Politik/Ausland

Selenskij: "Schlacht um Donbass hat begonnen"

Tag 53 im Krieg:  Die russischen Truppen haben mit dem erwarteten Angriff auf die Region Donbass begonnen, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij. „Wir können jetzt sagen, dass die russischen Kräfte mit der Schlacht von Donbass begonnen haben, auf die sie sich lange vorbereitet haben“, erklärt Selenskij in einer Videobotschaft. Zuvor am Montag hatten schon andere Stellen in der Ukraine erklärt, Russland habe mit dem erwarteten Angriff auf Regionen in der Ostukraine begonnen. „Es werden Anzeichen des Beginns der Offensive in der Östlichen Operationszone festgestellt“, teilte der Generalstab am Montagabend in Kiew mit. Hervorgehoben wurden dabei die Gebiete Charkiw und Donezk. Von Isjum im Gebiet Charkiw aus werden demnach Vorstöße in Richtung Barwinkowe und Slowjansk im Donezker Gebiet erwartet.

Beim Beschuss der ostukrainischen Region Donezk durch russische Truppen sind nach ukrainischen Angaben vier Menschen getötet worden. Das schreibt Regionalgouverneur Pawlo Kirilenko auf Telegram.

Zuvor hatte die russische Armee nach ukrainischen Angaben einen Großangriff in der ostukrainischen Region Lugansk gestartet. In der Kleinstadt Kreminna sei die russische Armee in der Nacht auf Montag "mit einer riesigen Menge an Kriegsmaterial einmarschiert", teilte der ukrainische Gouverneur von Lugansk, Serhij Hajdaj, am Montag auf Facebook mit. "Unsere Verteidiger haben sich auf neue Positionen zurückgezogen", fügte er hinzu. Bei Angriffen in Charkiw gab es drei Tote.

Nach russischer Darstellung wurden in der Ortschaft Nowotoschkiwske in der Nähe von Lugansk 120 „Nationalisten“ getötet. Von unabhängiger Seite ließen sich die Angaben zunächst nicht überprüfen.

Der Gouverneur berichtete zuvor, russische Streitkräfte seien bis Kreminna vorgestoßen. "In der Nacht konnte der Feind bis Kreminna vorstoßen, nur festsetzen konnte er sich dort nicht. Die Kämpfe direkt in der Stadt halten an", hieß es. Vier Zivilisten seien bei einem Fluchtversuch aus Kreminna erschossen worden, teilte der Gouverneur mit. Sie wollten in ihrem Auto aus der Stadt fliehen.

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Die Kleinstadt Kreminna mit 18.000 Einwohnern liegt rund 50 Kilometer nordöstlich der Großstadt Kramatorsk und in der Nähe der derzeit heftig umkämpften Stadt Rubischne. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten am Montag von heftigen Explosionen in Rubischne, die zum Teil Brände auslösten. Über der Stadt stiegen riesige Rauchwolken auf. Ukrainische Soldaten beschossen russische Stellungen in Rubischne vom etwa drei Kilometer entfernten Ort Nowodruschesk aus mit Artillerie und Mörsergranaten.

Der Chef der pro-russischen Separatisten in Lugansk, Lenoid Pasetschnik, hatte in der vergangenen Woche erklärt, die ukrainische Armee kontrolliere weiterhin "einen Teil" von Rubischne. Sobald seine Kämpfer das gesamte Gebiet "befreit" hätten, werde eine Entscheidung getroffen, "um unseren Brüdern in Donezk und möglicherweise Russland Hilfe zu leisten", erklärte Pasetschnik.

Luftangriffe auf breiter Front

Der Ostermontag begann in der Ukraine mit russischen Luftangriffen auf breiter Front: Abermals stand die Hauptstadt Kiew unter Beschuss. Doch auch Dnipro am Fluss Dnipro und auch die westukrainische Stadt Lwiw (Lemberg), wohin sich viele Menschen  geflüchtet haben, wurde aus der Luft angegriffen. Der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyj, schrieb auf seiner Facebook-Seite von „fünf gezielten Raketenschlägen" gegen die Stadt, in der mindestens sechs Menschen, darunter ein Kind, gestorben sein sollen.  Die russischen Streitkräfte haben eigenen Angaben zufolge in der Nacht mehr als 100 Ziele beschossen.

Ein Anrainer im Südwesten von Lwiw berichtete der Nachrichtenagentur AFP, er habe dicke graue Rauchwolken gesehen, die hinter Wohnhäusern in den Himmel gestiegen seien. „Die Russen greifen weiterhin barbarisch ukrainische Städte aus der Luft an“, schrieb Mychailo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, auf Twitter.

Russland hat den Beschuss der Großstadt Lwiw mit Raketen bestätigt. Dabei sei ein Zentrum für die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte getroffen worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Montagabend in Moskau. Zerstört worden sei ein Logistikzentrum mit großen Teilen ausländischer Waffen, die aus den USA und europäischen Ländern geliefert worden seien. Nach Darstellung Konaschenkows wurden durch Raketenangriffe in der Ukraine am Montag Dutzende Militärobjekte zerstört. In Dnipro sei ein Werk für die Reparatur ukrainischer „Totscha-U“-Raketen getroffen worden. Auch Munitions- und Treibstofflager seien vernichtet worden.

