Machtkampf: Johnsons Verlobte gegen die Brexit-Boys des Premiers
Von Georg Szalai
Wer am Donnerstag britische Medien verfolgte, konnte fast glauben, dass das große Brexit-Theater über ein EU-Freihandelsabkommen nicht im letzten Akt, sondern gerade in der Pause ist. In der Pause eines Stückes, das da lauten könnte: Carries Crew gegen Boris’ Brexit Boys. Schauplatz der Polit-Soap-Opera: Die Londoner Downing Street 10, Sitz von Premier Johnson.
Schmeißt den Job hin
Denn als Lee Cain, der 39-jährige Kommunikationschef von Boris Johnson, nun seinen Rücktritt zum Jahresende ohne Angabe von Gründen ankündigte, schlug das ein wie eine Bombe.
Nur Stunden zuvor hatte es geheißen, der enge Vertraute von Johnson-Chefberater Dominic Cummings könnte zum Stabschef befördert werden. Das stieß aber bei manchen in der Konservativen Partei und Regierung auf Buhrufe und auf den Widerstand von Johnsons Verlobter Carrie Symonds.
"Revolte" der Verlobten
Der Daily Telegraph sprach von einer Symonds-„Revolte“ und ihrem „Veto“. Politico schrieb, die Brexit-Hardliner in Johnsons innerem Kreis hätten nach Wochen der Zwietracht hinter den Kulissen „die Kontrolle verloren“. In dem Machtkampf, für den der Streit über Cains Zukunft zum Kristallisationspunkt wurde, stehen sie einem Chor von lauter gewordenen, auch weiblichen, Stimmen gegenüber, der nach diversen Corona-Pannen der Regierung einen Neustart fordert.
Warnte Boris vor Fehler
Symonds, 32, die als PR-Beraterin sonst zur Rettung der Weltmeere aufruft, aber als frühere Kommunikationschefin der Konservativen gut vernetzt ist, scheint ihrem Partner eingeflüstert zu haben, um ihn aus ihrer Sicht vor einem „Fehler“ zu retten, der sie „zutiefst unglücklich“ gemacht hätte, wie berichtet wurde. Sie und der als streitsüchtig geltende Cain – der sich als Daily Mirror-Journalist einst als Huhn verkleidete, um Premier David Cameron zu verspotten, bevor er für die Brexit-Kampagne „Vote Leave“ arbeitete – waren bereits in der Vergangenheit aneinander geraten, hieß es.
Frauen-Power
Auch Allegra Stratton, Johnsons neues Gesicht für geplante tägliche TV-Pressekonferenzen, nach deren Ernennung Cain offenbar um seinen Einfluss fürchtete, und Planungsabteilung-Leiterin Munira Mirza wehrten sich gegen den Aufstieg des Kommunikationschefs. Denn Kommunikation, inklusive peinlicher Kehrtwenden, hat sich in der Corona-Krise als Achillesferse der Regierung entpuppt.
Rosenkrieg zwischen Fraktionen
Die Soap hätte fast einen weiteren Höhepunkt erreicht. Johnson-Darlings Cummings, die graue Eminenz Londons, und Brexit-Verhandler David Frost überlegten laut Berichten auch den Abtritt, bleiben aber vorerst doch auf der politischen Bühne. Viele erwarten, dass sich die Brexit-Boyband um einen neuen Hit bemühen wird, um das Ohr des Premiers nicht ganz an andere zu verlieren.
Viele sehen den Rosenkrieg zwischen verschiedenen Faktionen aber als Chance einer Neuinszenierung bevor der Vorhang für die Regierung Johnson fällt. Sein Team steht seit Langem in der Kritik, nicht genug Frauenpower zu haben. Und der einflussreiche Tory-Hinterbänkler Charles Walker sagte, Parlamentarier hegen „schon länger Unzufriedenheit“, weil sie sich oft von Entscheidungen ausgeschlossen fühlten.
Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei kritisierte alle Mitwirkenden und beschrieb das Regierungs-Kasperltheater so: „Gesichtslose Charaktere, die dieses Land von Downing Street aus regieren, gehen sich an die Gurgel“.