den Vorteil, dass man sich die Flüchtlinge aussuchen, sie gefahrlos ins Land bringen und auch die Integrationsmaßnahmen vorbereiten könne. "Ich bin Außenminister, Europaminister und Integrationsminister, und in allen drei Fragen ist die Flüchtlingskrise das prioritäre Thema."
Ein ÖVP-Politiker auf Abwegen?
Zum Vorhalt, dass er der beste Mann der FPÖ in der Regierung sei, meinte Kurz, in puncto Resettlement und Entwicklungszusammenarbeit "ist meine Position eher mit der Position der Grünen zu vergleichen". Es gehe dem Außenminister auch gar nicht darum, mit welchen Parteien er Überschneidungspunkte habe, sondern dass das europäische System, "wie wir es derzeit haben, ein schlechtes ist". Er warnt davor, sich zurückzulehen, denn "es werden jede Woche mehr Menschen kommen und es werden jede Woche Menschen sterben".
Der Darstellung, er gehöre einem Flügel in der ÖVP an, der nicht wolle, dass sich Kanzler Kern profiliert, und deshalb versuche, Neuwahlen zu provozieren, trat Kurz entgegen. VP-Chef Reinhold Mitterlehner habe für alle Regierungsmitglieder "Ja ich will" zur Zusammenarbeit mit der SPÖ gesagt, das gelte auch für ihn. Das bedeute aber nicht, dass man in allem einer Meinung sein müsse. Er sehe die personelle Veränderung in der SPÖ als "große Chance" und hoffe, "dass wir sie gemeinsam nützen". Christian Kern kenne er schon lange und habe ein "gutes Verhältnis" zu ihm.