Niessl kritisiert Kurz: "Ankündigungspolitiker"

Burgenlands LH Hans Niessl.
Burgenlands LH zum Vorstoß des Außenministers: "Diese Vorgangsweise schadet nur der Koalition."

Inhaltlich kommentieren will SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl den Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz, die Flüchtlinge auf einer Insel zu internieren, nicht. Burgenlands mächtiger Mann kenne das Konzept nur aus den Medien. Doch genau dieser Punkt stößt Niessl sauer auf.

"Selbst Doskozil wusste nichts davon"

"Es ist verwunderlich, dass der Außenminister wieder mit neuen Vorschlägen vorprescht, die nicht akkordiert sind. Das ist der alte Stil, wo jeder nur sein eigenes Süppchen kocht. Diese Vorgangsweise schadet nur der Koalition“, heißt es aus dem Büro des Landeshauptmanns. "Selbst Doskozil, der in der Sache Asyl in der Regierung doch ein großer Player ist wusste nichts davon", kritisiert Niessls Pressesprecher.

"Ständige Profilierungsversuche bringen nur der Oppositon etwas", kritisiert Niessl selbst im Gespräch mit dem Ö1-"Mittagsjournal". Er erwarte sich ein "verstärktes Engagement in Brüssel. Seit Wochen höre ich nichts, um die Schengen-Außengrenze endlich zu sichern. Es ist doppelbödig ständig von einer EU-Lösung zu sprechen aber nicht mit dem Nachbarn zu verhandeln." Rückführungen seien in einem verstärkten Maß durchzuführen.

"Ankündigungspolitiker"

"Seriöse Arbeit heißt: Schritt für Schritt Vorschläge und Konzepte gemeinsam in der Regierung abzuarbeiten", sagt Niessl weiter. "Andernfalls entstünde der Eindruck, dass der Minister als außenpolitischer Ankündigungspolitiker in die Geschichte eingehen möchte." Bei diesem ortet der Landeshauptmann ein gewisses Muster: "Seit Jahren kommt jedes Quartal ein anderer Vorschlag an die Öffentlichkeit. Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier von einer inhaltlichen Untätigkeit bewusst abgelenkt wird. Idee und Vorschlag sind 3 Prozent, die Umsetzung 97 Prozent."

Niessl kritisiert Kurz: "Ankündigungspolitiker"
ABD0037_20160603 - WIEN - ÖSTERREICH: Verteidigungs- und Sportminister Hans Peter Doskozil (l./SPÖ) und Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) am Freitag, 03. Juni 2016, im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema "Tägliche Sport- und Bewegungseinheit" in Wien. - FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT
Dass Kurz neuerlich einen Alleingang gestartet habe, bestätigt auch der Pressesprecher von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. "Er kenne die Ideen bisher nur aus den Medien und nehme an, dass Kurz diese noch in der Regierung vorstellen werde. Dann könne man sie auch erörtern".

Kommentar des Chefredakteurs: "Viel Geld statt schneller Sprüche"

Ein Interview von Außenminister Sebastian Kurz über den Umgang mit Bootsflüchtlingen hat am Wochenende die Wogen hochgehen lassen. Eine kurzer Überblick.

Was hat Kurz gefordert?

Außesminister Sebastian Kurz hat gefordert, Bootsflüchtlinge abzufangen, sofort zurückzuschicken oder auf Inseln wie Lesbos zu internieren. Ziel sei mehr Abschreckung. Den Hunderttausenden in Nordafrika wartenden Migranten müsse klar werden, dass "die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist", sagte der ÖVP-Politiker in der Presse am Sonntag. Vorbild sei dabei Australien, so Kurz.

Warum erwähnt Kurz Australien?

Kurz schlägt vor, die EU sollte sich "Teile des australischen Modells" zum Vorbild nehmen. Dort kämen keine illegalen Migranten mehr an und es ertrinke auch niemand mehr. "Warum? Die australische Marine startete eine Grenzschutzoperation, fing Flüchtlingsboote vor der Küste ab, brachte die Menschen zurück in ihre Ursprungsländer oder in Zentren nach Nauru und Papua-Neuguinea", so Kurz.