Wie der Chef der ukrainischen Bahngesellschaft, Alexander Kamyschin, mitteilte, wurde bei dem Angriff auch Bahninfrastruktur beschädigt. Er verbreitete in den Online-Netzwerken ein Foto, auf dem Feuer und Rauch über einem kleinen Gebäude neben einem Eisenbahngleis zu sehen sind. Fahrgäste oder Bahn-Angestellte wurden seinen Angaben zufolge bei dem Angriff nicht verletzt.

Beim erwarteten Sturm der russischen Armee auf das von den Verteidigern gehaltene Mariupoler Stahlwerk könnte es indes zahlreiche zivile Opfer geben. Das Asowstal-Gelände sei zum Zufluchtsort für "viele Zivilisten" geworden, teilte der Mariupoler Polizeichef Michailo Werschynin am Sonntagabend laut einem Bericht der staatlichen ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform mit. Präsident Wolodymyr Selenskyj drängte indes neuerlich auf rasche Waffenlieferungen.

Werschynin sagte dem lokalen Fernsehsender Mariupol TV, dass sich noch 100.000 Zivilisten in der Stadt befinden. Sie wurden von den Invasoren eingesetzt, "um Geröll wegzuräumen und Leichen aufzulesen". Auf diese Weise wolle die russische Armee die Spuren ihrer Verbrechen beseitigen. Außerdem werden alle Bewohner der Stadt dazu gezwungen, weiße Bänder am linken Arm und rechten Bein zu tragen. Doch hätten auch alle Soldaten dieselben Bänder, womit die Zivilisten "absichtlich zu Kombattanten gemacht werden".

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Am Sonntag war ein Ultimatum der russischen Armee an die ukrainischen Kämpfer in der strategisch wichtigen Hafenstadt am Asowschen Meer ausgelaufen. Die ukrainische Regierung räumte ein, dass die Kämpfer bereits eingekreist seien, doch würden sie "bis zum Ende kämpfen", wie Regierungschef Denys Schmychal sagte. Präsident Selenskyj hat mit einem Ende der Waffenstillstandsgespräche mit Moskau gedroht, sollten die ukrainischen Kämpfer getötet werden.

Selenskyj kritisierte in einer Videoansprache am Sonntagabend die Verzögerungen bei Waffenlieferungen für sein Land. Angesichts einer erwarteten neuen Offensive russischer Truppen bedeute dies "eine Erlaubnis für Russland, das Leben von Ukrainern zu nehmen". Er nannte keine Länder beim Namen, doch hatte Kiew in jüngster Zeit vor allem Deutschland zu rascheren Waffenlieferungen gedrängt. Selenskyj warnte, dass das russische Militär für die nächste Zeit eine Offensive in der Industrieregion Donbass im Osten der Ukraine vorbereite. "So wie die russischen Truppen Mariupol zerstören, wollen sie auch andere Städte und Gemeinden in den Gebieten Donezk und Luhansk dem Erdboden gleichmachen", sagte er. Im wochenlang belagerten Mariupol wird von Tausenden getöteten Einwohnern ausgegangen.

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Sollte Russland Mariupol einnehmen, wäre es die erste größere Eroberung seit Beginn des Kriegs am 24. Februar. Nach Darstellung Russlands haben seine Truppen die Stadt weitgehend unter Kontrolle. Lediglich eine Gruppe ukrainischer Kämpfer halte sich auf dem Asowstal-Gelände verschanzt, eines der beiden großen Stahlwerke in Mariupol.

Das Werksgelände mit zahllosen Gebäuden und Bahngleisen ist mehr als elf Quadratkilometer groß. Das russische Verteidigungsministerium erklärte unter Berufung auf Radiomitschnitte, es befänden sich auch 400 ausländische Söldner unter den ukrainischen Soldaten. Diese hätten einen Schießbefehl für alle, die aufgeben wollten.

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Selenskyj berichtete in seiner Videobotschaft von neuen Opfern in der ostukrainischen Großstadt Charkiw. In den vergangenen vier Tagen seien 18 Bewohner der zweitgrößten Stadt des Landes durch russischen Beschuss getötet und 106 weitere verletzt worden. "Heute haben die russischen Truppen insbesondere die Kultur-, Schewtschenko- und Darwin-Straße beschossen. Offenbar sind diese Wörter - Kultur, Schewtschenko und Darwin - besonders gefährlich für Russland. Es ist nämlich etwas, was ihre Existenz bedroht", sagte der für seinen sarkastischen Humor bekannte Ex-Komiker.

Taras Schewtschenko hat als Dichter im 19. Jahrhundert wesentlich zur Entwicklung der modernen ukrainischen Sprache beigetragen, während der britische Naturforscher Charles Darwin als Begründer der modernen Evolutionstheorie gilt. Allein durch diesen Beschuss am Sonntag seien fünf Menschen getötet und mindestens 15 weitere verletzt worden.

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