Politik/Ausland

Brände bei Tschernobyl, kremlnahe Zeitung meldet fast 10.000 Gefallene

Tag 27 nach Beginn des russischen Angriffs

In mehreren ukrainischen Städten spitzt sich die Lage weiter zu. Eine dem Kreml nahestehende Zeitung meldete fast 10.000 gefallene russische Soldaten und musste den Bericht kurze Zeit später löschen. Die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda führt die aufsehenerregende Veröffentlichung über die Zahl gefallener Soldaten im Ukraine-Krieg auf einen Hackerangriff zurück. Könnte aber auch sein, dass die Zahlen aus dem Verteidigungsministerium geleakt wurden.

Die russische Regierung hüllt sich über die Zahl der gefallenen Soldaten in Schweigen. Moskau hatte Anfang März von 498 toten russischen Soldaten gesprochen, seither aber keine neue Zahlen mehr veröffentlicht. Die ukrainische Seite spricht von mehr als 15.000 gefallenen russischen Kämpfern. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Fest steht, dass der "Blitzkrieg" nicht voran kommt und dass dafür immer mehr zivile Ziele ins Visier genommen werden. Aber die Zahl der aus der Ukraine Geflohenen stieg nach Angaben der Vereinten Nationen auf mehr als 3,5 Millionen Menschen, die meisten davon Frauen und Kinder. Mehr als zwei Millionen seien ins benachbarte Polen geflohen.

Unterdessen will Israel ein Feldkrankenhaus in Mostyska im Westen der Ukraine eröffnen. Das 66-Betten-Lazarett soll von insgesamt 65 Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften aus ganz Israel betrieben werden. Es könne bis zu 150 Patientinnen und Patienten gleichzeitig versorgen, teilte das verantwortliche Schiba-Krankenhaus aus der Nähe von Tel Aviv zuvor mit. Für den Aufbau und den Betrieb bis Mitte April seien umgerechnet knapp 5,9 Millionen Euro veranschlagt.

Brände bei Tschernobyl

Im Sperrgebiet um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine sind nach Angaben des Parlaments mehrere Brände ausgebrochen. An sieben Stellen brenne es, teilte die Rada in der Nacht auf Dienstag mit Verweis auf Satellitendaten der Europäischen Raumfahrtagentur ESA.

Insgesamt soll bereits eine Fläche von mehr als zwei Quadratkilometern in Flammen stehen. Russische Truppen haben das Gelände um das AKW vor rund einem Monat unter ihre Kontrolle gebracht.

Die Feuer seien "wahrscheinlich durch die bewaffnete Aggression der Russischen Föderation verursacht worden - nämlich durch Beschuss oder Brandstiftung", teilte die Rada mit. Das ließ sich nicht überprüfen. Allerdings kam es dort in der Vergangenheit immer wieder zu Wald- und Flächenbränden.

Rund um die Atomruine hatte es im Frühjahr 2020 bereits größere Brände gegeben. Damals versicherten die Behörden mehrmals, dass die Radioaktivität in den angrenzenden besiedelten Regionen unter den Grenzwerten liege und keine Gefahr für die Bevölkerung bestehe.

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Fluchtkorridore aus Mariupol geplant

In der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol sollen am Dienstag nach Regierungsangaben drei Fluchtkorridore geöffnet werden. Das teilte die Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer auf Telegram veröffentlichten Videobotschaft mit. Die Menschen sollen demnach aus den umliegenden Orten Berdjansk, Jurjiwka und Nikolske in die Großstadt Saporischschja gebracht werden.

Es sei klar, dass es nicht genügend Plätze gebe, sage Wereschtschuk weiter. Deswegen bitte man die Bürgerinnen und Bürger, den Anweisungen der Behördenvertreter vor Ort zu folgen und organisiert zu den Bussen zu gehen. Wereschtschuk versprach, niemand werde zurückgelassen. Man führe weiter täglich Evakuierung durch, bis alle Menschen aus der Stadt gebracht worden seien.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums leben noch bis zu 130.000 Menschen in der Stadt am Asowschen Meer - einst waren es rund 440.000. Russland und die Ukraine werfen einander immer wieder gegenseitig vor, die Flucht der Menschen über humanitäre Korridore zu behindern.

Attentat auf Selenskij vereitelt

Die ukrainische Spionageabwehr hat ein mögliches Attentat auf Präsident Wolodymyr Selenskij nach eigenen Angaben gestoppt. Eine Gruppe von russischen Saboteuren, angeführt von einem Geheimdienstler, sei in der Stadt Uschgorod im Dreiländereck zwischen der Ukraine, der Slowakei und Ungarn festgenommen worden, berichtete die Agentur Unian in der Nacht auf Dienstag. Zum Auftrag der etwa 25 Männer gehörten zudem auch die Ausführung einer Reihe von Sabotageakten.