Wie geht Australien konkret mit Flüchtlingen um?

Die australischen Behörden verweigern jedem, der nicht aus dem Ausland einen regulären Umsiedlungsantrag gestellt hat, Asyl in Australien. Flüchtlinge, die per Boot etwa über Indonesien versuchen, an Land zu kommen, werden zur Umkehr gezwungen oder in die Internierungslager abgeschoben. Wenn ihnen Asyl zusteht, zahlt Australien andere Länder für die Aufnahme, etwa das bitterarme Kambodscha.

In Australien kommt es seitens der Zivilgesellschaft immer wieder zu Protesten gegen diese rigorisen Maßnahmen. Anfang Mai haben sich zwei Migranten aus Verzweiflung selbst angezündet. Einwanderungsminister Peter Dutton betonte danach, die Regierung bleibe bei ihrer Linie.

Niessl kritisiert Kurz: "Ankündigungspolitiker"
Protesters react as they hold placards and listen to speakers during a rally in support of refugees in central Sydney, Australia, October 19, 2015. REUTERS/David Gray/File photo

Wie hat die SPÖ auf Kurz reagiert?

Von der Bundes-SPÖ gab es keinen Kommentar.

Verwundert über Kurz' Aussagen hat sich am Sonntag die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger gezeigt: "Verfolgte Menschen haben das Recht auf Schutz. Mit Internierungslagern auf den Inseln vor der Europäischen Grenze würden wir dieses Recht abschaffen." Es sei äußerst bedenklich, dass Kurz ein Land vor den Vorhang holt, "dessen Einwanderungsbestimmungen international höchst umstritten sind." Vom Außenminister verlangt Frauenberger: "Kurz muss seine Hausaufgaben machen und die europäische Asylpolitik nicht aufgeben, sondern eine sinnvolle Umsetzung erwirken. Dazu gehört auch, endlich die nötigen Rückführungsabkommen zu verhandeln."

Was sagt die FPÖ?

Als "Gipfel der Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit der ÖVP" bezeichnete FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete Harald Vilimsky Kurz Aussagen. "Sachlich und inhaltlich hat sich nämlich rein gar nichts an der Willkommenspolitik von SPÖ und ÖVP verändert", polterte Vilimsky in einer Aussendung.

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ABD0088_20151201 - WIEN - ÖSTERREICH: Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) im Rahmen eines Pressegesprächs zum Thema "Zukunft Bildung" am Dienstag, 1. Dezember 2015, im Rathaus in Wien. - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER

Wie ist die Lage auf Lesbos?

Die meisten Flüchtlinge im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben Asyl in Griechenland beantragt, um nicht in die Türkei und von dort in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden. Zwar dürfen sie nur 25 Tage interniert werden, doch danach dürfen sie die Inseln aber auch nicht verlassen, bis über ihre Asylanträge entschieden ist. Hilfsorganisationen haben dies immer wieder heftig kritisiert.

Insgesamt werden bis zu 8.500 Flüchtlinge auf den griechischen Ägäis-Inseln festgehalten. Seit der Schließung der Balkanroute im Februar gelingt nur noch wenigen einen Weiterreise in Richtung Nordwesteuropa. Mehr als 50.000 Flüchtlinge sind aktuell in Griechenland gestrandet.

Niessl kritisiert Kurz: "Ankündigungspolitiker"
Refugees and migrants wait to be registered at the Moria refugee camp on the Greek island of Lesbos, November 5, 2015. REUTERS/Alkis Konstantinidis/File photo

Wie reagieren die Griechen auf den Vorschlag?

