EU-Gipfel: Von der Leyen wird neue Kommissionspräsidentin
Der EU-Sondergipfel in Brüssel hat sich auf die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als nächste EU-Kommissionspräsidentin geeinigt. Dies teilte EU-Ratschef Donald Tusk nach dreitägigen Marathonverhandlungen am Dienstagabend in Brüssel mit. Von der Leyen wäre die erste Frau an der Spitze der Brüsseler EU-Behörde.
Der belgische Premierminister Charles Michel, ein Liberaler, wird demnach Ratspräsident. Als Außenbeauftragte haben sich die Staats-und Regierungschefs laut Tusk auf den spanischen Sozialisten Josep Borrell geeinigt. Die französische IWF-Chefin Christine Lagarde ist für den Chefposten der Europäischen Zentralbank vorgesehen.
Die Bundesverteidigungsministerin der CDU war bei dem EU-Gipfel die Überraschungskandidatin für die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker ab dem 1. November. Das Europaparlament muss ihre Ernennung noch mit der Mehrheit seiner Mitglieder bestätigen.
In dem Ministeramt, das von der Leyen seit Ende 2013 innehat, machten ihr zuletzt Affären zu schaffen. Mit ihrem Plädoyer für eine europäische Verteidigungspolitik und ein deutsch-französisches Kampfflugzeug erntete sie aber Unterstützung bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sie laut Diplomaten für den Brüsseler Spitzenposten vorschlug. Die in Brüssel geborene von der Leyen spricht fließend Englisch und Französisch und hat sieben Kinder.
Charles Michel wird EU-Ratspräsident
Der amtierende belgische Regierungschef wird am 1. Dezember EU-Ratspräsident und Nachfolger des Polen Donald Tusk an der Spitze der EU-Staaten. Der 43-Jährige ist Liberaler und gehört damit zu der Parteiengruppe, der sich nach der Europawahl auch Frankreichs Präsident Macron angeschlossen hat.
Michel hatte im Dezember nach einem Streit mit den flämischen Rechtsextremisten über die Flüchtlingspolitik seinen Rücktritt vom Posten des Ministerpräsidenten angekündigt, den er gut vier Jahre lang innehatte. Die Politik wurde dem kahlköpfigen Bartträger quasi in die Wiege gelegt: Sein Vater Louis Michel war belgischer Außenminister und EU-Kommissar.
Josep Borell wird EU-Außenbeauftragter
Der 72-jährige Katalane soll neuer Außenbeauftragter der EU werden. Er ist seit 2018 spanischer Außenminister. Erstmals in die spanische Regierung kam der Sohn eines Bäckers 1984 als Finanzstaatssekretär. Im April 1998 wurde er Kandidat der spanischen Sozialisten für das Amt des Regierungschefs für die Wahlen im Jahr 2000.
Doch wegen einer Affäre um Steuerhinterziehung um zwei seiner Mitarbeiter im Finanzministerium musste er das Handtuch werfen. Er versuchte darauf sein Glück als Europaabgeordneter und war zwischen 2004 und 2007 Präsident des Europäischen Parlaments.
Christine Lagarde wird Chefin der EZB
Die 63-jährige Französin soll erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main werden. Für die derzeitige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) spricht ihre fundierte Kenntnis großer Finanzinstitutionen wie ihre Erfahrung als französische Wirtschaftsministerin während der Finanzkrise 2008. Sie gehört politisch der EVP an.
Zudem spricht die gelernte Anwältin Lagarde perfekt Englisch. Allerdings prangt ein schwarzer Fleck auf Lagardes weißer Weste: In der sogenannten Tapie-Affäre um veruntreute französische Staatsgelder wurde sie 2016 schuldig gesprochen. Sie ging aber straffrei aus.
Vier Kandidaten wollen EU-Parlamentspräsident werden
Über den EU-Parlamentspräsidenten teilten die Staats- und Regierungschefs keine Entscheidung mit. Er wird am morgigen Mittwoch um 9.00 Uhr vom EU-Parlament gewählt. Vier Kandidaten gehen ins Rennen um den Posten des Präsidenten des Europäischen Parlaments: Die deutsche Grüne Ska Keller, die Spanierin Sira Rego, der Italiener David-Maria Sassoli und der Tscheche Jan Zahradil.
Der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), empfielt seiner konservativen Parteienfamilie, für einen sozialistischen Parlamentspräsidenten zu stimmen. Es liege nun an den Sozialisten, einen Kandidaten zu präsentieren, sagt Weber in Straßburg.
