Varoufakis: „Wir sind die größten Feinde der Populisten“
Plötzlich ist sein Mikrofon aus. Egal, Yanis Varoufakis springt auf die Rampe und beginnt eindringlich weiterzureden. Die etwa 40 Menschen nahe der Düsseldorfer Fußgängerzone klatschen ihm zu. Der 58-Jährige macht gerade Straßenwahlkampf, will von der kleinen auf die große Bühne in Brüssel zurück. Dort hat er sich während der Finanzkrise mit provokanten Auftritten und Sprüchen viele Gegner gemacht, etwa den damaligen deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Warum er nun ausgerechnet in Deutschland als Spitzenkandidat für die Bewegung DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025) antritt, erklärte er bei einem Treffen im Kölner Funkhaus.
KURIER: Zuletzt hatten die Rechtspopulisten in Europa die Meinungshoheit über sämtliche Debatten, hat die Linke versagt?
Yanis Varoufakis: Viele von uns sagen, 2008 war das 1929 unserer Generation. Die Wall Street kollabierte, danach fragmentierten Schockwellen Europa. Das Establishment hat so getan, als könnte es die Geschäfte wie gewohnt weiterführen. Sie haben ihre Sparpolitik auf dem Rücken anderer gemacht, so wie Heinrich Brüning 1930 (Kanzler der Weimarer Republik Anm.), und haben den Ultrarechten den Weg geebnet. Die Linke war zersplittert und nur auf nationaler Ebene tätig. DiEM25 ist eine europa-übergreifende Bewegung, die die Fehler unserer Großeltern vermeiden will. Wir weisen auf die Sparpolitik hin, die Troika und die Misanthropen von rechts.
Wie wollen Sie die Meinungshoheit zurückgewinnen?
Wenn wir die EU nicht demokratisieren, wird sie zersplittern. Und die einzigen, die davon profitieren, sind jene, die ein Volk gegen das andere ausspielen.
Haben die Rechtspopulisten schon von Ihnen Notiz genommen?
Salvini hat gegen mich getwittert und mich mit seinem Hass geehrt. Ich trage ihn wie ein Ehrenabzeichen. Aber wissen Sie, warum die nicht besorgt sind? Weil die ganzen Merkels, Macrons und Tsipras weiter Unzufriedenheit erzeugen – und das die Salvinis füttert.
Viele Menschen sorgen sich wegen des Klimawandels, der Migration oder haben Abstiegsängste. Was wollen Sie tun?
Investieren in den grünen Wandel. Wir wollen fünf Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts, das sind 500 Milliarden Euro, jährlich in nachhaltige Energie, Infrastruktur und Landwirtschaft investieren. Und wir brauchen Demokratisierungsprozesse: konstitutionelle Versammlungen auf kommunaler, regionaler, nationaler, paneuropäischer Ebene, um zu diskutieren, in welcher demokratischen Institution wir leben wollen.
500 Milliarden Euro sind viel Geld und ein großes Versprechen. Es gibt Leute, die nennen Sie auch einen Populisten.
Wir sind die größten Feinde der Populisten. Wir geben Versprechen, die auf soliden Plänen basieren. Das Geld kommt nicht von zusätzlichen Steuern, sondern aus Anleihen, die jedes Jahr von der Europäischen Investitionsbank ausgegeben werden, unterstützt von der EZB. Wir könnten schon morgen damit anfangen. Es gibt am Ende nur Gewinner, keine Verlierer.
Sie fordern auch eine Bürgerdividende. Wie soll das funktionieren?
Mit Digitalisierung und Automatisierung machen Konzerne mit Sitz im Silicon Valley jede Menge Kapital. Jedes Mal, wenn Sie etwas in eine Suchmaschine eingeben oder posten, tragen Sie zum Kapital dieser Firmen bei, haben aber nichts davon. Die Idee: Wir schaffen den europäischen Eigenkapitalfonds in den zehn Prozent der Einnahmen dieser Konzerne fließen, wenn sie in Europa arbeiten wollen. Die Dividenden werden unter allen Europäern aufgeteilt, die eigentlich das Kapital kreieren. Wir stehen vor dem Problem, dass Roboter ja nicht das Zeug kaufen, das sie produzieren. Und die Leute haben nicht mehr das Geld. Wenn sie einen Prozentsatz des Gewinns auf diejenigen aufteilen, die zur Schaffung dieser Kapitalgesellschaft beitragen, schaffen Sie auch Nachfrage nach diesen Waren.