"Die Griechen selbst sind erneut vor den Kopf gestoßen worden", berichtet ein ORF-Reporter im Ö1-Morgenjournal. Ganz ernst nehme man den Vorschlag hier in Athen nicht, große Internierungslager zu schaffen. Anfang Juni war es, wie berichtet, zu Unruhen in Moria gekommen, Asylwerber aus Pakistan und Afghanistan haben aufeinander eingeschlagen, Zelte gingen in Flammen auf. In Griechenland gehe man derzeit daher den umgekehrten Weg: "Es werden große Lager aufgelöst und kleinere Einheiten gebildet. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht."

Niessl kritisiert Kurz: "Ankündigungspolitiker"
A fire burns at the Moria migrant detention camp, on the island of Lesbos, following clashes between migrants early on June 2, 2016. Over a dozen migrants were hurt on June 2 in a brawl in the main detention camp on the Greek island of Lesbos that also saw nearly 30 tents torched. Hundreds of people -- mainly families with children -- were evacuated from the camp during the night as rival groups of Afghans and Pakistanis went at each other with clubs and stones. There were nearly 3,000 people in the Moria camp ahead of the clash, most of them asylum applicants trying to avoid deportation to Turkey under an EU deal that went into effect in March. / AFP PHOTO / STR

In unserer aufgeregten Twitter-Boulevard-Welt, wo es um die schnelle Schlagzeile, die noch radikalere Formulierung und den vielleicht sogar erwünschten Shit-Storm geht, ist eine differenzierte Debatte kaum noch möglich. Das hat Kommunikationsprofi Sebastian Kurz natürlich gewusst, als er im Interview mit der Presse "Teile des australischen Modells als Vorbild" sah. Die australische Küstenwache bringt Bootsflüchtlinge nach ihrer Aufbringung in ihre Heimatländer zurück oder in Lager auf nahe gelegenen Inseln.

Wäre es Kurz um eine sinnvolle Lösung gegangen, hätte er seine Aussagen etwas anders gewählt. Die Ausgangslage ist ebenso klar wie bedrückend: In vielen afrikanischen Ländern verkaufen die Menschen ihr Hab und Gut, bezahlen Schlepper und begeben sich auf die gefährliche Überfahrt. Die Zahl wird in die Millionen gehen. Dazu kommen etwa Afghanen, die nicht mehr über die Balkanroute nach Europa kommen können. In beiden Fällen wird es nicht so leicht gelingen, Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückzubringen. Und Internierungslager auf Lesbos oder auf italienischen Inseln sind, mal abgesehen von der Frage der Menschenrechte, schnell überfüllt. Diese Afghanen und Afrikaner lesen auch keine Kurz-Interviews in der Presse, eine Abschreckungswirkung ist also nicht zu erwarten. Die Überzeugungskraft von Schleppern ist größer als die eines Ministers im fernen Europa. Auch der Kurz-Satz "Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Asylanspruch in Europa verwirkt haben", klingt in vielen Ohren gut, ist aber wohl rechtsstaatlich nicht argumentierbar.

Es zeigt sich auch hier wieder einmal , dass das Problem nicht durch Ministerinterviews, sondern nur durch gemeinsames Handeln der Europäischen Union zu bewältigen sein wird. Wenn überhaupt. Der Chef der lybischen "Einheitsregierung", Fayezz Sarryj, hat sich sofort zu Wort gemeldet. Sein Land – soweit er das überhaupt kontrollieren kann – werde keine Flüchtlinge zurücknehmen. Das ist aber nichts anderes, als ein Hinweis darauf, dass er natürlich zu Verhandlungen bereit wäre, wenn nur der Preis stimmt. Also wird die EU mit ihm reden müssen. Und mit allen Staaten, von wo die Menschen gerade massenhaft auswandern. Das wird teuer, sehr teuer, das wird auch Waffengewalt in Bürgerkriegsländern erfordern, das wird kompliziert. Aber wer uns weis mache will, dass ein paar Drohungen, ein paar Inseln und hohe Zäune um Internierungslager das Flüchtlingsproblem lösen können, hilft niemandem, er tut sich und seiner Glaubwürdigkeit auch nichts Gutes. Die Frage bleibt, ob die EU endlich beginnt zu handeln und ob wenigstens hier alle Länder solidarisch sind.

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