Wien rollte Indiens Premier Modi den Roten Teppich aus
Von Sarah Emminger
Sicherheitsvorkehrungen wie beim Besuch eines US-Präsidenten, ein speziell organisiertes Wirtschaftsforum in der Wiener Hofburg und ein Mittagessen mit rund 100 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst, Kultur und Politik: Österreich hat sich für seinen heutigen Staatsgast, den indischen Premier Narendra Modi, und dessen rund 120-köpfige Delegation nicht lumpen lassen. Laut Bundeskanzleramt handelt es sich um „einen der bedeutendsten diplomatischen Besuche der jüngeren Geschichte“.
Es ist tatsächlich ein historischer Termin, schafften es doch bisher erst zwei indische Regierungschefs nach Österreich. Die Letzte war Indira Gandhi vor 41 Jahren, die beim damals frisch gebackenen Kanzler Fred Sinowatz zu Gast war - dessen Vorgänger Bruno Kreisky war nach einem schlechten SPÖ-Nationalratswahlergebnis gerade erst zurückgetreten.
Aus Moskau eingeflogen
Während Gandhis Stopp in Österreich einer von mehreren auf einer größeren Europatour war, die sie auch nach Jugoslawien, Dänemark und Norwegen führte, ist Wien für Modi nur eine von zwei Destinationen, bevor es wieder zurück in die Heimat geht.
Der Hindunationalist flog am frühen Dienstagabend aus Moskau ein, wo er und sein „lieber Freund“ Wladimir Putin pünktlich zu Beginn des NATO-Gipfels in Washington Tee getrunken, Pferde gestreichelt und einander gelobt hatten.
Auch das war keine regelmäßig stattfindende Visite, sondern der erste Besuch Modis seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022, nachdem die traditionell guten Beziehungen zwischen Neu-Delhi und Moskau etwas abgekühlt waren. Aber es passt nicht zum außenpolitischen Verständnis der indischen Regierung, sich auf eine Seite zu stellen.
Und so ließ Modi sich in den letzten Jahren von immer mehr westlichen Politikern wie US-Präsident Joe Biden oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hofieren und schloss Rüstungskooperationen mit diesen, während er sich gleichzeitig viel - durch die westlichen Embargos günstig gewordenes - Öl aus Russland sicherte und damit fleißig in Putins Kriegskasse einzahlte.
Überraschender Besuch
Warum Modi sich für seinen zweiten Staatsbesuch seit seiner Wiederwahl vor wenigen Wochen, bei der seine Partei bittere und unerwartete Verluste hinnehmen musste, ausgerechnet Österreich ausgesucht hat, ist nicht ganz klar.
Im Bundeskanzleramt glaubte man vorab, dass es etwas mit einer Aussage Nehammers bei der Ukraine-Konferenz in der Schweiz vor wenigen Wochen zu tun gehabt haben könnte. Er hatte eine mögliche Rolle Indiens bei einer etwaigen Friedensfindung im Ukraine-Krieg hervorgehoben.
Genau darüber sollen der Kanzler und der Premier bereits am Dienstagabend bei einem vertraulichen Abendessen in der Wiener Innenstadt sowie im Zuge eines Arbeitsgesprächs am Mittwoch „intensiv“ gesprochen haben, wie Nehammer am Mittwoch vor Journalisten bekanntgab. Er habe gemeinsam mit Modi Möglichkeiten ausgelotet, einen Prozess hin zu einem "fairen" und "dauerhaften Frieden im Einklang mit der UNO-Charta" in Gang zu bringen.
"Putin hört ihnen zu"
Bereits vor dem Besuch hatte Nehammer erklärt, er baue „sehr stark auf Indien“. Die BRICS-Staaten hätten „eine besondere Rolle“ im Ukraine-Krieg: „Putin hört ihnen zu“.
Modi erklärte in Wien einmal mehr, dies sei "keine Ära" des Kriegs. Probleme könnten nicht auf dem Schlachtfeld gelöst werden. Und: Der Verlust eines jeden unschuldigen Menschen sei inakzeptabel. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kremlchef Wladimir Putin hatte Modi in Moskau angesichts des Angriffs der russischen Armee auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew am Montag sogar erklärt, ihm "blute das Herz".
Narendra Modi von der hindunationalistischen Partei BJP ist seit über zehn Jahren indischer Premier. Bei den letzten Parlamentswahlen, die erst vor wenigen Wochen zu Ende gingen, errang er seinen dritten Wahlsieg in Folge. Die BJP verlor aber die absolute Mehrheit im Unterhaus und regiert mit einem Koalitionspartner.
Indien löste vergangenes Jahr China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ab und zählt heute mehr als 1,4 Milliarden Einwohner. Auch die Wirtschaft wächst stark - und mit ihr das Interesse westlicher Regierungen an Indien.
Sein Land sei genau wie Österreich dazu bereit, etwaige Friedensprozesse zu unterstützen, so der Premier. Wie das konkret aussehen könnte, ließen die beiden Regierungschefs offen. Auch über andere Themen soll gesprochen worden sein, die Lage im Nahen Osten etwa, aber auch die Entwicklungen im Indopazifik.
"Größte Demokratie der Welt"?
Modi wünschte Nehammer, den er nach Indien einlud, und Österreich außerdem "alles Gute" für die Nationalratswahl ihm Herbst. Auffallend oft bezeichneten die Politiker Indien als "größte Demokratie der Welt", Modi nannte Indien wieder einmal die "Mutter der Demokratie".
In Indien gibt es Mehrparteienwahlen, in den vergangenen Jahren zeigten sich Experten, die Opposition, NGOs und Medien jedoch immer öfter besorgt, dass die indische Demokratie unter Modi zunehmend eingeschränkt werde und verfalle. Dem Premier wird vorgeworfen, Indien in einen hindu-nationalistischen Staat zu verwandeln und besonders die muslimische Minderheit zu unterdrücken. Für kritische Journalisten ist die politische Berichterstattung unter Modi zudem schwieriger geworden.
Indische Fachkräfte sollen Österreichs Lücken füllen
Weniger heikel: Bei den Gesprächen in Wien ging es auch um den Ausbau der österreichisch-indischen Beziehungen im Wirtschaftsbereich. Das offizielle Programm, das am Mittwoch um 10 Uhr am Ballhausplatz mit einem Empfang Modis startete, fasste die Wirtschaftsbeziehungen ebenfalls ins Auge.
So begann zeitgleich zum Delegationsgespräch im Bundeskanzleramt ein großes Österreich-Indien-Wirtschaftsforum in der Hofburg, an dem 40 Unternehmen aus Österreich und Indien angemeldet waren. Als eins der Hauptanliegen Österreichs, was Indien angeht, gelten mehr indische Fachkräfte.
Auch Bundespräsident Alexander van der Bellen wollte Modi kurz treffen. Die Polizei warnte bereits im Vorfeld des Staatsbesuchs vor Verkehrsbehinderungen in der Wiener Innenstadt.
Ein Event für die indische Community in Wien dürfte danach auf reges Interesse gestoßen sein. Ungefähr 700 Personen haben sich offenbar angemeldet, um Modi in seinen etwa 24 Stunden im Land zu sehen - wer weiß schließlich, wie lang es dauert, bis zum nächsten Mal ein indischer Premier da ist?