Weber kandidiert nicht für EU-Parlamentspräsidenten
Weber wird sich nicht um das Amt des EU-Parlamentspräsidenten bewerben. Dies kündigte der 46-Jährige am Dienstag seiner Fraktion an, wie ein Sprecher mitteilte. Demnach gab Weber auch sein Mandat als Spitzenkandidat der EVP auf - und damit zugleich den Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten.
Das EU-Parlament will am Mittwoch seinen neuen Präsidenten wählen. Das Mandat gilt für die Hälfte der Legislaturperiode - also bis Jänner 2022. Um den Spitzenposten im Europaparlament haben sich bereits die deutsche Ko-Vorsitzende der Grünen, Ska Keller, und die Spanierin Sira Rego von der Linkspartei beworben. Die sozialdemokratische Fraktion wollte ihre Entscheidung bis 22.00 Uhr bekanntgeben. Weber äußerte sich zunächst nicht dazu, ob er sich für die zweite Hälfte der Legislaturperiode bewerben will.
Laut Geschäftsordnung benötigt ein Kandidat in den ersten drei Durchgängen die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen. Erreicht das kein Bewerber, treten im vierten Durchgang die beiden bestplazierten Kandidaten zur Stichwahl an. Zwischen den Wahlgängen können sich Kandidaten zurückziehen, um die Chancen eines anderen Bewerbers zu erhöhen - und um bestimmte Forderungen ihrer Fraktion durchzusetzen. Am Mittwoch ist auch die Wahl der 14 Vizepräsidenten des Parlaments geplant.
Sozial- und Christdemokraten teilen sich Vorsitz
Die Sozial- und die Christdemokraten sollen sich den Vorsitz im Europaparlament teilen. Dies teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach dem EU-Gipfel zu Spitzenposten am Dienstag in Brüssel mit. Tusk betonte aber, dass die Entscheidung darüber beim EU-Parlament liege. Er hoffe auch für einen Kandidaten aus Mittel-und Osteuropa.
Der EU-Gipfel wolle die Kandidatin für den nächste EU-Kommissionsvorsitz Ursula von der Leyen auch ermuntern, eien geographische Ausgewogenheit bei den Vizepräsidenten der EU-Kommission herzustellen, sagte Tusk. Der Sozialdemokrat Frans Timmermans soll wieder Vizepräsident in der EU-Kommission werden, ebenfalls die liberale derzeitige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Bei den Vizepräsidenten sollen außerdem "Osteuropa und Italien an Bord sein", sagte Tusk.
Tusk begrüßte die Entscheidung des Gipfels über das Personalpaket. Es gebe "eine perfekte Ausgewogenheit der Geschlechter" mit zwei Frauen und zwei Männern. Von der Leyen werde die erste EU-Kommissionspräsidentin. Die IWF-Chefin Christine Lagarde werde eine "perfekte Präsidentin" der EZB sein. Am Donnerstag will Tusk im EU-Parlament die Abgeordneten von dem Paket überzeugen. Tusk lobte außerdem die Erfahrung des künftigen Ratspräsidenten Charles Michel als belgischer Regierungschef. Der künftige Außenbeauftragte Josep Borrell werde die Interessen und Werte der EU in der Welt vertreten.
Bierlein freut sich über erste Kommissionschefin
Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat sich am Dienstagabend in Brüssel positiv über den Personalpaket-Vorschlag für die künftige EU-Spitze geäußert. Sie sprach nach Ende des Marathon-Gipfels von einem "sehr sehr guten Ergebnis" und strich vor allem heraus, dass die Kommission erstmals von einer Frau geleitet werden soll.
Sie freue sich insbesonders, dass mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau für dieses Amt vorgeschlagen worden sei, sagte Bierlein in einem kurzen Statement: "Ein historischer Moment". Bierlein betonte außerdem, dass sie mit dem österreichischen Parlament Rücksprache gehalten habe: "Ich habe mich mit allen Parteispitzen abgesprochen." Die Frage, ob auch alle Fraktionen pro Von der Leyen gewesen seien, ließ sie unbeantwortet.
Optimistisch äußerte sich die Kanzlerin, dass die Nominierung der deutschen CDU-Verteidigungsministerin trotz angekündigten Widerstands der europäischen Sozialdemokraten auch das EU-Parlament passieren wird. Sie sei "zuversichtlich".