Diese sollten im Regierungsviertel in Kiew sowie in anderen Landesteilen der Ukraine stattfinden. Sie wollten sich als Angehörige der Territorialeinheiten der Ukraine ausgeben und auf diese Weise nach Kiew gelangen. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Nach ukrainischer Darstellung haben russische Spionagetrupps seit Kriegsbeginn bereits mehrfach versucht, in Kiew einzudringen und den Präsidenten auszuschalten.

Selenskij: "Kämpft und helft"

In einer am Montagabend verbreiteten Videobotschaft appellierte Selenskij an seine Landsleute, alles zu tun, um den Staat zu schützen. "Um unser Volk zu retten. Kämpft. Kämpft und helft!" Der in Kiew ausharrende Staatschef rief dazu auf, die "Eindringlinge" zu vertreiben. "Damit die Ukraine lebt, und wir alle gemeinsam mit ihr, frei und in Frieden."

In seiner Ansprache an das "große Volk der großen Ukraine" bezeichnete Selenskij die russischen Militärs als "Touristen mit Panzern" und "Sklaven ihrer Propaganda, die ihr Bewusstsein verändert hat". Diese von Russland geschickten "Sklaven" hätten noch nie eine derartige Menge freier Menschen auf den Straßen und Plätzen erlebt. "Sie haben noch nie Tausende Menschen gesehen, die vor ihnen keine Angst haben", meinte er mit Blick auf eine Protestkundgebung von Zivilisten im besetzten Cherson, die russische Truppen am Montag nach unbestätigten Berichten mit Waffengewalt aufgelöst hatten.

Selenskij drohte allen russischen Militärs, die sich an wehrlosen ukrainischen Zivilisten vergriffen. Auf sie warte der Trauerflor. Die Ukraine sei nicht Russland. "Widerstand muss hier nicht organisiert werden - Widerstand ist für Ukrainer eine Eigenschaft der Seele."

Russische Einheiten haben Vorräte für drei Tage

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs haben die russischen Truppen weiter Probleme mit der Sicherung ihres Nachschubs: Munitions- und Lebensmittelvorräte reichen offenbar nur noch für drei Tage. Ähnlich sei die Lage bei der Versorgung mit Kraftstoff. Dafür haben es die Angreifer geschafft, große Teile des Landes zu verminen. Kyiv Independent schreibt, dass nach vorläufigen Schätzungen 82.525 Quadratkilometer vermint sind, das entspricht einer Fläche, die größer ist als Schottland.

Der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj hatte schon vor Tagen festgestellt, dass das Land über Jahre mit der Räumung von Minen zu kämpfen haben wird. Dafür reichten aber die Kapazitäten der ukrainischen Spezialisten kaum aus.

Pentagon Briefing

In einem langen Briefing im Pentagon wiesen die Amerikaner erneut darauf hin, dass die Russen derzeit kaum militärische Fortschritte machen und viele Soldaten deshalb frustriert sind. Ihr  modernes Kommunikationssystem funktioniert nicht, deshalb reden sie auf unsicheren Kanälen, die gestört werden, die Nachschubprobleme sind unerwartet groß. Die Ukrainer haben noch immer eine funktionstüchtige Flugabwehr und haben sich auf eine Art Guerilla-Taktik gegen die zahlenmäßig übermächtigen Angreifer verlegt.

Boryspil 

Offenbar in Erwartung russischer Angriffe hat der Bürgermeister von Boryspil die Zivilbevölkerung zum Verlassen der Stadt aufgerufen. Sein Aufruf gelte auch für alle Zivilisten, die aus anderen Teilen der Ukraine in die südöstlich von Kiew gelegene Stadt geflüchtet seien, sagte Wolodymyr Borissenko in der Nacht auf Dienstag. Der Appell zur Evakuierung erfolge aus rein militärtaktischen Gründen. Dennoch brach in Sozialen Medien Panik aus, woraufhin man wieder zu beruhien versuchte.

„In sozialen Medien ist Panik ausgebrochen, dass morgen ein Angriff beginnt und morgen Boryspil vernichtet wird“, zitierte die ukrainische Agentur Unian den Berater des Innenministers, Wadym Denisenko, der Dienstag früh im ukrainischen Fernsehen auftrat.