Warum haben Sie sich nicht mit der Linken zusammengeschlossen, um stärker zu sein?
Wir haben zwei Jahre zusammen an einem Programm gearbeitet, das pro-europäisch ist. Die Tragödie der Linken: Sie ist gespalten, kann sich auf nichts einigen. Wir hatten die Wahl, dabei zu bleiben – gelähmt – oder uns fortzubewegen. Das haben wir gemacht und ich hoffe, dass sich einige anschließen.
Wird es am Ende eine neue Linke geben?
Entweder es gibt eine neue oder überhaupt keine mehr. Ich wurde von einigen persönlich angegriffen, die gesagt haben: Varoufakis spaltet mit seiner Bewegung. Nein, die Linke ist schon gespalten zwischen Euroskeptikern, Befürwortern und fundamentalen Fragen zu Flucht und Migration. Und da machen wir nicht mit. Wir sind gegen Grenzen, das sind Narben auf der Erde, die beseitigt werden müssen. Was die Linke brauchen würde: Einheit und ein kohärentes Programm, das für alle verständlich ist.
Warum kandidieren Sie in Deutschland, wo Sie sich ja einige Feinde gemacht haben?
Wir wollen zeigen, dass es nie einen Konflikt zwischen den Griechen und den Deutschen gab oder zwischen Nord und Süd. Es gab ihn viel mehr zwischen progressiver Politik und autoritären Kräften. Ich trete also hier an und Jochen Schult (ein deutscher Sprachlehrer, Anm.) in Griechenland.
Einige sagen, Sie treten hier an, weil man nur ein Prozent der Wählerstimmen benötigt, um ins EU-Parlament zu kommen.
Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich meinen Sitz wieder abgeben werde, sobald es nötig ist, um bei den griechischen Parlamentswahlen anzutreten. Das ist ein transnationaler Kampf. Warum ich in Deutschland antrete: Wenn du das Römische Reich verändern willst, gehst du nach Rom. Wir haben ein gutes Programm, das wir hier verbreiten wollen. Wenn es die Wähler annehmen, werde ich es in Brüssel in Gang bringen. Danach gebe ich meinen Sitz an Daniela Platsch weiter (die Listenzweite, Anm.).
Sie sind das Gesicht der Bewegung. Glauben Sie nicht, dass Ihre Wähler enttäuscht sind, wenn Sie Brüssel gleich wieder verlassen?
Unsere Wähler haben genug von Politikern, die an ihren Sesseln kleben. Sie wollen, dass ihre Stimme überall in Europa gehört wird. Das EU-Parlament ist ein Schlachtfeld, aber es gibt viele andere. Sie wählen keine Person, sondern ein Programm.
Apropos: Sie haben als Minister sehr polarisiert, waren für viele ein Rockstar. Ein Kollege aus Griechenland meinte aber, dass Ihr Image gelitten hat, etwa wegen der Homestory-Fotos in Ihrem Penthouse für „Paris Match“. Seitdem gehören Sie für manche zum Establishment.
Dafür kann ich nichts. Ihr Freund muss ein verzerrtes Bild der Realität haben. Die Medien haben mich dämonisiert und verteufelt. Jedes Mal, wenn sie über mich, mein Motorrad oder meine Frau geschrieben haben, erwähnten sie keines meiner politischen Ziele. Ich war der einzige EU-Finanzminister, der gegen die Troika war. Progressive wissen über die Toxizität der Presse Bescheid, Ihr Freund gehört nicht dazu.
Sie hätten vor vier Jahren Schluss aufhören können. Was hat Sie angetrieben, wieder Politik zu machen?
Sie haben da etwas falsch verstanden. Ich habe die Politik nie verlassen, nur die Regierung. Seither bin ich politischer denn je. Wir haben DiEM25 ins Leben gerufen, die erste transnationale Bewegung – aus dem Nichts.
Zur Person:
Bevor er 2015 ins Kabinett von Alexis Tsipras einstieg, lehrte der Wirtschaftsprofessor an der Uni in Athen sowie in Austin, Texas. Als Finanzminister wehrte er sich während der Schuldenkrise gegen die Sparvorgaben der internationalen Geldgeber. Er pflegte sein Image als Anti-Politiker (Interviews auf dem Motorrad mit halb offenem Visier) und fiel mit markigen Sprüchen auf (Schäuble ist ein „Zuchtmeister“). Nach fünf Monaten bzw. nach dem Referendum, bei dem die Griechen gegen das Sparprogramm stimmten, kündigte er seinen Rücktritt an.