Politik/Ausland

Letzter Kampf um Mariupol: Über 1.000 Soldaten laut Moskau kapituliert

Die Ukraine rechnet jederzeit mit einem Start der russischen Großoffensive im Osten und Süden des Landes. Wie die ukrainische Armee am Mittwochnachmittag auf Facebook mitteilte, stehen die feindlichen Streitkräfte nun bereit, die Regionen Donezk und Cherson anzugreifen. Zuvor schien sich die Lage in der Hafenstadt Mariupol weiter zu verschlechtern, wo Russland die komplette Einnahme des Hafens meldete. Moskau drohte indes auch mit neuen Angriffen auf Kiew.

Der Handelshafen sei von ukrainischen Asow-Kämpfern "befreit" worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Mittwoch. Die verbliebenen ukrainischen Truppen seien "blockiert und der Möglichkeit beraubt, aus der Einkesselung zu entkommen". Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.
 

Konaschenkow hatte zuvor berichtet, dass sich in Mariupol 1.026 Angehörige der 36. Brigade der Marineinfanterie in Gefangenschaft begeben hätten. Zu den Gefangenen zählen demnach 162 Offiziere und auch 47 Frauen. Auch dafür gab es von ukrainischer Seite keine Bestätigung. Die staatliche ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform meldete am Mittwoch lediglich, dass "Mitglieder des Asow-Regiments Mariupol weiterhin verteidigen". Demnach befinden sich immer noch 120.000 Menschen in der Stadt.

Laut Konaschenkow ergaben sich die Kämpfer bei Gefechten um einen großen Metall verarbeitenden Betrieb den Einheiten der russischen Armee sowie den moskautreuen Separatisten aus dem Gebiet Donezk. Zuvor hatten bereits die Separatisten die Gefangennahme gemeldet. Russische Medien hatten berichtet, dass rund 3.000 ukrainische Kämpfer in Mariupol noch die Stellung gehalten hätten.

In seinem täglichen Lagebericht meldete Konaschenkow auch neue Raketenangriffe von russischen Flugzeugen und Kriegsschiffen. Dabei seien unter anderem zwei große Waffenlager getroffen worden. Bei einem Angriff auf einen Flugplatz in Myrhorod im Gebiet Poltawa seien vier Kampfhubschrauber zerstört worden.

Drohen mit Attacken auf Kiew

Am Abend drohte Konaschenkow dann auch mit neuen Attacken auf die ukrainische Hauptstadt. "Wir sehen Sabotageversuche und Angriffe ukrainischer Truppen auf Objekte auf dem Gebiet der Russischen Föderation", sagte er. "Wenn solche Fälle andauern, werden die Streitkräfte der Russischen Föderation Entscheidungszentren angreifen, auch in Kiew, worauf die russische Armee bisher verzichtet hat." In den vergangenen Wochen hatte Moskau mehrfach vermeintliche Angriffe ukrainischer Truppen auf grenznahe russische Gebiete beklagt.

Auf der anderen Seite vermeldete die Ukraine den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs vom Typ Su-25. Insgesamt sei jedoch die Aktivität der russischen Luftwaffe wegen des schlechten Wetters zurückgegangen, teilte der ukrainische Generalstab am Mittwoch per Facebook mit. Allerdings seien zivile Objekte in den Gebieten Charkiw und Saporischschja mit Raketen angegriffen worden. Ebenso werden nach Angaben des Generalstabs in Mariupol weiter ukrainische Positionen bombardiert. Im Hafengelände und in dem Stahlwerk Asowstal setzen die russischen Truppen ihre Angriffe demnach fort.
 

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In Mariupol harren trotz der Zerstörung vieler Häuser immer noch 100.000 Zivilisten aus, wie Vizebürgermeister Serhij Orlow den ARD-"Tagesthemen" am Dienstag sagte. Die Menschen hielten sich in Kellern und Schutzräumen auf, um dem Beschuss zu entgehen. "Das ist kein Leben. Das ist Überleben", sagte Orlow.

Für Mittwoch sieht die Ukraine jedenfalls keine Möglichkeit für Fluchtkorridore aus Mariupl oder aus den belagerten Städte im Donbass im Osten. Die Besatzungstruppen hätten die Waffenruhe gebrochen, teilt die stellvertretende Ministerpräsidentin, Iryna Wereschtschuk, auf Telegram mit. Sie hätten Busse für die Evakuierung blockiert. Die ukrainische Führung arbeite daran, so schnell wie möglich wieder Fluchtkorridore zu öffnen.

Offensive nach Ostern erwartet

Die ukrainische Verwaltung des Gebiets Donezk, zu dem Mariupol gehört, teilte am Dienstag mit, nach Schätzungen seien dort mehr als 20.000 Menschen getötet worden. Auch diese Zahl ist nicht überprüfbar.

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Auch die Großstadt Charkiw im Osten des Landes sei von russischer Artillerie beschossen worden, hieß es. Dort sollen nach Angaben des Gouverneurs binnen eines Tages mindestens 27 Menschen getötet und weitere 22 verletzt worden sein. Zu den Todesopfern zählt auch ein zweijähriger Bub, der vor einigen Tagen bei einem Beschuss verletzt wurde und nun im Krankenhaus gestorben ist, teilte Oleg Synegubow mit. Insgesamt habe es in der Region in den vergangenen 24 Stunden 53 russische Artillerie- oder Raketenangriffe gegeben.

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In seinem täglichen Lagebericht meldete der russische Verteidigungsminister Igor Konaschenkow auch neue Raketenangriffe von russischen Flugzeugen und Kriegsschiffen. Dabei seien unter anderem zwei große Waffenlager getroffen worden. Bei einem Angriff auf einen Flugplatz in Myrhorod im Gebiet Poltawa seien vier Kampfhubschrauber zerstört worden.

In einem Dorf der südukrainischen Region Cherson wurden nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft unterdessen sieben Menschen von russischen Soldaten erschossen. Die sechs Männer und eine Frau seien am Dienstag in einem Haus des Dorfes Prawdyne getötet worden, hieß es in der Erklärung weiter. Anschließend hätten "die Besatzer das Haus mit den Leichen in die Luft gesprengt", um ihre Tat zu vertuschen.

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Für die kommenden Tage oder Wochen wird eine großangelegte russische Offensive im Osten der Ukraine erwartet. Derzeit seien die Russen dabei, Truppen  in die grenznahen russischen Gebiete Belgorod und Woronesch zu verlegen. Westliche Beobachter erwarten eine Verdoppelung bis Verdreifachung der russischen Truppen im Donbass. Danach würden Putins Streitkräfte versuchen, bis an die Verwaltungsgrenzen des ostukrainischen Gebiets Donezk  vorzudringen. Der britische Militärgeheimdienst bestätigt diese Annahme und spricht zusätzlich von russischen Truppen, die aus Belarus abgezogen und in den Donbass geschickt würden.

Der deutsche Militärexperte Carlo Masala erwartet den russischen Großangriff im Osten der Ukraine nach Ostern. Die Verstärkung und Umgruppierung der russischen Truppen werde bald abgeschlossen sein, sagte der Politikprofessor im stern-Podcast. Der Beginn des Angriffs hänge von vielen Faktoren ab, bis hin zum Wetter. Auch der britische Militärgeheimdienst rechnet mit verstärkten Kämpfen in den kommenden zwei bis drei Wochen.

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