"Die Erfahrung aus anderen Orten, um die gekämpft wird, hat gezeigt, dass die Arbeit der Streitkräfte einfacher ist, wenn weniger Zivilbevölkerung in der Stadt ist", erklärte Borissenko. "Es gibt keinen Grund, in der Stadt zu bleiben, in der Umgebung wird bereits gekämpft." Boryspil mit knapp 60.000 Einwohnern liegt knapp 30 Kilometer südöstlich von Kiew.

Hyperschall-Rakete "Kinschal"

Russlands Militär weitere Angriffe mit der Hyperschall-Rakete "Kinschal" (Dolch) angekündigt. "Die Angriffe dieses Luft-Raketensystems auf die ukrainische Militärinfrastruktur während der militärischen Spezial-Operation werden fortgesetzt", sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow, am Montag. 

Mehrere westliche Politiker hatten sich zuletzt besorgt gezeigt über den Einsatz der acht Meter langen Raketen, die extrem schnell und extrem hoch fliegen können sollen. Russland hatte die neue Rakete in den vergangenen Tagen in der Ukraine nach eigenen Angaben zwei Mal eingesetzt.

Russland meldet 500 Kriegsgefangene

Russland hat eigenen Angaben zufolge mehr als 500 ukrainische Soldaten gefangen genommen. Dem Internationalen Roten Kreuz seien Dokumente zum Austausch gegen russische Soldaten übermittelt worden, sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Tatjana Moskalkowa, am Montag dem Staatssender RT. "Das sind ukrainische Gefangene, die wir auszutauschen bereit sind." Die Ukraine sprach zuletzt von mehr als 560 russischen Kriegsgefangenen.

In der vergangenen Woche war der zwischenzeitlich entführte Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol, Iwan Fedorow, im Austausch gegen neun russische Soldaten freigekommen. Angaben aus Kiew zufolge handelte es sich um Wehrdienstleistende, die im Krieg Russlands gegen die Ukraine eingesetzt waren.

Weiterhin russische Angriffe auf Zivilisten

Das US-Verteidigungsministerium geht davon aus, dass die russischen Truppen in der Ukraine vorsätzlich zivile Ziele ins Visier nehmen. Ministeriumssprecher John Kirby sagte am Montag: "Wir sehen weiterhin wahllose Angriffe auf Zivilisten, von denen wir glauben, dass sie in vielen Fällen vorsätzlich sind." Deutlich sei, dass die Angriffe zu einer wachsenden Zahl ziviler Opfer führten. "Dafür gibt es keine Rechtfertigung."

Kirby betonte zugleich, dass man die Pläne der Russen nicht genau kenne. Russland verstärkt laut Pentagon derzeit seine Militäroffensive aus der Luft und zu Wasser, da der Vormarsch der eigenen Truppen durch die "Geschicklichkeit" der ukrainischen Armee aufgehalten werde.

Der Kreml versuche "verzweifelt", die Kampfdynamik zu erhöhen, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter am Montag in Washington. Russische Soldaten stünden "frustriert und verwirrt" vor einem ukrainischen Widerstand, der trotz der Unterzahl und geringerer Bewaffnung standhalte. Die Streitkräfte unter Befehl von Russlands Präsident Wladimir Putin haben ihre Einsätze laut Angaben des US-Beamten zuletzt verstärkt - allein in den vergangenen 24 Stunden flogen sie demnach mehr als 300 Luftangriffe. Kiew habe ebenfalls mit verstärkten Lufteinsätzen reagiert.

Kaum Nahkämpfe

Nur wenige Einsätze seien Nahkämpfe, Moskau feuere vor allem Luft-Boden-Raketen aus dem russischen oder belarussischen Luftraum auf ukrainische Ziele ab, sagte der US-Beamte. "Sie wagen sich nicht sehr weit oder lange in den ukrainischen Luftraum vor, weil die Ukrainer ihren Luftraum mit großer Geschicklichkeit verteidigen."

Im nördlichen Schwarzen Meer zeige Russland mit dem Einsatz mehrerer Kriegsschiffe "verstärkte Marineaktivitäten", sagte der Beamte weiter. Dies sei jedoch kein klares Zeichen für einen bevorstehenden Angriff auf die Hafenstadt Odessa.

"Was wir hier sehen, ist ein fast verzweifelter Versuch der Russen, die Lage zu ihren Gunsten zu wenden", sagte der Beamte. Er wies darauf hin, dass die russischen Streitkräfte auch am 26. Tag der Offensive 15 Kilometer nordwestlich und 30 Kilometer östlich von Kiew festsäßen.

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