Politik/Ausland

ORF-Journalist: "So nah dran war ich persönlich noch nie"

"Ich stehe neben einem Mann mit zwei Kopfschüssen, wir haben Wiederbelebung nach 45min eingestellt" - Diese Twitternachricht setzte Peter Fritz am Dienstag kurz vor 21 Uhr aus Straßburg ab. Der ORF-Korrespondent und Büroleiter in Brüssel hatte gemeinsam mit anderen Augenzeugen versucht, einem angeschossenen Mann Erste Hilfe zu leisten. Nach 45 Minuten haben sie die Wiederbelebungsversuche eingestellt, nachdem ein per Telefon verbundener Arzt ihnen mitgeteilt hatte, dass es keinen Sinn mehr habe. Der Mann aus Thailand war seinen schweren Kopfverletzungen erlegen.

Der EU-Korrespondent hielt sich wegen der Sitzungstage des Europäischen Parlaments in Straßburg auf und war am Abend gerade in dem beliebten Stadtviertel "Petite France" unterwegs. Dem KURIER schilderte er, wie er zum Augenzeugen und zum Ersthelfer wurde, und erzählte, dass er bereits den 11. September 2001 vor Ort erlebte.

KURIER: Herr Fritz, wie haben Sie die Schüsse als Augenzeuge erlebt?

Peter Fritz: Ich habe zwei Knaller gehört, zunächst habe ich an Feuerwerkskörper gedacht, aber dann hab ich hinter der nächsten Straßenecke diesen Mann gesehen, er blutete am Hinterkopf. Wir haben gleich auf der Straße mit Wiederbelebungsversuchen begonnen, dann im nächstgelegenen Lokal weitergemacht. Nach 45 Minuten mussten wir dann auf ärztlichen Rat hin aufgeben.

Denkt man in so einer Situation zuerst als Reporter oder als Helfer?

Das Helfen ist natürlich im Vordergrund gestanden. Aber wir sind ja sechs bis sieben Personen gewesen, die meisten haben mehr von Medizin verstanden als ich. Wir haben uns natürlich bei der Herzdruckmassage abgewechselt. Da konnte ich dann kurz mit Wien telefonieren und Aviso geben, dass da was Größeres im Gange ist.

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"Auch wir sind stundenlang festgesessen"

Herrschte im Lokal Hektik oder Panik?

Nein, gar nicht. Alle haben versucht, sich so ruhig und professionell zu verhalten, wie es halt ging. Die anderen Lokalgäste blieben eher im Hintergrund und haben leise gesprochen, miteinander Wahrnehmungen ausgetauscht. Der Eingangsbereich, wo das Opfer gelegen ist, war recht eng, da konnten sich nur vier Leute gleichzeitig um ihn kümmern.

Hatten Sie die Befürchtung, dass der oder ein Täter noch in der Gegend sein könnte?

Es war dann sofort ein großes Polizeiaufgebot da und es durfte auch keiner mehr hinein oder heraus. Auch wir sind stundenlang festgesessen in dem Lokal, da war es nicht anzunehmen, dass in der Gegend noch einmal so etwas Ähnliches passieren könnte. Die Polizei hat uns auch erst vor die Tür gelassen, als klar war, dass keine Gefährdungslage mehr besteht.

Welche Gedanken hatten Sie bei der Heimfahrt ins Quartier?

Man versucht, noch einmal zu rekapitulieren, was da jetzt los war, einen gewissen Abstand zu gewinnen. Vor allem aber war ich müde, ich wusste, es geht morgen früh für mich weiter. Daher habe ich versucht, noch ein bisschen Schlaf zu finden.

Wie ist für Sie der Tag danach?

Es ist eigentlich noch anstrengender als gestern, ständig rufen Leute an, ich renne durch die Stadt von Kamera zu Kamera. Aber das ist wahrscheinlich gar nicht schlecht, damit man mit der ganzen Situation umzugehen lernt.

Eigentlich hätten Sie in Straßburg über das Europäische Parlament berichten sollen. Wie ist die Stimmung dort?

Das EU-Parlament ist ziemlich weit draußen vor der Stadt, da bin ich bis jetzt noch gar nicht hingekommen.

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Wie würden Sie die Stimmung in der Stadt beschreiben?

Der Weihnachtsmarkt ist heute ja geschlossen, aber die meisten Geschäfte sind offen. Es gibt schon Kontrollen an  den Eingängen zur Innenstadt. Aber sonst gibt es schon wieder Alltagsleben. Die Volksschulen und Kindergärten sind zu, aber die höheren Schulen sind offen. Es wird auch zum Teil in den Geschäften eingekauft. Also: Alltag, soweit es geht, aber die Stimmung ist natürlich schon gedrückt.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben Sie in Washington erlebt, wo das Pentagon angegriffen wurde.

Dort war ich nicht unmittelbar in der Gegend, als es passiert ist, aber ich bin dann hingefahren um zu berichten. Es ist schwer, das zu vergleichen. 2001 wusste man sofort, dass das jetzt eine welthistorische Angelegenheit ist. Hier in Frankreich hofft man ja doch, dass es isolierte Zwischenfälle sind, und dass keine neue Welle losgeht. Aber sicher: Persönlich steckt man ja trotzdem mittendrin. So nah dran war ich persönlich noch nie.