Politik/Ausland

Portugals EU-Präsidentschaft kommt an Corona nicht vorbei

Die größten Gewichte, die derzeit auf der Europäischen Union lasten, hat noch Deutschland gestemmt. Mit Überzeugungskraft und unerschütterlicher Beharrlichkeit hat Kanzlerin Angela Merkel als Regierungschefin während der deutschen EU-Präsidentschaft ihre europäischen Amtskollegen auf das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der EU eingeschworen. Wohin und wie diese 750 Milliarden Euro an außerordentlichen Corona-Hilfen nun fließen werden – darauf wird Portugals Premier António Costa ein Auge haben: Europas westlichster Mitgliedsstaat übernimmt heute von Deutschland den halbjährlich rotierenden EU-Vorsitz.

Für Portugal bedeutet dies: Unendlich viel Verwaltungsarbeit und die Übernahme vieler ungelöster europäischer Probleme.

Zwei Trümpfe

Doch es hat auch zwei Trümpfe in der Hand. Für das EU-begeisterte Portugal, das dank großzügiger EU-Regionalhilfen einen beachtlichen Entwicklungsschub hinlegte, ist es bereits die vierte Präsidentschaft. Hilfreiche Routine ist also zu erwarten – ebenso wie das außergewöhnliche Verhandlungsgeschick seines Premiers. Der sozialdemokratische António Costa kann mit allen – sei es mit Frankreichs leicht aufbrausendem Präsidenten Emmanuel Macron, sei es mit seinem oft sperrigen ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Und unversöhnlich erscheinende Position zusammenzuführen, das ist die größte Kunst einer EU-Präsidentschaft.

Sie aber wird meist nicht auf EU-Gipfeln zur Vollendung gebracht, sondern in mühevoller Kleinarbeit, bei Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Diplomaten und dem EU-Parlament. Und da liegen sie, die dicken Bretter, die in der EU weiter zu bohren sind.

Große Themen

Die umfangreiche Gesetzgebung für den Green Deal. Die Vorgabe lautet dabei: Um 55 Prozent muss der -Ausstoß bis 2030 gesenkt und der Weg dahin in konkreten Rechtsakten verpackt werden. In seiner sechsmonatigen Präsidentschaft wird Portugal dabei allerdings nur die allerersten Schritte einleiten können.

Zu den heiklen Dossiers der portugiesischen Ratspräsidentschaft gehört auch die Asyl- und Migrationspolitik der EU. Denn noch immer ist die Frage der Verteilung von Schutzbedürftigen in Europa völlig ungelöst.

Auch die EU-Erweiterung tritt auf der Stelle: Bulgarien blockiert die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien, die Niederlande verwehrten Albanien den Start der Verhandlungen.

Aber über allem lasten Corona und die verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Nicht zuletzt wegen des erwarteten Anstiegs der Arbeitslosigkeit in ganz Europa will Portugal die europäische Sozialpolitik stärken. So es die Corona-Lage erlaubt, soll im Mai in Porto ein EU-Sozialgipfel stattfinden. Aber auch ohne die Pandemie wären sie die Schwerpunktthemen der sozialdemokratischen Regierung in Lissabon gewesen: Ein sozialeres Europa, Beschäftigungsinitiativen, Armutsbekämpfung und Investitionen in den europäischen Gesundheitsschutz.

Ingrid Steiner-Gashi